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Prozess Prozess: Die vielen Zufälle von Pretzien

Von Alexander Schierholz 08.03.2007, 20:55

Magdeburg/MZ. - Arnold Murra, der Staatsanwalt, glaubt nicht an Zufälle. Nicht bei dieser Tat. Das "Tagebuch der Anne Frank" und eine US-Flagge sind verbrannt worden, am Abend des 24. Juni 2006 in Pretzien. Bei jener "Sonnenwendfeier", die das Dorf an der alten Elbe bei Schönebeck schlagartig bundesweit bekannt gemacht hat.

Fünf junge Männer sind dafür gestern vom Amtsgericht Schönebeck zu jeweils neun Monaten Haft verurteilt worden, ausgesetzt für drei Jahre zur Bewährung. Zwei weitere Angeklagte wurden freigesprochen, eine Beteiligung konnte ihnen nicht nachgewiesen werden.

Einer der Täter, Sebastian K., organisierte das "Kulturprogramm" der Feier. "Warum wohl?" fragt Murra. Die Initialen S. K. stehen auch unter einem internen Papier des mittlerweile aufgelösten "Heimatbundes Ostelbien", der die Feier veranstaltet hatte. Zum Prozessauftakt hat Murra daraus zitiert. "Mit deutschem Gruß" ist das Papier unterschrieben - "Gruß" mit "ss" in Runen. Zufall? Dass einer der Männer an jenem Abend ein T-Shirt getragen hat mit einem Logo, das verdächtig dem Zeichen der verbotenen "Skinheads Sächsische Schweiz" ähnelt - Zufall? Dass bei drei der Angeklagten nach der Buchverbrennung rechte Musik sichergestellt worden ist - Zufall?

Nein, Arnold Murra glaubt das nicht. In seinem Plädoyer ordnet der Ankläger die Sonnenwendfeier ein als "neonazistische Veranstaltung, die absprachegemäß mit einem Fanal endete - der Verächtlichmachung der Anne Frank". Dafür spreche das gesamte Szenario: Die Männer hatten vorher die Rollen verteilt. Einige hatten Fackeln getragen, andere Sprüche aufgesagt, in denen zum Beispiel "deutsches Blut" beschworen wurde.

Wer nach dem Plädoyer des Staatsanwalts den Vorträgen der sieben Verteidiger zuhört, kann dagegen zu dem Schluss kommen, es habe sich um ein ganz normales Fest gehandelt. "Spontan" seien das Buch und die Flagge verbrannt worden, sagen die Anwälte, nichts sei gemeinsam geplant worden. Kopfschütteln lösen im Publikum Versuche aus, die Angaben von Belastungszeugen in Zweifel zu ziehen. Da ist etwa Friedrich Harwig, der Bürgermeister, der nicht eingeschritten war nach der Buchverbrennung. Er hatte ausgesagt, der Angeklagte Lars K. habe das Buch mit den Worten "Sowieso nur alles Lüge" in die Flammen geworfen. Der Anwalt von K., Thomas Jauch, versucht sich in einer "aussagepsychologischen" Deutung: Harwig habe das fragliche Zitat falsch zugeordnet. Und warum? Weil, sagt Jauch, für die Medien schnell festgestanden habe, dass es sich bei den Tätern um Rechtsextremisten handele. Und weil Harwig zu DDR-Zeiten schließlich 25 Jahre lang NVA-Offizier gewesen und vom verordneten Antifaschismus geprägt sei. "Hanebüchen und wirr", urteilt ein Prozessbeobachter.

Dass Lars K. tatsächlich von "Lüge" gesprochen hat, ist letztlich auch für Richter Eike Bruns nicht erwiesen. Es spiele aber auch keine Rolle, sagt Bruns. Mehrere Zeugen nämlich haben bestätigt, dass der Tat die Aufforderung vorausging, etwas "Artfremdes" ins Feuer zu werfen. "Das Tagebuch der Anne Frank, ein Symbol für die Leiden der Juden während der NS-Zeit, als ,artfremd' zu verbrennen", sagt der Richter, "ist eine Billigung der an diesen Menschen begangenen Verbrechen." Und dann macht Bruns noch eine Bemerkung in eigener Sache: "Bei meinem Eintritt in den Justizdienst hätte ich nicht gedacht, dass ich mich am Anfang des 21. Jahrhunderts noch mit Bücherverbrennungen befassen muss."

Obwohl die Strafen zur Bewährung ausgesetzt sind, hält Thomas Heppener das Urteil für angemessen. Man müsse den Angeklagten zu Gute halten, dass sie nicht vorbestraft seien, sagt der Direktor des Berliner Anne-Frank-Zentrums. "Für mich ist wichtig, dass das rechte Weltbild der Männer deutlich geworden ist", sagt er. An Zufälle nämlich glaubt auch Heppener nicht.