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Pretzien Pretzien: Ein Dorf sucht Antworten

Von Alexander Schierholz 19.10.2006, 19:23

Pretzien/MZ. - Hat das Warten nun ein Ende? Sieben junge Männer müssen sich wegen Volksverhetzung demnächst vor Gericht verantworten. Das "Tagebuch der Anne Frank" und eine US-Flagge sollen sie verbrannt haben auf einer "Sonnenwendfeier" am 24. Juni in Pretzien. Es wird einen Prozess geben und Urteile. "Darauf warten viele Menschen", sagt Friedrich Harwig, parteiloser Bürgermeister.

Andere haben sich ihre Meinung schon gebildet. Wie der Mann, der nachmittags im Dorfladen sein Bier trinkt. Die Verdächtigen, sagt er, seien im Ort gut bekannt, "die gehen alle einer ordentlichen Arbeit nach". Und Anne Frank? Und die Flagge? Und das Feuer? "Das", meint der Schnauzbartträger, "war doch wohl nur ein Black-Out."

Obwohl kaum jemand im Dorf mit den Medien reden mag, hält Andreas Holtz das nicht für eine Einzelmeinung. "Es gibt die Tendenz", hat der für Pretzien zuständige evangelische Pfarrer beobachtet, "das nicht mehr zum Thema zu machen." Dabei geht es nicht nur um die Bücherverbrennung. Sondern auch um die Rolle junger Rechtsextremisten im Ort. Bisher haben sie, organisiert im rechtslastigen, mittlerweile aufgelösten "Heimatbund Ostelbien", Feste wie jene Sonnenwendfeier veranstaltet. Sie waren beim Hochwasser 2002 im Einsatz und betrieben den "Touristischen Info-Punkt" im Dorf. "Es gibt immer noch viele Leute", sagt Holtz, "die dieses Engagement loben."

Es gibt aber auch die anderen. Menschen wie Fred Stein. Der 67-Jährige war Schöffe, er weiß um das Gewicht, das Richtersprüche haben können. "Wenn die Urteile mild ausfallen", sagt er, "dann kann das zu dem Eindruck führen: Das war ja gar nicht so schlimm, was die da getan haben." Um das zu verhindern, sei eine Auseinandersetzung dringend nötig. Stein sitzt in einem Arbeitskreis, der überlegen will, wie die Gemeinde künftig umgeht mit jungen Rechten.

Bürgermeister Friedrich Harwig hat die Gruppe - zwölf Mitglieder - ins Leben gerufen. Demnächst soll sie erstmals tagen, wegen der Sommerpause erst jetzt. Harwig war im Sommer unter Druck geraten, weil die Strategie der Einbindung des "Heimatbundes" in die kulturelle Arbeit des Dorfes seine Strategie war. "Ich würde wieder so handeln", hatte der 66-Jährige kurz nach der Tat erklärt. Nun sagt er: "Die Organisation von Festen oder ähnliches hat sich erledigt."

Aber wie geht es weiter? Harwig wirkt ratlos. "Es gibt Bürger, die wollen mit Neonazis nichts zu tun haben", sagt er. Aber das sei nicht die Lösung. "Wir können sie doch nicht wegsperren. Wir müssen uns mit ihrer Gesinnung auseinandersetzen." Pfarrer Holtz hält diese Ankündigung zwar für glaubwürdig. Strebe der Bürgermeister aber wirklich eine Auseinandersetzung mit rechten Positionen an, "dann muss er Fachleute zu Rate ziehen". Harwig hat das getan. Oder besser: Die Fachleute sind zu ihm gekommen. Der Berliner Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner etwa hat den Kontakt nach Pretzien gesucht. "Wir sondieren, was wir machen können", berichtet der Bürgermeister. Er weiß jetzt auch mehr über rechte Codes und Zeichen, dank einer Fortbildung für Bürgermeister, die die Vereine "Rückenwind" und "Miteinander" organisiert haben. "Wir wollen auch noch Feuerwehren und Sportvereine ansprechen und ihnen Rüstzeug für den Umgang mit Rechts in die Hand geben", sagt Dorit Zinke von "Rückenwind". Ab 6. November ist in Schönebeck eine Anne-Frank-Ausstellung zu sehen. "Schulen zeigen schon großes Interesse", sagt "Miteinander"-Geschäftsführer Roman Ronneberg.

Kleine Anfänge. "Wir können nicht zuviel auf einmal verlangen", sagt Dorit Zinke, "sonst machen die Leute einfach dicht. Wir wollen keinen Aktionismus."