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Prettin Prettin: Doppelte Geschichte

Von ANTONIE STÄDTER 02.04.2009, 19:43

PRETTIN/MZ. - Doch nicht das riesige Renaissanceschloss, das einst Kurfürst August von Sachsen für adelige Witwen bauen ließ, ist Dreh- und Angelpunkt der Arbeiten - sondern ein unscheinbares Nebengebäude, das dem Ensemble erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts an die Seite gestellt wurde. In dem ehemaligen Werkstattgebäude, das zu DDR-Zeiten für landwirtschaftliche Zwecke genutzt wurde, soll an das dunkelste Kapitel der Schlossgeschichte erinnert werden: jene Zeit, in der die Nationalsozialisten die Lichtenburg als eines der ersten Konzentrationslager missbrauchten. Ende kommenden Jahres soll die neue Gedenkstätte eröffnet werden, zu der auch der frühere Bunker in der Schlossanlage gehören wird.

Nun stehen die Bauarbeiten jedoch erst einmal still. Unter dem alten Fußboden des einstigen Werkstattgebäudes, das später als Besucherzentrum und Ort einer Dauerausstellung fungieren soll, haben Archäologen ein Skelett, Ofenkacheln, Münzen, Löffel und alte Mauerreste ausgemacht. Diese gilt es zunächst freizulegen. "Einige der Mauerstücke stammen vermutlich aus dem 16. Jahrhundert, also der Zeit der Endphase des damaligen Klosters beziehungsweise der Erbauung des Schlosses", sagt der Historiker Sven Langhammer. Seit Ende des 13. Jahrhunderts wirkten an dem Ort Mönche des Antoniter-Ordens. Es sind bislang lediglich Mutmaßungen, doch: "Es könnte sein, dass wir Teile des Antoniterklosters gefunden haben, das seit vielen Jahren gesucht wird. Das wäre eine Sensation", so Langhammer, der seit mehr als zehn Jahren zur Lichtenburg forscht und sie für die Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt betreut. Diese hatte Werkstattgebäude und Bunker 2008 nach jahrelangen Verhandlungen zwischen Bund und Land übernommen und ist zuständig für den Aufbau der Gedenkstätte.

Stiftungsdirektor Joachim Scherrieble ist sichtlich angetan. Er läuft vorsichtig über den aufgerissenen Boden zu der historisch wertvollen Mauer. Abgesehen von der Freude über den überraschenden Fund stellt ihn dieser vor eine schwer zu beantwortende Frage: Soll die Mauer - durch eine begehbare Glasplatte abgedeckt - in der Gedenkstätte gezeigt werden? Schließlich steht sie für einen wichtigen Teil der Geschichte an diesem Ort. Andererseits würde ein Exkurs ins 16. Jahrhundert wohl vom Hauptthema ablenken. Die geplante Dauerausstellung in der Gedenkstätte soll sich vor allem der Nutzung der Anlage durch das NS-Regime widmen. Womöglich werden die neuen Funde in einer Sonderschau gezeigt.

Von 1933 bis 1945 wurden in der Lichtenburg mindestens 10 000 Häftlinge gefangen gehalten, darunter prominente Hitler-Gegner wie der Gewerkschafter Wilhelm Leuschner und der Sozialdemokrat Friedrich Ebert. "Die Häftlinge wurden überall im Schloss gefangen gehalten", sagt Langhammer. Das Lager war zeitweise mit bis zu 2 000 Gefangenen völlig überfüllt. Zunächst diente es als Männerlager. Nach dessen Auflösung trafen 1937 die ersten weiblichen Häftlinge in Prettin ein.

Dass die Wahl gerade auf das Schloss als KZ fiel, war kein Zufall. Die Nationalsozialisten fanden für ihren Plan die baulichen Voraussetzungen in dem leer stehenden Gebäude. Es hatte zuvor mehr als 100 Jahre lang als Zuchthaus und Haftanstalt gedient. So waren die Marställe des Schlosses etwa zu zwölf Isolierzellen, dem Bunker, umfunktioniert worden.

Dort kann die Grausamkeit, mit der die Häftlinge des Konzentrationslagers gequält wurden, auch heute noch nachempfunden werden: Sprüche der Verachtung stehen seither an den Zellenwänden, die Schlafplätze sind aus Stein. Ganz am Ende des lang gestreckten Bunkers befindet sich auf Wadenhöhe eine dunkelgrüne Eisenklappe. Damit kontrollierten die Aufseher, ob der Häftling in der ansonsten nur von Mauern umgebenen Stehzelle durchhielt. Der Bunker soll laut Scherrieble im Wesentlichen so bleiben wie er ist. Ohne viele Erklärtafeln und auch ohne Heizung, damit für die Besucher vorstellbar bleibt, wie unmenschlich es damals dort zuging.

Was in Zukunft mit dem Schloss geschieht, ist indes bislang noch völlig unklar. Es wird von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) verwaltet, die seit Jahren nach einem Käufer mit geeignetem Konzept sucht. Bislang befindet sich in einigen Räumen das Wittenberger Kreismuseum. Der Rest ist derzeit weitgehend ungenutzt.

Die Lichtenburg kann trotz Bauarbeiten besichtigt werden. Anmeldungen für Führungen unter: 035386 - 2 23 82