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Pödelwitz soll Kohle weichen Pödelwitz soll Braunkohle weichen: Dieser Mann kämpft um sein Dorf

Von Alexander Schierholz 25.01.2019, 12:00
Pödelwitz soll der Braunkohle weichen
Pödelwitz soll der Braunkohle weichen Andreas Stedtler

Pödelwitz - Auf den ersten Blick wirkt Pödelwitz wie ein ganz normales Dorf in der Mittagsruhe: Kaum jemand ist auf den Straßen. Von irgendwoher kreischt eine Kreissäge. Ein Schulbus kurvt um die Ecke. Doch wer näher hinschaut, entdeckt, dass viele Häuser leer stehen. Fenster sind verstaubt, Gartenzäune zerstört, und überall diese Schilder: „Privatgelände!“ Ein Wachmann dreht seine Runden. Die leeren Gebäude gehören der Mibrag, dem Betreiber des benachbarten Braukohletagebaus „Vereinigtes Schleenhain“.

In Pödelwitz ist nicht nur zur Mittagszeit kaum jemand da, sondern auch sonst. 130 Menschen haben hier vor ein paar Jahren noch gelebt. „Jetzt sind wir noch 26“, sagt Jens Hausner. Er muss nicht lange nachzählen. Hausner, 52, kämpft seit Jahren dafür, dass er und seine Nachbarn bleiben können.

Unter Pödelwitz sollen zwischen zehn und 20 Millionen Tonnen Braunkohle liegen

Pödelwitz, südlich von Leipzig. Wiesen, Felder, Wäldchen, Fachwerk, Bauernhöfe. Und 500 Meter östlich des Dorfes die Kante des Tagebaus. Das Riesenloch ist der Grund dafür, dass die meisten Pödelwitzer weggezogen sind. Die Mibrag hat ihnen ihre Häuser und Grundstücke abgekauft. Geht es nach dem Unternehmen, soll der Tagebau erweitert werden. Das Dorf müsste dann weichen. Darunter liegen zwischen zehn und 20 Millionen Tonnen Braunkohle.

Ganz Deutschland redet über den Braunkohleausstieg. Und ein Energiekonzern will weiterbaggern. Wie das?

Jens Hausner fragt sich das schon seit Jahren. Bei ihm und den anderen, die bleiben wollen, hat die Mibrag jedenfalls auf Granit gebissen. Sollte die Erweiterung des Tagebaus genehmigt werden, sagt er, „klagen wir durch alle Instanzen“.

Jens Hausner ist Landwirt, aber im Zweitberuf ist er zum Kämpfer für den Kohleausstieg geworden. Zum Kämpfer für Pödelwitz und damit in eigener Sache. „Es ist unsere Lebensaufgabe, das Dorf zu retten.“ Darunter macht er es nicht.

Aber was hält einen in einem Dorf, in dem kaum noch jemand lebt? Hausner fragt zurück: „Was sollte mich nicht halten?“ Dann beginnt er zu erzählen: Mehr als 30 Jahre lang hat er miterlebt, wie ein ums andere Dorf für die Kohle buchstäblich weggebaggert wurde: Droßdorf, Breunsdorf, Heuersdorf - die Liste ließe sich fortsetzen. „Nun bin ich selber betroffen“, sagt er. Und mit ihm sein mehr als 750 Jahre altes Dorf, in dem die Familie seiner Frau nachweislich seit 300 Jahren ansässig ist. „Ich finde, jetzt muss mal Schluss sein.“

Wegen Braunkohle: Menschen in Pödelwitz könnten enteignet werden

Er erzählt davon, wie der Kohleabbau die Landwirtschaft immer weiter beschnitten habe. Wie er den Böden Wasser und Mikroorganismen raube. Er erzählt, dass nur noch zehn bis 20 Prozent des Ackerlands in der Region natürlich gewachsen seien. Der Rest: rekultiviert. Er spricht von den Bodenwertpunkten, eine Kennzahl für die Qualität: 30 Punkte auf den rekultivierten Böden. 60 bis 70 auf den natürlichen. Und, zum Vergleich, 100 Punkte in der Magdeburger Börde.

Immer weniger Dörfer. Ausgelaugte Äcker. Für andere wäre das ein Grund aufzugeben. Für Jens Hausner ist es ein Grund weiterzumachen.

Und noch ist ja Leben im Dorf. Zwar mussten sie 2015 mangels ausreichend Aktiver die Feuerwehr dicht machen. Aber sonst: In der Kirche aus dem 13. Jahrhundert, gelb getüncht, werden nach wie vor Gottesdienste gehalten. Der Bus fährt regelmäßig. Es gibt ein Dorfgemeinschaftshaus. Einmal pro Woche steuert ein Fleischer-Verkaufswagen den Ort an, auf Wunsch auch ein Bäcker. Der Konsum ist schon seit 1990 dicht. Eine Kita und eine Schule hatte Pödelwitz nie, dafür war das Dorf stets zu klein.

Sollte die Tagebau-Erweiterung genehmigt werden, Hausner und seine Nachbarn aber nicht freiwillig umziehen, könnten sie enteignet werden. Hausner macht nicht den Eindruck, als würde ihn das ängstigen: „Ich sehe dem gelassen entgegen.“ Seit dem 24. September vorigen Jahres ist er noch ein Stück gelassener. Es ist der Tag, an dem die Kohlekommission in Halle Station macht. Hausner ist als Vertreter betroffener Einwohner geladen. Er stellt eine Petition vor,

die fordert, Enteignungen aus dem Bundesberggesetz zu streichen. Fast 110.000 Menschen haben bisher unterschrieben.

Ein Vortrag im halleschen Stadthaus mit Folgen

Sein Vortrag im halleschen Stadthaus bleibt nicht ohne Wirkung. Einer der Experten stellt hinterher eine Frage an den Vorsitzenden des Planungsverbandes Westsachsen: Ob denn die Tagebau-Erweiterung überhaupt notwendig sei? Die Antwort, so erzählt es Hausner mit einem triumphierenden Lächeln, habe nein gelautet. „Das hat unsere Haltung bestätigt“, sagt er.

Seitdem, denkt er, hat der Wind sich gedreht, zu Gunsten von Pödelwitz. Wie könne es denn sein, fragt er, dass die ostdeutschen Kohleländer einerseits Milliardenhilfen für den Ausstieg vom Bund forderten, andererseits aber ein weiteres Dorf der Kohle weichen solle?

Überhaupt, der Wandel, über den jetzt alle reden: Hausner beklagt, die Kohlekommission lege ihr Augenmerk ausschließlich auf die Arbeitsplätze. Er sagt: „Wer einen sozialverträglichen Wandel will, muss auch an die Braunkohle-Geschädigten denken.“ An Menschen wie ihn. Die Beschäftigten in der Kohle könnten sich schließlich neue Jobs suchen.

2.400 Arbeitsplätze hängen in Mitteldeutschland dirket an der Kohle

Meint er das ernst? Im mitteldeutschen Revier hängen 2.400 Jobs direkt an der Kohle; weitere 4 800 indirekt, etwa bei Zulieferfirmen. Hausner verweist auf Studien, wonach zwei Drittel der Beschäftigten im Jahr 2030 ohnehin in den Ruhestand gingen. Die übrigen würden gebraucht für den Abriss von Anlagen und die Rekultivierung der Landschaft, sagt er. Für ihn steht fest: „Die Job-Debatte ist eine Fake-Debatte.“ Bei denen, die von der Kohle leben, dürfte er sich damit keine Freunde machen.

Jenseits solcher Polemik hat Jens Hausner eine Menge Argumente gegen die Erweiterung des Tagebaus, der das benachbarte Kraftwerk Lippendorf mit Kohle bestückt. Zum Gespräch hat er ins Dorfgemeinschaftshaus gebeten, „ich habe extra geheizt“. Er setzt sich an einen großen Tisch, schenkt Mineralwasser ein, dann redet er ohne Punkt und Komma. Von dem Braunkohleplan, in dem Pödelwitz gar nicht als Abbaufläche vorgesehen sei. Von dem sächsischen Gesetz, das die Abbaggerung von Heuersdorf zuließ, Pödelwitz dafür aber unter Schutz stellte. Von der Absicht der Stadt Leipzig, über kurz oder lang keine Fernwärme mehr aus Lippendorf abzunehmen - was den Bedarf an Kohle schmälern würde.

Mit der Mibrag mag Hausner nicht reden, da ist er unerbittlich. Das Unternehmen hat den Pödelwitzern Kaufangebote für ihre Häuser und Höfe unterbreitet: der aktuelle Verkehrswert plus 75 000 Euro. „Aber ich will gar kein Angebot von denen“, sagt Hausner, „ich habe die nicht auf mein Grundstück gelassen.“

Die Mibrag bleibt bei ihren Plänen

Die Mibrag teilt mit, bisher hätten 84 Prozent der Haushalte einen Kaufvertrag abgeschlossen, bei weiteren fünf Prozent sei ein Vertrag „in Vorbereitung“. Im Sommer hatte Unternehmenschef Armin Eichholz erklärt: „Wir benötigen die Kohle zur sicheren Versorgung des Kraftwerkes.“ Gilt das noch, angesichts der Ausstiegsdebatte? „Es hat sich an unseren Plänen nichts geändert“, sagt eine Sprecherin knapp.

Jens Hausner denkt derweil schon weiter. Die Politik, sagt er, müsse sich jetzt damit befassen, wie Orte wie Pödelwitz wieder belebt werden könnten. Deshalb will er im Mai bei den Kommunalwahlen kandidieren. Bis dahin hilft er seinen neuen Nachbarn. Eine Gruppe Klima-Aktivisten hat sich im alten Bahnhof einquartiert, legal, wie sie betonen. Vor dem Gebäude sind ein paar Autos geparkt. Ein Mann zersägt Bretter, die Kreissäge kreischt. Am Nachmittag stehen eine Frau und ein Mann vor Jens Hausners Hoftor: „Können wir mal deinen Staubsager leihen?“

Letzte Runde in Pödelwitz

Die Zukunft von Pödelwitz wird auch von den Entscheidungen der Kohlekommission abhängen. Das Gremium, das einen Fahrplan für den Ausstieg und Vorschläge für den Strukturwandel unterbreiten soll, kommt an diesem Freitag zu seiner voraussichtlich letzten Sitzung in Berlin zusammen.

Anschließend will die Kommission ihren Abschlussbericht vorlegen. Bei einer Einigung hat der Bund bereits signalisiert, die Vorschläge ohne Abstriche umzusetzen.

Unterdessen hat der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte, den betroffenen Regionen eine umfangreiche Unterstützung zugesagt. Der Bund stehe zu langfristigen Finanzhilfen, sagte Hirte.

(mz/dpa)