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Parteilose Politiker Parteilose Politiker: Völlig losgelöst?

Von CHRISTIAN SCHAFMEISTER 21.05.2013, 17:32
Harri Reiche, Landrat Burgenlandkreis
Harri Reiche, Landrat Burgenlandkreis Biel Lizenz

HALLE/MZ - Eigentlich müsste Bernd Wiegand in diesen Tagen einmal zufrieden durchatmen können. Der parteilose Oberbürgermeister, den die Hallenser im Sommer 2012 auf den Chefsessel des Rathauses gewählt haben, kann einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen. Damit hat er nicht nur eines seiner zentralen Wahlkampfversprechen erfüllt. Er hat auch etwas auf die Beine gestellt, was seinen beiden SPD-Vorgängerinnen im Amt nicht gelungen ist. Doch auf Anerkennung für diesen Kraftakt wartet Wiegand bislang vergeblich. Im Gegenteil: Die Zeichen in Halles Kommunalpolitik stehen auf Konfrontation.

Das Landesverwaltungsamt hatte das Zahlenwerk zunächst abgelehnt, weil ein anderer Stellenplan beigefügt war als vom Stadtrat beschlossen. Zwar gab das Innenministerium als oberste Kommunalaufsicht später doch grünes Licht, aber auch Innen-Staatssekretär Ulf Gundlach bezeichnete Wiegands Veränderungen am Stellenplan als Manipulation, sprach von einem bisher einmaligen Vorgang. Mehr noch: Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft in der Angelegenheit „von Amts wegen“ ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Wiegand selbst äußert sich widersprüchlich, wechselt dieser Tage häufig die Tonlage. Hinter der Ablehnung des Haushalts durch das Landesverwaltungsamt vermutete der parteilose Rathaus-Chef „politische Gründe“ und reichte eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bezeichnet er indes als „unspektakulär“. Er sehe das „sehr gelassen“. Dann spricht er allerdings plötzlich von „Anschuldigungen und Verdächtigungen“, die im Zuge seiner Arbeit aufgetaucht seien. „Da sind nach wie vor alte Kräfte am Werk, die die erfolgreiche Arbeit der Stadt und ihrer Mitarbeiter blockieren wollen“, platzte es aus dem Stadtoberhaupt heraus. „Das habe ich bereits zum wiederholten Male erklärt.“ Wen er damit meinte, ließ Wiegand offen.

Fakt aber ist: Auch das Verhältnis zum Stadtrat ist seit Wochen angespannt. Die Fraktionen von CDU, SPD und FDP hatten sich in einem Brief an das Landesverwaltungsamt über den Rathaus-Chef beschwert. Sie fühlen sich in wichtigen Fragen von Wiegand übergangen. Ein Streitpunkt ist die Besetzung von Führungsfunktionen im Rathaus. So hatte Wiegand mehrere langjährige Amtsleiter degradiert. Zwei wehrten sich vor Gericht und hatten Erfolg: Ihnen müssen nun angemessene Stellen im Rathaus angeboten werden.

Heftige Reaktionen

Doch auch zu dem Stellenstreit äußert sich der Oberbürgermeister nicht eindeutig. Die „heftigen Reaktionen“ auf seine Personalentscheidungen hätten ihn nicht überrascht, sagte er kürzlich. „Das ist ein natürlicher Vorgang.“ Manchmal kann er aber auch eine gewisse Enttäuschung und Frustration nicht verbergen. „Ich hätte schon mit mehr Mitarbeit und Verantwortungsbewusstsein gerechnet“, sagte er mit Blick auf den Stadtrat.

Petra Wust kennt sich in diesem Spannungsfeld schon seit Jahren aus und weiß aus Erfahrung, dass es ohne Kooperation mit dem Stadtrat nicht geht - gerade für ein parteiloses Stadtoberhaupt, das im Stadtrat nicht auf die Unterstützung einer eigenen Fraktion bauen kann. „Sie brauchen in dieser Funktion den Stadtrat, und sie werden auch immer Probleme haben, wenn sie die Verwaltung gegen sich haben“, betont die Oberbürgermeisterin von Bitterfeld-Wolfen. Daher setzt sie auf möglichst offene Kommunikation: in der Verwaltung ebenso wie mit Stadträten und Bürgern. „Meine Tür ist immer offen, da lege ich Wert drauf. Jeder ist willkommen, der etwas machen und erreichen will.“

Um die Arbeit des Stadtrates besser vorbereiten zu können, trifft Petra Wust sich regelmäßig mit den Fraktionschefvorsitzenden, gelegentlich wird auch unter vier Augen gesprochen. Sorgen, dass es für sie als parteiloses Stadtoberhaupt schwieriger werden könnte, Mehrheiten zu bekommen, hatte sie nie. „Dafür muss man nicht parteigebunden sein, das ist kein Handicap.“ Im Gegenteil, manchmal habe das fehlende Parteibuch sogar Vorteile gehabt, gerade in der Anfangszeit. „Da war ich weniger angreifbar.“

Eine Erfahrung, die auch Harri Reiche als parteiloser Landrat des Burgenlandkreises gemacht hat. „Ich muss keine Fahne hochhalten“, sagt der langjährige Verwaltungschef, der bis 2004 in der SPD war und später als parteiloser Kandidat von der CDU nominiert wurde. Die Qualität der Arbeit seiner Kreisverwaltung habe darunter jedoch bestimmt nicht gelitten, betont er. „Ich habe mehr als 1 000 Beschlüsse durchbekommen und musste in dieser Zeit ganze vier Mal in Widerspruch gehen.“

Als Landrat kommt er burschikos und hemdsärmlig daher, sagt von sich selbst, er sei kein Verwaltungsmensch. „Ich bin auch kein brillanter Rhetoriker, aber ich rede immer Klartext.“ Von seinen Mitarbeitern erwartet er konkrete Vorschläge. Bleiben diese aus, „wird es gelegentlich auch laut“, sagt Reiche. „So bin ich, ich kann mich da nicht verstellen.“ Dafür nimmt er für sich in Anspruch, stets klare Entscheidungen zu treffen und verlässlich zu sein.

Eine Fuhre Flöhe hüten

„Ich sehe mich vor allem als Vermittler der Kreispolitik“, sagt Reiche. Und das heißt für ihn Volksnähe und Präsenz bei den Menschen. „In meiner Funktion muss ich mich den Wählern jeden Tag neu beweisen“, erklärt er sein Selbstverständnis. „Ich gehe also rein in die Vereine, in die Feuerwehren, auf die Volksfeste und habe mich da in der Vergangenheit sicher nicht geschont.“ Dabei sieht er sich gerne als „Frontmann“, dem viel daran liegt, auch das Gleichgewicht und die Balance der Städte wie Naumburg, Weißenfels oder Zeitz zu erhalten. „Das ist wie eine Fuhre Flöhe hüten.“

Wiegands Führungsstil ist weniger burschikos, eher nüchtern und sachlich. Er selbst bezeichnet sich als ruhigen und sachlichen Typ, „stets auf Lösungen aus und dann fest in der Sache“. Als Verwaltungsjurist könne er dabei nicht nur von seiner mehr als 15-jährigen Erfahrung in Stadt- und Kreisverwaltungen profitieren, darunter vor seiner Wahl vier Jahre als Innendezernent in Halle. Wiegand, der früher auch einmal SPD-Mitglied war, sieht auch das fehlende Parteibuch inzwischen als Vorteil. „So kann ich unabhängig von einzelnen Parteiinteressen arbeiten, zum größtmöglichen Wohl der Stadt.“

Dem Wohl der Stadt wird es sicher dienen, wenn sich Wiegand mit dem Stadtrat darüber einigt, die Forderungen der Kommunalaufsicht zum Haushalt schnell zu erfüllen. Besprochen werden soll das auf der Sitzung des Hauptausschusses nach Pfingsten, die Zeichen stehen zumindest hier auf Einigung.

Dennoch hat sich die Atmosphäre in der vergangenen Woche erneut verschlechtert. Grund dafür ist eine weitere umstrittene Personalentscheidung. So besetzte der Oberbürgermeister die Stelle des Fachbereiches Sport neu, ohne den Stadtrat einzubeziehen. Das war zwar rechtens, weil der Verwaltungschef die Stelle mit einem niedrigeren Gehalt eingestuft hat und sie damit ohne Zustimmung des Rates besetzen durfte. Hätte Wiegand länger gewartet, hätte das aber schon anders aussehen können. Denn der Stadtrat hatte sich per Beschluss auch die Zuständigkeit für Stellen niedrigerer Vergütungsgruppen vorbehalten, so lange kein Haushalt bestätigt ist. Wiegand hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt, derzeit prüft die Kommunalaufsicht den Fall - und der Oberbürgermeister handelt.

„Das Verfahren befremdet mich sehr“, sagt SPD-Fraktionschef Johannes Krause. „Der Oberbürgermeister schafft wieder einmal Tatsachen, die wir erst im Nachhinein legitimieren sollen. Transparenz sieht anders aus.“ Auch CDU-Amtskollege Bernhard Bönisch ist verärgert über das Agieren des Verwaltungschefs. „Es ist vielleicht legitim, aber nicht sehr kollegial gegenüber dem Stadtrat.“

Der neue Oberbürgermeister der Stadt Halle, Bernd Wiegand
Der neue Oberbürgermeister der Stadt Halle, Bernd Wiegand
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Petra Wust, Oberbürgermeisterin der Stadt Bitterfeld Wolfen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld
Petra Wust, Oberbürgermeisterin der Stadt Bitterfeld Wolfen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld
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