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Mitteldeutscher Verkehrsverbund Mitteldeutscher Verkehrsverbund: Umlage oder Zwangsticket?

11.11.2014, 07:22
Straßenbahnen in Halle - muss bald jeder dafür zahlen?
Straßenbahnen in Halle - muss bald jeder dafür zahlen? Lutz Winkler Lizenz

Leipzig/Halle (Saale) - Der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) sucht nach neuen Geldquellen, um Busse und Straßenbahnen betreiben zu können. In einer Studie ist unter anderem von einer Umlage die Rede, mit der sich alle Bürger an der Finanzierung des Nahverkehrs beteiligen müssten. Kritiker sprechen daher bereits von einem Zwangsticket. Unser Redakteur Alexander Schierholz sprach darüber mit MDV-Geschäftsführer Steffen Lehmann.

Herr Lehmann, warum wollen Sie mich zwingen, für Busse und Bahnen zu zahlen, wenn ich die gar nicht nutze?

Lehmann: Von einem Zwangsticket kann keine Rede sein. Wir sprechen von einem Bürgerticket, das tatsächlich jeder erwerben müsste. Damit könnte dann auch jeder Bus und Bahn fahren, so oft er will. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Das ist jedoch nur einer von mehreren denkbaren Finanzierungsvorschlägen. Ob und was davon umgesetzt wird, muss zunächst intensiv diskutiert und am Ende durch die Politik entschieden werden.

Wer ist die Politik, ganz konkret?

Lehmann: Unsere Gesellschafter, (unter anderem die Städte Halle und Leipzig und fünf Umlandkreise, Anm. d. Red.) sowie verschiedene kommunale Parlamente haben uns beauftragt, alternative Finanzierungsmodelle für den öffentlichen Nahverkehr bis 2025 zu entwickeln. Das haben wir getan.

Warum gerade jetzt? In finanziellen Schwierigkeiten stecken die Bus- und Bahnbetreiber doch schon lange.

Lehmann: Damit die 1 000 Busse und 270 Straßenbahnen im MDV-Gebiet fahren können, brauchen die Verkehrsunternehmen jedes Jahr insgesamt rund 300 Millionen Euro. Diese kommen aus Fahrgeldeinnahmen, aber auch aus Bundes-, Landes- und kommunalen Mitteln. Im Moment sind die Unternehmen finanziell abgesichert. Aber Energie- und Lohnkosten werden weiter steigen, öffentliche Zuschüsse sinken. Unsere Gutachter haben errechnet, dass bis 2025 rund 130 Millionen Euro zusätzlich für den laufenden Betrieb plus 50 Millionen für Investitionen - wie etwa neue Busse - nötig wären, um das heutige Niveau zu halten. Deshalb müssen wir uns Gedanken um neue Finanzierungsmöglichkeiten machen.

Aber Sie erhöhen schon jedes Jahr die Fahrpreise. Reicht das nicht?

Lehmann: Daran gibt es aus verschiedenen Kommunalparlamenten Kritik. Da wurde auch immer die Frage nach Alternativen laut. Die legen wir jetzt vor.

Dann bitte mal Klartext: Was könnte denn noch auf die Leute zukommen?

Lehmann: Die Gutachter haben insgesamt 20 Vorschläge gemacht. Wir haben erst einmal vier besonders griffige herausgenommen, mit denen wir jetzt in die Diskussion gehen wollen. Neben dem Bürgerticket sind das eine Erhöhung der Grundsteuer, ein Aufschlag auf bewirtschaftete Parkplätze oder auf den Grundstückspreis bei der Erschließung von Wohngebieten. Ob überhaupt und in welcher Höhe das denkbar ist, ist aber noch völlig offen.

In Leipzig ist von einem Betrag von 20 Euro pro Monat für ein mögliches Bürgerticket die Rede.

Lehmann: Das ist eine Berechnung ausschließlich für Leipzig. In Halle kann das ganz anders aussehen.

Welche der Vorschläge werden am Ende Wirklichkeit?

Lehmann: Das weiß ich nicht. Wir reden von möglichen Szenarien. Am Ende müssen die Stadträte und Kreistage entscheiden, ob so ein Modell und wenn ja, welches, für ihre Kommune in Frage kommt. Es kann also beispielsweise sein, dass es in Halle ein Bürgerticket gibt, im Burgenlandkreis einen Aufschlag auf die Parkgebühren und im Saalekreis bleibt alles, wie es ist. Aber das sind nur Beispiele. Es kann auch ganz anders kommen.

Wie geht es jetzt weiter?

Lehmann: Wir sind dabei, die Modelle in den beiden Stadträten und den fünf Kreistagen vorzustellen. Diese Gremien müssen dann überlegen, ob und was diskussionswürdig wäre. Wenn es Präferenzen für einzelne Vorschläge gibt, dann muss gerechnet werden, welche Maßnahme welche Effekte bringt. Das ist ein längerer Prozess. Es wird ein bis zwei Jahre dauern, vertretbare Lösungen zu finden. Wir stehen noch ganz am Anfang.

Wo haben Sie denn Ihre Ideen hergeholt?

Lehmann: Die extern erarbeitete Studie zeigt, dass es Nahverkehrsabgaben in verschiedener Form etwa in Frankreich und in Österreich gibt. In Deutschland betreten wir Neuland damit. Auch die Politik wird in dieser Form erstmals in solche Überlegungen einbezogen. (mz)