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  7. Jörg Gräser: Wie der Tierpfleger im Leipziger Zoo die Versetzung vom Löwen- ins Streichelgehege verarbeitet hat

Ein Jahr nach Versetzung im Leipziger Zoo Mit Video: Streicheltiere statt Löwen - Wie Tierpfleger Jörg Gräser das Drama verarbeitet hat

Vor einem Jahr wurde Mitteldeutschlands bekanntester Tierpfleger Jörg Gräser unfreiwillig von den Löwen ins Streichelgehege versetzt, der Zoo Leipzig erlebte einen Shitstorm. Die Ereignisse wirken nach. Wer ist der Mann, für den Fans auf Barrikaden gehen?

Von Lisa Garn Aktualisiert: 04.06.2024, 12:20
Jörg Gräser vor 24 Jahren im Zoo Leipzig: Schon damals arbeitete der Tierpfleger mit Raubtieren, hier kamen Tiger-Fünflinge zur Welt.    Für Gräser war 2023 ein Jahr, das viel Kraft kostete.
Jörg Gräser vor 24 Jahren im Zoo Leipzig: Schon damals arbeitete der Tierpfleger mit Raubtieren, hier kamen Tiger-Fünflinge zur Welt. Für Gräser war 2023 ein Jahr, das viel Kraft kostete. Foto: dpa

Leipzig/MZ. - Er ist ein wenig zu früh am verabredeten Treffpunkt. Im Leipziger Zoo wollte sich Jörg Gräser auf keinen Fall treffen, die Wahl fiel auf ein Café in der Innenstadt. Er trägt eine Kappe, dunkle Kapuzenjacke und raucht erst einmal eine Zigarette.

Ein leichtes Misstrauen schwingt mit, als er sich im Café gesetzt und eine Cola bestellt hat. Gräser setzt die Brille ab und mustert sein Gegenüber vorsichtig. „Ich bin hier als Privatperson, nicht als Angestellter des Zoos“, stellt er schnell klar.

Versetzung von Jörg Gräser sorgte im Zoo Leipzig für viel Wirbel und Protest

Er will offenbar Probleme vermeiden, nachdem vor einem Jahr eine riesige Welle der Empörung um seine Versetzung losbrach. Im Frühjahr 2023 hatte der Zoo Leipzig Mitteldeutschlands bekanntesten Tierpfleger versetzt – vom Löwenrevier ins Streichelgehege. Über Wochen gingen seine Fans auf die Barrikaden, der Zoo erlebte einen regelrechten Shitstorm.

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Dem 56-Jährigen wäre am liebsten, wenn dazu hier gar nichts stehen würde. Wenn das einfach ein Text über ihn wäre, der nun Videos in sozialen Medien veröffentlicht, in denen er Tierskulpturen bastelt und von dem bald ein Buch erscheint. Aber so einfach ist es nicht.

Rückkehr zu den Löwen gefordert: Petition für Jörg Gräser im Zoo Leipzig

Denn Gräser ist seit der MDR-Sendung „Elefant, Tiger und Co.“ über Sachsen hinaus bekannt, über 20 Jahre war er Teil der Serie. Der Löwen-Tierpfleger mit dem sächsischen Akzent wurde zum Publikumsliebling und TV-Star.

Als er nach der plötzlichen Versetzung auch noch aus der Sendung ausstieg, war das für Fans eine Katastrophe. Rund 25.000 Menschen unterzeichneten eine Petition – alle wollten „ihren Jörg“ zurück in seinem Revier.

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Bis heute äußern sich weder der Zoo noch Gräser zu den Hintergründen der Versetzung. Im Zuge der Berichterstattung wurde eine Fütterungspanne bekannt, bei der Löwen Teile eines Zebras im sichtbaren Bereich fraßen. Zudem soll es Streit um die Löwen-Haltung gegeben haben.

Tierpfleger Jörg Gräser schweigt zu seiner Versetzung im Zoo Leipzig

Gräser selbst wirkt verletzt, wenn er auf die Versetzung angesprochen wird. Öffentlich würde er das nie kommentieren. „Es war ein anstrengendes Jahr 2023“, sagt er nur. Näher will er nicht darauf eingehen.

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Wer sich mit Gräser trifft, bemerkt als Erstes, wie leise er spricht, fast beruhigend. Dass ihm über die Jahre so viel Sympathie entgegenschlug, verwundert ihn heute noch. Er sei ja gar kein Star, sagt er. „Ich arbeite einfach und bin, wie ich bin. Da ist nichts Besonderes an mir.“

Arbeit mit Löwen und Hyänen machte Jörg Gräser im Zoo Leipzig zum TV-Star

Das stimmt und stimmt auch wieder nicht. Gräser wirkt unverstellt, er hat eine offene Art, oft einen lockeren Spruch parat. Und er geht sehr liebevoll mit Tieren um, ob im Zoo oder zu Hause. Er spricht viel mit ihnen, versucht, sie in ihren Gefühlen zu deuten.

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Es sind vermutlich die besonderen Tiere, Raubtiere eben, und die besondere Art, die die Fangemeinde wachsen ließen. „Es kamen Besucher von weit her, die wollten sehen, wie ich bin. Die sagten dann: ,Sie sind ja wie im Fernsehen’. Das freut mich natürlich.“

Jörg Gräser: Karriere auf Instagram, Youtube und Co. als "Basteljoerg"

Das vergangene Jahr nutzte Gräser, um sich eine andere Öffentlichkeit zu schaffen. „Dass mich so viele Leute vermissen, hat mich sehr gerührt. Ich wollte eine Plattform, um mich zu bedanken.“ Er ist auf Social Media durchgestartet, veröffentlicht wöchentlich Bastel-Videos.

 
Video: Nach der Versetzung im Zoo Leipzig ist Tierpfleger Jörg Gräser nun als "Basteljörg" auf Social Media durchgestartet. (Kamera: Andreas Stedtler, Schnitt: Torsten Grundmann)

Darin schneidet, schnitzt und steckt er Tierfiguren aus Obst und Gemüse: Schwertwal, Papagei, Löwe, Erdmännchen, Schildkröte oder einen Halloween-Werwolf. Er plaudert, erzählt etwas über Tieren, zeigt seine eigenen, manchmal taucht auch seine Frau Steffi Gräser auf. Mehr als 16.000 Follower hat er bei Instagram, 11.000 auf Facebook und 6.700 bei Youtube.

Der Leipziger Zoo-Tierpfleger Jörg Gräser bastelt jetzt für Social Media Tierskulpturen.
Der Leipziger Zoo-Tierpfleger Jörg Gräser bastelt jetzt für Social Media Tierskulpturen.
Foto: Andreas Stedtler

Für die Videos steht er meist entspannt an einem Tisch im Garten seines Hauses im sächsischen Taucha bei Leipzig. Er erfüllt dabei Wünsche von Zuschauern, sagt er. Im Mai hatte er erzählt: „Ich mache das jetzt für eine ältere liebe Frau, die ich total gern habe und die im Krankenhaus liegt.“ In Namibia sei sie gewesen und habe die Oryxantilopen gesehen.

Wie Gräser selbst. Er schnitzt Löcher in eine Honigmelone, formt einen Kopf aus Sellerie, Flecken aus roter Rübe. Im Gespräch mit dem Kameramann referiert Gräser über die Antilopen-Art, stopft Maden in Melonenlöcher.

Die Liebe zu Tieren ist eine der großen Triebfedern im Leben von Jörg Gräser. „Ich bin so aufgewachsen. Wir haben immer irgendetwas großgezogen.“ Er stammt aus dem kleinen Ort Frauendorf im Landkreis Leipzig, zum Haus gehört ein großes Grundstück.

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Er sei ein richtiger Dorfjunge, sagt er. „Meine Mutter hatte einen zahmen Rehbock, einen Fuchs, eine Dohle. Wir hatten Ziegen, Hunde.“ Mit dem Onkel wanderte er stundenlang über die Felder.

Jörg Gräser: Verbindung zu Tieren seit seiner Kindheit

Tiere gaben ihm immer viel, sagt er, „ich spüre da eine echte Verbindung“. Das Kopfschütteln der älteren Brüder störte ihn nicht, wenn er Stunden im Taubenschlag verbrachte oder täglich eine verletzte Hummel von Blüte zu Blüte trug.

Ich habe versucht, mich in die Tiere hineinzuversetzen, sie zu verstehen.

Jörg Gräser Tierpfleger

Vor allem für Vögel interessiert sich Gräser. „Meine Trommeltaube trommelte jeden Morgen ans Fenster, bis ich wach war. Das werde ich nie vergessen.“ Mit sieben Jahren schenkte ihm der Vater Brieftauben, die Gräser auf dem Dachboden hielt. Ein Bruder brachte zehn Rebhuhneier aus einem verlassenen Nest mit.

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„Meine Brieftauben haben die ausgebrütet. Ich bin extra nicht mit in den Urlaub gefahren, um die Eier zu hüten. Acht Vögel sind geschlüpft. Das war ein tolles Erlebnis.“ Er las viel, beschaffte sich Literatur, „auch wenn das in der DDR nicht einfach war“ und versuchte, sich in „die Tiere hineinzuversetzen, sie zu verstehen“.

Zu den meisten Tierarten könnte Gräser ganze Vorträge halten. „Brieftauben haben ein exzellentes Heimfindevermögen, sie wurden mit Kameras wie eine Art Drohne eingesetzt oder auch zum Schmuggeln von Diamanten. Das ist doch sehr interessant.“

1985 fing Jörg Gräser als Tierpfleger in Leipzig an

1985 begann er seine Lehre zum Tierpfleger im Leipziger Zoo. Dabei war das nur der dritte Berufswunsch. Ursprünglich wollte er Tierpräparator werden. „Man erhält Tiere für die Nachwelt, die es heute nicht mehr gibt.“ Doch die einzige Ausbildungsstätte in Berlin nahm ihn nicht. Dann legte er sich auf Schiffskoch fest, wollte um die Welt reisen, das redeten ihm die Eltern wieder aus.

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Nach der Lehre im Zoo war er 36 Jahre im Afrika-Revier tätig: Tiger, Löwen, Mähnenwölfe, Hyänen, Erdmännchen. Als Löwen-Baby Malik 2004 per Hand aufgezogen wurde, war Gräser mittendrin. Sein Spitzname: „Löwenpapa“.

Er wirkt immer wie ein Tierversteher, der Stimmungen seiner Tiere selbst erfühlt. „Mit jeder Geburt wird ein neuer Charakter geboren. Die Herausforderung ist, damit zu arbeiten.“

Jörg Gräsers Symbiose mit den Tieren

Das Wichtigste sei, eine Bezugsperson zu sein, sagt Gräser. „Man lernt die Tiere intensiv kennen, mit manchen ist es wie in einer Symbiose.“ Er erkenne schon an den Augen, ob eines krank ist. Er nehme das auch mit nach Hause, wenn es seinen Schützlingen schlecht gehe.

Wurden Löwen an andere Zoos abgegeben, besucht sie Gräser, spricht mit ihnen am Zaun – wie vorher in Leipzig. Stirbt ein Tier, sei das ein „schwarzer Tag“ für ihn, sagt er 2021 in einem Podcast. „Da rollt auch mal eine Träne und es braucht mich keiner anquatschen.“ Die Löwen im Leipziger Zoo hat er seit seinem Weggang nicht mehr besucht. Das erzählen Wegbegleiter. Er selbst sagt dazu nichts.

Tierpfleger aus Zoo Leipzig nimmt vieles sehr sensibel wahr

Gräser wirkt im Gespräch manchmal wie jemand, der sich lieber mit Tieren als mit Menschen umgibt. Er selbst sieht das nicht so: „Ich mag beide um mich, natürlich. Vielleicht ist es mit mir nicht immer ganz leicht für andere, weil Tiere oft an erster Stelle stehen.“

Er kann sehr in deren Welt versinken. Gräser nimmt vieles sehr sensibel wahr. „Der Frühling ist toll, wenn das Leben erwacht, die Vögel zwitschern. Man nimmt vieles ganz anders wahr. Die meisten nehmen sich aber keine Zeit dafür.“

Jörg Gräser begeistert sich auch für kleine Details in der Natur

Fährt Gräser mit dem Rad zur Arbeit, bleibt er zwischendurch stehen, saugt Gerüche und Geräusche auf. „Mich begeistert schon, wenn ich sehe, wie eine Amsel ihre Kinder füttert. Die Natur ist ein Wunder.“ Und dann ist da auch etwas Kindliches, der Wunsch, Kompliziertes einfacher zu sehen: „Das Grau der Städte finde ich abschreckend. Ich fände es schön, wenn Autos bunt wären.“

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Die Unterschiede zwischen Tier und Mensch bringt er in dem Podcast so auf den Punkt: „Wir sind auch nur haarlose Affen, die mit ein bisschen mehr Grips draußen rumrennen. Wie die Tiere uns sehen, ist deren Sache.“

Im Podcast wurde er auch gefragt, wie er seinen Status selbst sieht. Gräser antwortete: „Status? Ich arbeite ja eigentlich nur. Und das Fernsehen kommt mit und filmt.“ Aber ja, er werde oft erkannt, auch draußen – meist an der Stimme. Er mag es, als Tierpfleger angesprochen zu werden, sagte er. „Früher bist Du mit deiner Karre alleine hier lang gegangen und da hat sich keiner getraut, dich anzusprechen.“

Brieftauben, Erdmännchen, Mandarin-Enten: Jörg Gräser ist privat viel beschäftigt

Seit Ende 2023 arbeitet er nach der Zwischenstation im Streichelgehege im Vogelhaus. Lieblingstiere habe er nicht. „Ich mag alle Tiere. Jede Art ist besonders, jede hat Superkräfte. Vögel begleiten mich schon mein Leben lang.“ Privat ist der dreifache Vater viel beschäftigt. Zuhause hält er Brieftauben, Erdmännchen, Mandarinenten.

Er hat einen Kalender mit Bastelskulpturen veröffentlicht, hält Vorträge etwa zum brasilianischen Urwald. Im September erscheint sein erstes Buch „Gräsers Tiergeschichten“.

Darin berichtet er von Begegnungen mit Tieren, die er zu Hause in Taucha oder auf Reisen hatte, etwa nach Tansania, Kenia, Namibia und Madagaskar. Er erzählt von Momenten, die ihn tief erfüllen. „Dafür lebe ich, Tiere werden immer ein großer Teil von mir sein.“

Jörg Gräser schaut auf die Uhr. Er muss los, er ist noch verabredet. Er verabschiedet sich, zieht die Kappe ins Gesicht und verschwindet in der Menschenmenge.