Landrat im Burgenlandkreis Landrat im Burgenlandkreis: Das Phänomen Harri Reiche tritt ab
Naumburg/MZ - Das ist kein Mann fein geschliffener Worte, kein intellektueller Typ - er ist eher salopp, direkt, bodenständig. Er kommt bei Wirtschaftsbossen ebenso an wie bei dem Arbeiter oder dem Landwirt, bei Künstlern wie bei Sportlern. In den 13 Jahren an der Spitze des Burgenlandkreises hat Harri Reiche viele Menschen für sich gewonnen. Aber Herz, Rücken, Knie und Hüfte lassen ihn das Handtuch werfen und von einer erneuten Kandidatur Abstand nehmen. Dabei hätte er gute Chancen gehabt, am Sonntag mit einem Sieg die Landratswahl zu gewinnen. Denn gegen die Institution Harri Reiche mochte kaum einer antreten. Keiner von der CDU, keiner von der SPD, keiner von den Linken.
Erst als Harri Reiche Anfang Januar überraschend seinen Verzicht ankündigte, setzte bei der Kandidatensuche die Betriebsamkeit ein. „Noch in der Silvesternacht habe ich überlegt, ob ich nicht doch für zweieinhalb oder drei Jahre antrete“, sagt Reiche. Aber ein Halbzeit-Landrat, das wollte er denn doch nicht sein. Überrascht hat er damit alle, selbst die Familie. „Aber ich bin ein Mensch, der solch eine persönliche Entscheidung nicht mit anderen diskutiert, eben auch nicht mit der Familie.“ Die Entscheidung - „nein, die habe ich nicht bereut, sie war richtig“. Er sei zwar nicht sterbenskrank, aber es sei absehbar, dass er irgendwann 70- oder 80-Stundenwochen nicht mehr durchhalte.
Schwerer Unfall
1977 hat sich der leidenschaftliche Fußballer während seiner Armeezeit bei einem Unfall schwer verletzt. Schlüsselbein kaputt, Mittelfuß gebrochen, Wirbelsäule verletzt, Bandscheibenvorfälle folgten, später Knieoperationen. Nachwirkungen sind geblieben. Und als vor seinem 60. Geburtstag 2013 auch das Herz einen Vorwarnton gab, da setzten auch die Überlegungen ein.
Nun wird er gehen, der Landrat, der gelernte Kesselbauer mit späterem Meisterbrief. Er war schon in den 1980er Jahren als SED-Mitglied auf den Bürgermeisterstuhl seiner Heimatgemeinde Wohlmirstedt gerückt. Nach der Wende wurde er wiedergewählt. Die Leute fanden ihn einfach gut.
1999 kandierte er für den Kreistag. Als mittlerweile Parteiloser schloss er sich der SPD-Fraktion an. Die meisten fanden, dass er ein Zugpferd wäre und wählten ihn zum Fraktionschef. Es gab jedoch auch Kritik. Einige hatten Probleme mit einem Parteilosen an der Spitze. Es kam zur Spaltung, und es gab zeitweise zwei SPD-Fraktionen. Die Lage beruhigte sich erst, als Reiche in die Partei eintrat.
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"Seine Bürgernähe war bemerkenswert"
2001 gewann er mit der SPD im Rücken die Landratswahl. Doch bereits 2004 verließ Reiche die Partei. Danach schloss er sich keiner anderen Partei an, nahm jedoch dankbar die Unterstützung der CDU für die Wahl 2007 entgegen. Er habe sein Mäntelchen nach dem politischen Wind gehängt, werfen ihm einige vor. Reiche sieht das pragmatisch. Die Parteilosigkeit habe es ihm ermöglicht, mit allen demokratischen Fraktionen zusammenzuarbeiten.
Das schätzen viele. Kreistagsvorsitzender Dieter Stier (CDU): „Seine Bürgernähe war bemerkenswert, auch dass er nach Meinungsverschiedenheiten schnell wieder auf einen zugekommen ist. Manchmal musste ich mit ihm aber auch diskutieren, dass der Kreistag über der Verwaltung steht.“ „Er hat den Bürgern aufs Maul geschaut“, sagt Linken-Fraktionschefin Christine Krößmann, „und auf seine Versprechen war Verlass. Seine oft poltrige Art habe ich weniger geschätzt.“
Doch es gab auch politische Blessuren. Wie im Müllskandal, als auf mindestens zwei Deponien des Landkreises falsch deklarierter Abfall eingelagert wurde. Reiche wurde damals in den Untersuchungsausschuss des Landtags zitiert. Attackiert wurde er auch nach Wahlfälschungen bei der Kreistagswahl 2005. Damals wurden Unterschriftenlisten gefälscht. Damit hatte Reiche zwar nichts zu tun, aber die Wahl wurde für ungültig erklärt und es gab drei Monate keinen Kreistag. Dennoch hat Reiche zugestimmt, dass Geld für die Fraktionsbüros bezahlt wurden. „Das würde ich auch wieder so machen“, sagt er. Es sei um die Existenz von Menschen gegangen, die mit der Fälschung nichts zu tun hatten.
Pläne in der Schublade
Zu seinen Erfolgen zählt, dass er dafür gesorgt hat, dass die Ämter im Kreis immer Pläne im Schreibtisch hatten, um schnell an Mittel aus den Konjunkturprogrammen zu kommen, etwa nach dem Hochwasser 2013. „Aber es waren nie nur meine Erfolge“, sagt er und verweist auf die Mitstreiter im Amt und im Kreistag.
Nach dem Ausscheiden aus dem Amt würde er sich gerne in der Wirtschaftsförderung engagieren, seine Kontakte einbringen. Doch noch hat er gut sieben Wochen als Landrat vor sich. „Und über das Danach nachzudenken, dazu bin ich noch nicht gekommen.“