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Supermarkt in Pretzsch Supermarkt in Pretzsch: Im Supermarkt fällt der Hammer

Von Karina Blüthgen 27.06.2016, 15:44
Es geht weiter: Holger Habedank übernimmt den Pretzscher Markt von Karl-Heinz Kiesel. Ab Anfang Juli wird umgebaut.
Es geht weiter: Holger Habedank übernimmt den Pretzscher Markt von Karl-Heinz Kiesel. Ab Anfang Juli wird umgebaut. Sascha Graf

Pretzsch - Bis Mittwoch noch, dann ist Schluss für Karl-Heinz Kiesel. „Ich höre auf, nach 99 Jahren und drei Generationen verlässt der Leiter das sinkende Schiff“, sagt der Pretzscher Kaufmann aus Leidenschaft. Er gibt unumwunden zu, dass er in diesen letzten Tagen „nah am Wasser gebaut“ und ständig ein Taschentuch in der Hand hat. „Ganz schlimm ist es, wenn Kunden kommen und mir ihren Dank aussprechen“, sagt Kiesel.

Das wird am Mittwoch öfter geschehen, dann ist Ausverkauf der Frischeprodukte. Am 30. Juni fällt der Hammer, ab 1. Juli führt Holger Habedank, der in Wittenberg, Zahna und Kemberg weitere Märkte betreibt, die Geschäfte weiter. Der Pretzscher Markt wird ab Anfang Juli 14 Tage für den Umbau geschlossen bleiben. „Wir werden neue Kühlanlagen nach dem City-Markt-Konzept einbauen“, erklärt Andrea Rogalinski in Vertretung der Geschäftsleitung. Eine Frischfleischtheke wird es nicht mehr geben, verkauft werden Fleisch und Wurst künftig abgepackt im Selbstbedienungsbereich.

Dass das Personal übernommen wird, freut Karl-Heinz Kiesel. „Es ist toll, die Leute behalten ihre Arbeitsstelle.“ Ob jedoch die Stammkundschaft ihrem kleinen Markt die Treue halten wird, „das wird man sehen, wenn der Markt in Bad Schmiedeberg fertig ist“. Gekämpft haben die Pretzscher schließlich lange und mit Nachdruck (die MZ berichtete). Kiesel selbst ist am Ausräumen. „Wir müssen besenrein übergeben“, sagt er. Derzeit sortiere er Schriftstücke, „was man in 25 Jahren so aufgehoben hat“.

1917 hatte sein Großvater Edmund Kiesel einen kleinen Kaufmannsladen von zwei älteren Damen erworben und weiter geführt. Bis Ende 1946 sorgte er für Waren des täglichen Bedarfs sowie für Spezialitäten wie frisch geröstetem Kaffee oder auch Kautabak. Im Januar 1947 übernahm Heinz Kiesel die Leitung. Zu DDR-Zeiten immer selbstständig, war er mit dem Auto oft unterwegs, um frische Produkte vom Erzeuger zu holen. Erdbeeren und Pfirsiche aus Jessen waren ebenso zu haben wie Süßkirschen aus Querfurt. „Wenn aus Ungarn Wassermelonen im Güterwagen ankamen, hat mein Vater einige Soldaten der Sowjetarmee engagiert, die haben sie ausgeladen und wir haben sie mit dem Lkw abgeholt“, erinnert sich Kiesel. Und hängt gleich noch eine Geschichte mit den Haferflocken dran, die die Familie eine Zeit lang jeden Abend in Drei-Kilo-Tüten abfüllte, weil es keine anderen gab.

„Als mein Vater älter wurde, bat er mich einzusteigen. Also habe ich 1978/79 meinen Bauingenieur an den Nagel gehängt“, erinnert sich Karl-Heinz Kiesel. Der heutige Edeka-Markt wurde 1995 auf dem Grundstück der Familie gebaut. „Jetzt ist alles vorbei. Ich bin im vorigen Jahr 65 geworden. Und die Kinder wollten es nicht übernehmen“, so Kiesel, der, wenn alles übergeben ist, mit Lebensgefährtin Elke Hensel erstmals eine ganze Woche Urlaub machen will. „Das haben wir vorher höchstens mal alle zwei bis drei Jahre übers Wochenende gemacht.“

Und dann? „Ich habe ein bisschen Angst vor den Krankheiten, die ich dann spüre“, kann der Noch-Inhaber schon wieder lachen. „Ich werde dann ins E-Center nach Wittenberg gehen zu Frau Jahn und dort ein bisschen aushelfen. Sie freut sich schon.“ (mz)