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Sternstunde für Helga Freund Sternstunde für Helga Freund: Wittenbergerin ist 35-fache Weltmeisterin

Von Michael Hübner 19.04.2020, 07:09
Helga Freund ist die erfolgreichste Sportlerin in Wittenberg und trainiert auf der Elbe.
Helga Freund ist die erfolgreichste Sportlerin in Wittenberg und trainiert auf der Elbe. Thomas Klitzsch

Wittenberg - Helga Freund kann die Zahl ihrer Medaillen nicht exakt beziffern. Die Kanusportlerin aus Wittenberg ist 35-fache (!) Weltmeisterin. Doch ausgerechnet das Edelmetall ihres ersten großen Triumphes fehlt in der Sammlung. „Mit 19 Jahren wurde ich DDR-Vizemeisterin“, erzählt die heute 66-Jährige, „die Silbermedaille hat mein Sohn im Kindergarten gegen ein Matchbox-Auto eingetauscht.“

Das bei den Steppkes besonders begehrte Spielzeug gab es im real existierenden Sozialismus nur gegen Devisen. „Und wir hatten kein Westgeld“, berichtet die Mutter, die mit 48 Jahren ein unglaubliches Comeback startete - zuvor war sie vom elften bis zum 21. Lebensjahr aktiv - und weltweit Siege erpaddelte.

Besonders in Erinnerung sind die drei Titel 2019 in Ungarn im Zweier. „Die Stimmung war toll, alles war bestens vorbereitet, und ich war gut drauf“, erzählt sie. Mit ihrer Partnerin Antje Müller aus Preetz bei Kiel - „Wir steigen ein und es klappt.“ - werden zwei Strecken gewonnen.

Den dritten Erfolg für die Wittenbergerin gibt es im Mixed mit einem Mann aus Polen, obwohl eine Verständigung durch die Sprachbarrieren praktisch nicht möglich war. Freund spricht von einer „Harmonie ohne Worte“ und erklärt: „Mein „Hop“ vor dem Ziel versteht er schon.“ Das Wettkampfjahr 2019 wird durch sieben Titel bei den Europameisterschaften in Turin komplettiert.

Triumphzug trotz Kenterns

Besonders dramatisch ist für das Aushängeschild der Wassersportgemeinschaft Wittenberg (WSG) das Marathon-Rennen bei der WM in Auckland (Neuseeland) 2017. Bei der 13-Kilometer-Distanz muss nach jeweils 4.000 Metern eine Strecke an Land im Sprint absolviert werden.

„Dazu wird das Kanu geschultert“, berichtet Freund, die sich für die Wettkämpfe ein 37 cm schmales und etwa zwölf Kilogramm schweres Kanu vor Ort mietet. Ihr spezielles Paddel - ein linksgedrehtes - hat sie trotz des staunenden Personals beim Check In aus der Lutherstadt mitgebracht.

Freund geht den langen Kanten ungewohnt forsch - fast im Sprintstil - an. Zur Hälfte der Distanz hört sie ihren Ehemann rufen. So weiß sie, dass sie klar vorn liegt, als ein Missgeschick alles in Frage stellt. Sie kentert, das hat sie über ein Jahrzehnt nicht mehr erlebt.

Sofort sind Rettungskräfte zur Stelle. Die Wittenbergerin ruft „No help!“ Sie fürchtet - das ist in einem solchen Fall die Regel - die Disqualifikation. Was die Athletin aber nicht weiß: Die Jury hat in Anbetracht der hohen Wellen längst die Unterstützung zugelassen.

Aber Freund meistert alles aus eigener Kraft und legt sich wieder ins Zeug. Es wird trotz des Malheurs ein Triumphzug. Die Konkurrentin aus dem Gastgeberland hat am Ende einen Rückstand von über zehn Minuten. Freund mag diese Einer-Disziplinen am meisten. „Das ist meine eigene Leistung“, begründet die Frau, die auch gern mal „ein Feld von hinten aufrollt“.

Corona stört die Vorbereitung

In diesem Jahr sollen die Weltmeisterschaften im August in der Ukraine stattfinden. Doch die Vorbereitungen laufen alles andere als normal. Eigentlich trainiert Freund sechsmal die Woche bei Wind und Wetter auf der Elbe und das inzwischen auch nicht mehr allein, sondern mit Kerstin Kaule.

Doch das Duo wird ausgebremst. Dafür sorgt das Corona-Virus. Das Territorium der WSG ist als Sportstätte - und damit auch der Zugang zum Fluss - gesperrt.

Trotzdem hält sich Freund - unter anderem mit Gymnastik - fit. „Auf der Couch liegen ist nicht mein Ding“, sagt sie. Und sollten die WM-Rennen tatsächlich stattfinden, ist die Wittenbergerin trotz der suboptimalen Vorbereitung dabei. So oder so: Sie freue sich schon jetzt auf die WM 2021 in Finnland. (mz)