Sicherheit im Landkreis Wittenberg Sicherheit im Landkreis Wittenberg: Räuberbande im Anmarsch?
Wittenberg - Guido Grandt nennt sich Experte. Der Mann schreibt Briefe mit dem Aufdruck „persönlich“ an Einwohner und warnt: „Es ist fünf vor zwölf. Nach meiner neuesten Recherche wird Lutherstadt Wittenberg schon in Kürze in einem unheilvollen Brennpunkt stehen“, so der Chefradakteur eines monatlich erscheinenden Sicherheits-Ratgebers.
Er behauptet: „Raubende Verbrecherbanden aus den östlichen Staaten der Europäischen Union haben Deutschland, ja sogar Lutherstadt Wittenberg, systematisch in Regionen aufgeteilt und festgelegt, wann und wo bei wem Beute zu machen ist. Längst sind die Gebiete abgesteckt, werden die Opfer markiert.“
Kein Polizist wolle sich „mit diesen hoch kriminellen Zeitgenossen anlegen“. So etwas würden die „Polizei in Lutherstadt Wittenberg und die verantwortlichen Politiker in Sachsen-Anhalt“ verschweigen oder „niemals öffentlich sagen“.
Streit um Straftaten-Statistik
Grandt bezeichnet Meldungen „in der Zeitung oder im Lokalradio“ wie „Zahl der Einbrüche ist rückläufig“ oder „Gewalttaten haben nicht zugenommen“ als gelogen. Tatsächlich sei die Zahl der Einbrüche, der Gewaltverbrechen, der Internetbetrugsversuche, der Enkel-Trickbetrüger und der Sexualstraftaten so hoch wie nie.
Grafische Symbole können seit dem Beginn der Neuzeit belegt werden - damals bekannt als „Mordbrennerzeichen“. Das „Zinken“ leitet sich vom althochdeutschen Begriff für Zacken ab - die „gezinkten Karten“ haben bis in den heutigen Sprachgebrauch überlebt, um Falschspielertricks zu bezeichnen. In historischen Zusammenstellungen fanden Forscher 340 Zeichen, die in ihrer Bedeutung von „fromm tun lohnt sich“ bis „hier wohnt Polizei“ reichen. 2014 wurden in Norddeutschland Gaunerzinken gefunden. Eine moderne Variante der alten Methode ist „War Chalking“ (aus dem Englischen frei mit „Kriegsbemalung“ zu übersetzen), bei dem offene Funknetzwerke mitgeteilt werden.
„Doch um das zu vertuschen, greift die Polizei bei der offiziellen Verbrechenstatistik zu einem ganz üblen Trick. Nicht freiwillig, sondern weil es die Politik so will. Der Trick funktioniert ganz einfach“, behauptet Grandt weiter.
„Es werden nicht mehr die Einzeltaten erfasst, sondern die Tätergruppen. Wenn also dieselbe Bande alle Häuser in Ihrer Straße ausrauben würde, taucht das in der Statistik nur ein einziges Mal auf.“ Nach seinen Angaben geben die „offiziellen Behörden“ zu, dass „nur noch 17 Prozent“ aller Einbrüche aufgeklärt werden.
„Wenn Sie nun noch an den Statistik-Trick denken, wissen Sie, dass selbst diese erschütternd geringe Zahl noch falsch und geschönt ist“, so Grandt.
Die Argumentation des Sicherheits-Experten hat nur einen Haken: Die Fakten stimmen nicht. Das sagt Ralf Moritz. „Jeder Einbruch wird erfasst und geht in die Statistik ein“, so der Sprecher der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost.
Jeder Anzeigeerstatter erhalte für seinen Fall eine separate Tagebuchnummer. Dass bei einem Täter mehrere Straftaten - und damit auch mehrere Opfer - zusammengefasst werden, habe gar nichts mit Fragen der Statistik zu tun. Die Alltagkriminalität sei in Wittenberg auch im Reformationsjahr nicht angestiegen.
Darüber hinaus werde die Sicherheitslage kontinuierlich eingeschätzt. „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich eine Tätergruppe explizit Wittenberg ausgesucht hat“, sagt Moritz auf MZ-Anfrage.
Das war 2015 anders. Da tauchten in Jessen und Trebitz Gaunerzinken auf. Das sind geheime Symbole, die Diebesbanden als Kommunikationsmittel dienen. „Es folgten aber keine Einbrüche“, sagt Wittenbergs Reviersprecherin Cornelia Dieke.
Zeichen geben Rätsel auf
Aktuell sind die Dessauer in Sorge: Die Zeichen sind unübersehbar - haben da Diebe und Einbrecher Markierungen hinterlassen? „Eher nicht“, sagt Sebastian Opitz. Dessaus Polizeisprecher hat im Internet recherchiert. „Der durchgestrichene Kreis, das ist ein Gaunerzeichen. Das ist das Symbol für ,Hier ist nichts zu holen’“, so Opitz. Für die anderen beiden Zeichnungen habe man aber keine Erklärung. Gaunerzinken hält der Polizist für unwahrscheinlich. „Die bringt man nicht so groß und so offen an.“ Das seien ja verdeckte Zeichen.
Die Polizei setzt in puncto Sicherheit auf ihre Präventionsarbeit. Und die ist in der Lutherstadt laut Moritz gut. Auf Anfragen werden Firmen und Privatpersonen von den Beamten vor Ort zu Sicherheitsfragen beraten. „Und der Service der Polizei ist kostenlos“, so Moritz. Bei dem Mann, der mit dem Blick auf den vermeintlichen Anmarsch der Räuberbanden für sein gedrucktes Sicherheits-Paket wirbt, ist nur die Testausgabe gratis. (mz)