MZ-Serie Teil 5 MZ-Serie Teil 5: Silvester in Nicaragua wird zum Glühwürmchen-Feuerwerk
Ocotal/Nicaragua - „Vamos!“- Wie lange hatte ich darauf gehofft, dieses „Auf geht’s“ als Startschuss für ein ganz besonderes Abenteuer zu hören! Wegen verschiedener Schwierigkeiten war lange nicht klar gewesen, ob wir diese Reise wirklich antreten könnten.
So kam es dazu, dass wir drei Tage vor Reisebeginn - spontan, wie es hier in Nicaragua üblich ist - anfingen zu überlegen, wie viel Proviant wir wohl brauchen würden und wer woher eine Hängematte bekommen könnte.
Der Plan war nämlich, unter freiem Himmel auf Hängematten zu schlafen und die Mahlzeiten mit Hilfe eines Feuerchens selbst zu kochen, um die Kosten so gering wie möglich zu halten. Ich wusste anfangs nicht, wie das alles funktionieren sollte und stellte es mir immer vor wie in den Serien, wo Menschen einfach in der Prärie ausgesetzt werden und schauen müssen, wie sie überleben.
Katastrophe zu Beginn
Allein wäre ich wohl nicht auf die Idee gekommen, so etwas selbst auszuprobieren, aber ich wusste, dass meine Freunde hier in Nicaragua so eine Unternehmung nicht zum ersten Mal machen und gelernt hatten, die Mittel der Natur zu nutzen. Die Menschen in Nicaragua leben allgemein enger mit der Natur zusammen, als wir in Deutschland.
Aber genau das reizte mich ganz besonders. Ich bin unter anderem deswegen hier, weil ich lernen will, wie die Menschen auf der anderen Seite der Erde, inmitten eines ganz anderen Kulturkreises ihre Mittel und Wege finden, ihr Leben auf ihre eigene Art und Weise zu gestalten.
Geld mit Jonglieren verdient
Die Jungs, die mitkommen wollten, verdienten sich in den zwei Wochen vor der Reise Geld, indem sie an den Ampeln in der Stadt kleine Zirkusvorstellungen gaben. Sie jonglierten mit Lichtern oder mit Feuer, was besondere Szenarien in die abendlichen Dunkelheit brachte.
Ich hätte nie erwartet, dass dabei Geld zusammenkommt, denn die Leute hier haben nicht gerade viel davon. Aber hilfsbereit sind hier eben viele. Das hat mich wieder einmal beeindruckt, angesichts der Umstände. Die Jungs hatten dann so viel Geld zusammen, dass sie die Reise finanzieren konnten.
Juana und ich haben unseren Teil selbst übernommen. Aber im Vergleich zu Europa kann man nicht von Unkosten sprechen, da etwa eine vierstündige Busfahrt etwas über drei Euro kostet. Und so konnte es losgehen, mit nicht viel mehr als Hängematte und Reis im Gepäck.
Schon des Öfteren hatte ich das Gefühl, dass jedes tolle Erlebnis mit einer Katastrophe für mich beginnt, so wie etwa meine ganze Zeit in Nicaragua mit einem sehr nervenaufreibenden Hinflug anfing. Diesmal allerdings wäre die ganze Reise fast ganz für mich geplatzt, wenn ich hier nicht so tolle Freunde gefunden hätte.
Mein Wecker hatte leider nicht wie geplant 3.40 Uhr geklingelt, oder ich hatte ihn nicht gehört, jedenfalls schreckte ich 4.38 Uhr hoch - acht Minuten nachdem wir uns an der Bushaltestelle verabredet hatten.
Kurz, aber lohnenswert
Freydi, einer der Jungs vom Zirkus, war aber extra zu meinem Haus gekommen, wodurch meine Gastmutter wach wurde und letztendlich auch mich weckte. Wir hatten dann das große Glück, dass zufällig ein Taxi an meiner Straße vorbeifuhr, was uns bis zur Bushaltestelle am anderen Ende von Ocotal brachte.
Dort hatte der Bus eine kurze Wartezeit, weshalb wir zu meiner großen Erleichterung unsere Plätze neben den anderen einnehmen konnten, die schon zur verabredeten Zeit ein paar Haltestellen früher in den Bus gestiegen waren. Unsere Reisegruppe mit meiner Mitfreiwilligen Luana und den Jungs vom Zirkus Néstor, Eliezer und Beto, hatten leider nur fünf Tage Zeit.
Davon saßen wir wegen der weiten Wege etwa zweieinhalb Tage im Bus, aber gelohnt hat es sich definitiv. Unser erstes Reiseziel war die im Nicaragua-See gelegene Insel Ometepe im Süden des Landes.
Die Natur zeigt hier auf besondere Art und Weise, was sie alles zu bieten hat. Die ganze Insel ist grün und hat mit ihren zwei Vulkanen noch eine besondere Attraktion zu bieten. Wir schlugen am Strand unser Lager auf. Eigentlich wollten wir alle in Hängematten schlafen, doch die Bäume waren nicht dazu geeignet.
Wenn ich etwas gelernt habe, dann das man nicht aus allem ein Problem machen muss. Nicaraguanisch zu sein, heißt flexibel zu sein. So schliefen wir zu sechst quer auf drei Plastehängematten, die auf dem Boden lagen.
Beeindruckt hat mich, dass die Jungs zu jeder Mahlzeit zwei Feuer machten. In Töpfen kochten wir Reis oder Nudeln, Kartoffeln und Bananen. Schlecht ging es uns nicht, das Essen hat wirklich geschmeckt.
Das Lager am Strand
Da wir unser Lager am Strand aufgeschlagen hatten, konnten wir viel Zeit im Wasser verbringen oder die Jungs beim Fischen. Es war für mich etwas verrückt, dass im Dezember solche Sommerurlaubsgefühle aufkamen, aber ich genoss es in vollen Zügen.
Das Wasser war lange sehr flach, wodurch wir sehr weit hineingehen konnten und viel Spaß hatten. In Nicaragua ist es offensichtlich nicht üblich, dass die Leute richtig schwimmen können.
Am Abend, als es dunkel geworden war, wartete noch eine ganz besondere Überraschung auf mich: Ich stand plötzlich mitten in einem Meer aus unzähligen aufflimmernden Lichtern. Ich war so fasziniert von diesem Feuerwerk am Boden, dass ich mich für eine halbe Stunde nicht vom Fleck bewegen konnte.
Die Natur feiert Silvester mit Glühwürmchen
Natürlich hatte ich schon vorher Glühwürmchen gesehen, aber nie hatte ich auf der einen Seite neben mir das Wasser bis zum Horizont und auf der anderen Seite dieses Meer aus Lichtern, soweit das Auge reichte, erlebt. Mir kam der Gedanke, dass die Natur vielleicht so ihr Silvester feiert und auch auf die Unendlichkeit der Zeit hinweist.
Für mich hat die Weihnachtszeit trotz allem auch in diesem Jahr eine große Bedeutung. So wollte ich auch den 6. Dezember nicht spurlos an uns vorbei ziehen lassen und befestigte kleine Süßigkeiten an den Schuhen oder Rucksäcken der anderen. Diese waren zwar etwas verwirrt, doch Luana kam schließlich darauf, dass das der Nikolaus gewesen sein musste. Den Nikolaus kennt man hier nicht.
Unsere Reise hatte aber noch einen weiteren Höhepunkt: Die Purísima in León. Letztere ist eine der beliebtesten Städte Nicaraguas, es ist eine Studentenstadt, wo nach Granada die meisten Kolonialbauten des Landes zu sehen sind. Eine Attraktion der Stadt ist ihre weiße Kathedrale, welche auch zum Unesco-Welterbe gehört. Als wir sie besuchten, bekam sie, wie wohl auch im letzten Jahr um diese Zeit, auf einer Seite einen neuen, weißen Anstrich.
Maria zu Ehren
Von dem Dach der Kathedrale hatte man einen wunderschönen Ausblick über die Stadt, doch lange hält man es dort leider nicht aus, wegen der großen Hitze. León ist auch dafür bekannt, dass die Sonneneinstrahlung besonders groß ist. Eliezer studiert dort. Er lernt manchmal zwischen 22 und 3 Uhr für die Uni, weil er nachmittags aufgrund der Hitze lieber schläft.
Die Purísima ist ein Fest zu Ehren der Jungfrau Maria, welches typisch ist für Nicaragua. Wie zu Weihnachten die Geburt Jesus gefeiert wird, so wird bei der Purísima die Empfängnis der Maria gefeiert. Dazu finden in vielen Orten verschiedene Festlichkeiten statt, aber in León wird es traditionell besonders groß gefeiert. Kurz vor 18 Uhr ging es mit einem riesigen Feuerwerk los.
Spektakel in León
Dieses Schauspiel im Himmel fand am zentralen Platz in León statt, wo sich aufgrund dessen schon bald eine große Menschenmenge versammelt hatte. Es war merkwürdig von einmal wieder viel mehr „Chellos“ (wie hellhäutige Leute hier genannt werden) unter den Leuten zu sehen.
Ich wollte meinen Augen erst nicht trauen, aber ich habe unter diesen Leuten sogar den einzigen deutschen Freiwilligen von meinem Vorbereitungsseminar erblickt, der im Süden Nicaraguas wohnt. Nie hätte ich es für möglich gehalten, ihn zu treffen, die Welt ist wohl auch in Nicaragua manchmal ein Dorf.
Nachdem die Purísima Silvesterstimmung in mir aufkommen ließ, ging es in den Straßen weiter mit Halloween. Es war zwar keiner verkleidet, aber die Leute strömten in großen Mengen zu den Häusern, wo neben Gebrauchsgegenständen und Waschutensilien, wie Becher, Schüsseln, Streichhölzern und Seife, vor allem Süßigkeiten verteilt wurden.
Als wenn mir dieses Einsammeln, fast schon betteln, um Süßigkeiten nicht schon unangenehm genug gewesen wäre, verteilten die Leute komischerweise auffällig oft solche größeren Gegenstände, wie Becher und Schüsseln, an mich.
Einmal ging ein Mann sogar extra in einen Nebenraum, um mir einen Becher zu holen. Aus diesem Grund lief ich später nur noch mit den anderen mit und beobachtete dieses Spektakel. Ich fand es sehr gut, dass die Leute, welche die Gaben verteilten, immer Wert darauf legten, dass an den Hintergrund des Festes erinnert wird.
So bekam man meist nur etwas ausgehändigt, wenn man fragte: „Quien causa tanta alegría?“ (Wer bewirkt bzw. bringt so große Freude?). Daraufhin antworteten die Leute: „La Concepción de María“ (Die Empfängnis der María), während sie etwas verschenkten.
So ging es am darauffolgenden Tag nicht nur mit vielen neuen Eindrücken zurück nach Ocotal, sondern auch mit dem Gefühl, dass uns dieses Abenteuer quer durch Nicaragua noch fester zusammengeschweißt hat. (mz)