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MZ-Serie Teil 2 MZ-Serie Teil 2: Die Kinder von Ocotal

Von Johanna Dannenberg 19.10.2016, 07:25
In der Kinderbibliothek „Las Abejitas“ in Ocotal arbeitet Johanna Dannenberg während ihres Freiwilligen Sozialen Jahres. Neben Hausaufgaben und Kursen können Kinder auch basteln.
In der Kinderbibliothek „Las Abejitas“ in Ocotal arbeitet Johanna Dannenberg während ihres Freiwilligen Sozialen Jahres. Neben Hausaufgaben und Kursen können Kinder auch basteln. Johanna Dannenberg

Ocotal/Nicaragua - Meine Einsatzstelle ist die Kinderbibliothek „Las Abejitas“ in Ocotal. Die Bibliothek gefiel mir von Anfang an sehr. Ein hübsch gestaltetes Plakat mit „Willkommen Johanna“ begrüßte mich gleich am Eingang.

Alle Räume der Bibliothek sind farbenfroh gestaltet und die Bücher und Spiele sind übersichtlich angeordnet. Es gibt ein vielfältiges Angebot an Lernmitteln und Spielsachen, so dass sich hier kein Kind langweilt. Aber nicht nur Lernen sollen die Kinder in der Bibliothek, sie können sich auch zum Entspannen und Lesen in eine gemütliche Ecke mit Kissen zurückziehen. Ich freue mich, dass meine Mitbringsel, deutsche Süßigkeiten, ein Frisbee, sowie ein Federball-Set, gut ankamen bei den Kindern und Mitarbeitern.

Der Tag in der Bibliothek beginnt für alle Mitarbeiter um acht Uhr mit dem Fegen vom Hof neben der Einrichtung. Die Putzfrau Dodge ist meist schon früher da, um auch die Innenräume der Bibliothek sowie die Toiletten zu säubern.

Nicaragua mit seinen 6,5 Millionen Einwohnern ist das zweitärmste Land Lateinamerikas. Das durchschnittliche Einkommen der Bevölkerung liegt bei 2.000 Dollar pro Jahr. Das staatliche Schulsystem teilt sich in eine freiwillige Vorschule (bis sechs Jahre) und Grundschule (Primaria, von sechs bis zwölf Jahren) ein. Anschließend folgt mit der Secundaria die Sekundarschule, als 17-Jähriger kann man einen Abschluss erwerben, der in etwa der Mittlere Reife in Deutschland entspricht. Laut Auswärtigem Amt besuchen über 90 Prozent der Kinder in Nicaragua die Grundschule, aber nur 43 Prozent erzielen am Ende auch tatsächlich einen Schulabschluss. Über 100 000 Jugendliche studieren an den 41 Universitäten, die staatlich oder privat sind. Meist kann an den Universitäten nur ein Abschluss erworben werden, der in etwa dem deutschen Bachelor entspricht.

Ein großes Problem ist die Analphabetenrate. Sie sank von 20 Prozent 2006 auf 15,7 Prozent 2014. Immer noch ist Schulbildung auch vom Geldbeutel der Eltern abhängig, denn die Finanzierung der Schulen durch den Staat ist nicht auskömmlich. Etwa 40-50 Kinder sitzen in einer Grundschulklasse, bis zu 70 Kinder in der Sekundarschule. Das Lehrergehalt ist das niedrigste in Zentralamerika, etwa 120 Dollar verdient ein Grundschullehrer.  

Besuch im Altenheim

Gegen halb zehn Uhr brechen wir vormittags manchmal auf, um „Casitas“ zu besuchen. Casitas sind Außenstellen der Bibliothek in den umliegenden Stadtteilen, wo ebenfalls Hausaufgaben erledigt werden können, aber auch gemeinsam gespielt oder an Aktivitäten teilgenommen werden kann. Wir Mitarbeiter bringen den Kindern immer neue Geschichten zum Lesen mit und basteln anschließend mit ihnen.

Einmal haben wir auch das Altenheim besucht, wo eine Mitarbeiterin der Bibliothek Märchen vorlas und wir anschließend Gesellschaftsspiele mit den dort lebenden Menschen spielten. Mich hat es positiv überrascht, wie locker und gemütlich die Atmosphäre bei diesem Besuch war und mit wie viel Freude sich die Leute mit den Bibliotheks-Mitarbeitern unterhielten, obwohl allen Menschen dort anzusehen war, dass sie kein normales Leben führen können.

Auch mich haben sie sehr nett begrüßt und hatten sichtlich Spaß daran, mit mir „Mensch-ärgere-Dich-nicht“ zu spielen. Ich konnte ihnen nur das nötigste der Regeln erklären, aber das war ihnen auch genug. Ich habe gemerkt, dass es für diese Menschen mehr um dieses gemeinsame Erlebnis beim Spielen ging, als alles zu verstehen und zu gewinnen. Wenn eine Spielfigur rausgeschmissen wurde, wurde viel gelacht, anstatt sich zu ärgern.

Basteln am Nachmittag

Nachmittags gibt es in der Kinderbibliothek verschiedene Angebote, an denen die Kinder teilnehmen können. Oft wird gebastelt, zum Beispiel werden Origami gefaltet, Portemonnaies aus Stoff gefertigt oder Armbänder geknüpft. Meist nehmen zwei bis fünf Kinder daran teil. Viele Kinder beschäftigen sich eher selbst, wenn sie kommen. Luana, ebenfalls eine Freiwillige aus Deutschland, die schon länger vor Ort ist, gibt auch mehrmals in der Woche Deutschunterricht, wo meist die gleiche Anzahl an Jugendlichen kommt. Ich habe den Eindruck, dass sie sehr dankbar sind für dieses Angebot und es als eine besondere Chance für ihre Zukunft sehen.

Ein Mädchen von außerhalb fährt dafür extra ungefähr eine halbe Stunde mit dem Bus. In meinem ersten Monat hatte ich allerdings nur wenige dieser „normalen Arbeitstage“. In meiner ersten Woche habe ich gleich das erste Mal an einer Versammlung der Stipendiaten meiner Aufnahmeorganisation teilgenommen. Und freitagnachmittags findet mit allen Mitarbeitern meiner Aufnahmeorganisation INPRHU jede Woche ein Fortbildungskurs zur Arbeit mit Kindern statt.

Kinderzirkus am Abend

Nachdem die Bibliothek 17 Uhr geschlossen wird, findet bis 18 Uhr das Training des Zirkus „Ocolmena“ statt. Seit meiner ersten Woche nehme ich mit Begeisterung daran teil, was für mich auch eine ganz neue Erfahrung ist, da ich in Deutschland nie selbst etwas mit einem Kinderzirkus zu tun hatte. Ich habe mir fest vorgenommen als erstes Jonglieren zu lernen und freue mich über jeden meiner Fortschritte.

Mich freut es, dass ich hier die Chance bekomme, auch solche, für mich ganz neue Sachen, auszuprobieren. Ich hatte auch schon mehrmals die Gelegenheit bei verschiedenen Festen mit dabei zu sein, wo der Zirkus gebucht wurde.

Zusammen mit Luana kann ich beim Kinderschminken meine Kreativität auslassen. Der Zirkus wurde auch zu einer Parade zugunsten krebserkranker Kinder nach Estelí (rund zwei Stunden von Ocotal entfernt) eingeladen. Während die anderen ihre Künste auf Stelzen, beim Einrad fahren, oder beim Jonglieren unter Beweis stellten, habe ich den Kindern am Straßenrand Herzen oder andere Kleinigkeiten angemalt. Es hat mich selbst sehr glücklich gemacht, wie schnell man den Kindern eine Freude machen konnte.

(mz)

Johanna Dannenberg
Johanna Dannenberg
Archiv/Klitzsch