Fährhaus in Prettin Fährhaus in Prettin: Tränen der Verzweiflung wegen Corona

Prettin - Als Kerstin Schwert, Inhaberin der Gaststätte Fährhaus Prettin, am 19. Mai die MZ aufschlägt, bricht sie in Tränen aus. Mit einer Anzeige gratulieren ihr Familienangehörige zum 25-jährigen Firmenjubiläum. Es sind allerdings nicht Tränen der Rührung, die da bei der 60-Jährigen fließen, sondern der Verzweiflung, die schon einige Wochen in ihr nagt und die sich nun Bahn bricht. Ihre Gaststätte steckt zu diesem Zeitpunkt schon die neunte Woche im Corona-Lockdown.
Nach den Elbe-Fluten 2002 und 2013 ist das die dritte Katastrophe, die die Unternehmerin trifft und die sie wieder fürchten lässt, „dass es mir diesmal das Genick bricht“. Zwar hätte sie ab dem 22. Mai wieder öffnen können. Aber als sie die Liste von Infektionsschutzmaßnahmen sah, die sie zu treffen hätte, „habe ich den Mitarbeiter vom Landkreis gefragt, ob er persönlich unter diesen Bedingungen in eine Gaststätte gehen würde. Ich nämlich nicht.“
Unbehagen bei den Listen
So vergeht auch die zehnte Woche, bis Kerstin Schwert zu Pfingsten wieder öffnet - vorerst, und das bis jetzt, nur an den Wochenenden. Die Stammgäste, die da von dies- und jenseits der Elbe gern zum Mittagessen ins Fährhaus kommen, sind sofort wieder da, und auch Ausflügler kehren ein. „Man hat gemerkt, dass die Menschen rauswollen“, sagt die Wirtin, eine schlanke Frau mit lockigem, kastanienbraun gefärbtem Haar, das sie halblang trägt, und mit freundlichen braunen Augen.
Auch sind die zwei Fremdenzimmer mehr gefragt als in den Jahren zuvor. Es sind Fahrradfahrer und Naturliebhaber, die die Abgeschiedenheit zu schätzen wissen. Der Zuspruch hat die agile 60-Jährige, die sich partout nicht für die MZ fotografieren lassen will, nun doch wieder Hoffnung schöpfen lassen.
Mit einigem Unbehagen legt Kerstin Schwert ihren Gästen die Kontaktlisten zum Ausfüllen vor. Sie zweifelt an deren Sinn. „Weiß ich denn, ob jeder das wahrheitsgetreu ausfüllt?“ Aber sie muss diese Listen führen und es gab dazu auch schon Kontrollen in ihrem Lokal. Die Auflage, dass die Tische abwischbar sein müssen und dass kein Tischschmuck erlaubt ist, kratzt an ihrer Ehre als Gastronomin. „Was ist denn das für eine Gastlichkeit?“
So gut wie jetzt an den Wochenenden das Geschäft laufe, lohne es aber nicht, über die Woche zu öffnen für einzelne Ausflügler. „Man möchte dann auch eine Auswahl an Speisen vorhalten, da stehen Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis“, so Kerstin Schwert. Langweilig sei ihr aber nicht. „Es gibt immer etwas zu tun.“ Außerdem hütet sie derzeit jeden Tag ihren zehnjährigen Enkel, dessen Mama als Altenpflegerin arbeitet.
Ihre beiden Kinder, Tochter und Sohn, sind quasi in der Gastwirtschaft aufgewachsen. „Sie werfen mir heute manchmal vor, dass ich kaum Zeit für sie hatte“, gesteht die Prettinerin. Ihr Sohn ist nun selbst Koch in einer Gaststätte in Welsau bei Torgau.
Ihre Mutter, zwischenzeitlich über 80 Jahre alt, hat die ersten zehn Jahre bei ihr als Köchin gearbeitet, das war ihr Beruf. „Von ihr habe ich viel gelernt“, sagt Kerstin Schwert. Mittlerweile schwingt sie selbst in der Küche das Zepter. „An manchem Wochenende komme ich gar nicht vor die Tür.“ Für den Service und das Saubermachen hat sie tageweise Aushilfskräfte, dabei eine frühere Kollegin aus ihrer Zeit in der Firma Schladitz. „Es ist sehr schwer, jemanden zu finden. Es ist ja auch eine Vertrauensfrage.“
Ob die Fähre übersetzt oder nicht, ist für den Gaststättenbetrieb nicht von Belang. „Von den Durchreisenden hier könnte ich nicht leben“, räumt Kerstin Schwert unumwunden ein. „Die meisten haben es eilig.“ Familienfeiern machen den Großteil des Umsatzes aus. „Da ist seit März alles weggebrochen.“ Und es läuft nur schleppend wieder an, weil sich noch niemand etwas zu planen traut. Unter dem Strich werde am Jahresende wohl ein Umsatzverlust von 80 Prozent stehen.
Eine spinnerte Idee
Dass es 1990 eine spinnerte Idee war, das seit 20 Jahren leerstehende Fährhaus zu kaufen und eine Gaststätte zu betreiben, hat sie der MZ schon mehrfach erzählt. „Ich bereue es nicht“, sagt Kerstin Schwert auch jetzt noch. „Aber ich würde es auch nicht wieder machen.“ Dass sie sich nach den Flutkatastrophen jedes Mal wieder aufgerappelt hat, sei der großen Hilfe von Familie und Freunden zu verdanken. Und ihr Bier-Hauslieferant, die Privatbrauerei Barre in Lübbecke bei Minden, habe sie auch jedes Mal unterstützt.
In Prettin ging kürzlich das Gerücht, die Gaststätte bleibe für immer geschlossen. Deshalb hat Kerstin Schwert auf die Glückwunschanzeige mit einer Dankeschön-Anzeige geantwortet: „Liebe Gäste, ich bin weiterhin für sie da.“ Allerdings räumt sie ein: „Wenn es noch mal einen Lockdown gibt, werfe ich wohl doch das Handtuch.“ Um gleich nachzuschieben: „Aber ich bin 60 - wer gibt mir dann noch Arbeit?“ (mz)