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Bereitschaftspflege Bereitschaftspflege: Baby seit einem halben Jahr in Pflegefamilie

Von Corinna Nitz 22.05.2019, 10:57
Gerdina und Frank Hyzyk sind Eltern einer Tochter und eines Sohnes. Und seit acht Jahren stehen sie als Bereitschaftspflegefamilie zur Verfügung, anders gesagt: Sie leisten erste Hilfe für Kinder in Not und zwar für die jüngsten.
Gerdina und Frank Hyzyk sind Eltern einer Tochter und eines Sohnes. Und seit acht Jahren stehen sie als Bereitschaftspflegefamilie zur Verfügung, anders gesagt: Sie leisten erste Hilfe für Kinder in Not und zwar für die jüngsten. Thomas Klitzsch

Eutzsch - Eine typische Schwangerschaft dauert neun Monate. Ausreichend Zeit also, um sich auf den Familienzuwachs vorzubereiten. Gerdina Hyzyk aus Eutzsch bleiben manchmal nur wenige Stunden, um alles bereitzustellen, was so ein winziger Mensch braucht.

Erst ruft das Jugendamt an, dann fährt die 53-jährige Frau mit den dunklen Haaren, verheiratet und selbst zweifache Mutter, los. Zuletzt geschah das an einem Montagmorgen im November 2018. Das Jugendamt brauchte umgehend eine Bereitschaftspflegefamilie für einen drei Wochen alten Jungen - dessen Mutter ist jung, doch der Kleine ist schon ihr viertes Kind.

Die Rede ist von Überforderung, Angebote aus der Familienhilfe, die es bereits gab, blieben offenbar ohne Erfolg.

Ein Sonnenschein

Seitdem lebt der Junge bei den Hyzyks. Sechs Monate! Er hat sich in dieser Zeit wunderbar entwickelt, er lacht jetzt viel, ein Sonnenschein, dem man die Not, in der er einst kam, nicht anmerkt. Und doch sehen Hyzyks den Zeitfaktor kritisch, über ihren Schützling, dessen Name nicht genannt wird, sagen sie: „Er denkt, er ist jetzt hier zu Hause.“

Auch für sie selbst, die sich aufopfern, Ärzte besuchen, mögliche Rückstände auszugleichen suchen, die den Familienzuwachs auf Zeit, so es sich ergibt, sogar mit in den Urlaub nehmen und die andererseits zu den „Umgängen“ mit der leiblichen Mutter fahren und regelmäßig unter anderem Entwicklungsberichte schreiben, auch für sie wird es nicht einfacher.

Ein Pflegekind sei einmal 14 Monate bei ihnen gewesen, bevor die Behörden über seine Zukunft entschieden hatten. Die Trennung dann war schwer, „da hat man zu knabbern und in der Familie fehlt etwas“. Gerdina Hyzyk, die Babys im Alter von null bis zu einem Jahr aufnimmt, erklärt sich die mitunter langen Aufenthalte mit den Verfahrensdauern.

Nach Auskunft von Gerdina Hyzyk aus Eutzsch, die auch dem Verein der Pflege- und Adoptivfamilien Anhalt-Wittenberg vorsteht, gibt es im Landkreis Wittenberg zehn Bereitschaftspflegefamilien. Um Kinder aus Notsituationen aufnehmen zu dürfen, muss man eine Pflegeelternschulung absolvieren und neben einem Gesundheits- auch ein polizeiliches Führungszeugnis beibringen. Es muss entsprechender Wohnraum vorhanden sein, wie überhaupt von den zuständigen Stellen auch das Umfeld geprüft werde.

Für die unschätzbar wertvolle Arbeit, die Bereitschaftspflegefamilien leisten, erhalten sie nach Auskunft von Landratvize Jörg Hartmann „für die Bereithaltung als Bereitschaftspflegefamilie einen monatlichen Pauschalbetrag“ und, soweit sie „tatsächlich belegt“ sind, das monatlich fällige Pflegegeld. Die Grundausstattung als Bereitschaftspflegefamilie wird übers Jugendamt finanziert.

Hinsichtlich der mitunter langen Verweildauer in Bereitschaftspflegefamilien hat jetzt eine Bereitschaftspflegemutter eine Online-Petition gestartet. Gefordert wird - für das Kindeswohl - eine schnellere Bearbeitung in Jugendämtern und Gerichten. Dazu müsse die Zahl der Jugendamtsmitarbeiter und der Richter an den Amtsgerichten erhöht werden, heißt es in dem Gesuch, das zum Petitionsausschuss des Bundestages geschickt werden soll und an die zuständigen Bundesministerinnen gerichtet ist. Und weiter: „Für Ämter und Gerichte sind die Kinder (gezwungenermaßen) Fall-, Akten- oder Vorgangsnummern. In unseren Familien sind sie Adam, Sophia, Isabella oder Fynn mit ihren Ängsten und Hoffnungen (...) Helfen Sie mit, den Hilflosesten in unserer Gesellschaft mehr Platz, Fokus oder Gewicht zu verleihen. Zeigen Sie mit uns Verantwortung für schutzbefohlene Kinder.“

Sie wünscht sich, zum Kindeswohl, eine schnellere Bearbeitung bei Jugendämtern und Gerichten. Andernfalls bauen die Kinder in den Bereitschaftspflegefamilien und darüber hinaus Beziehungen auf, aus denen herausgerissen zu werden wieder eine traumatische Erfahrung ist.

Auf mitunter unerwartet lange Aufenthalte in Bereitschaftspflegefamilien angesprochen, sagt der Direktor des Amtsgerichts Wittenberg, Johannes Nolte, auf eine Anfrage der Mitteldeutschen Zeitung, dass diese dem Gang der Verfahren geschuldet seien.

Wittenbergs Vize-Landrat Jörg Hartmann erklärt: „Für die Unterbringung in Bereitschaftspflegefamilien gilt das gleiche wie für die Inobhutnahme-Einrichtungen: Aufenthalt so kurz wie möglich, also wenige Tage.“ Dennoch gebe es „Fallkonstellationen“, wo es länger dauert und „dauern muss“, weil die Rückkehr in den Haushalt beziehungsweise die Unterbringung in einer Pflegefamilie oder stationären Einrichtung mehr Zeit bedarf.

Was die Personalstärke der zuständigen Abteilungen beim Kreis betrifft, so setze sich die Kinderschutzfachstelle, die gerade bei „notwendigen Inobhutnahmen “ einbezogen sei, aus der Leiterin und weiteren drei Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern zusammen.

Und im Bereich des Allgemeinen Sozialen Dienstes, in dem es um die klassischen Hilfen zur Erziehung (ambulant und stationär) geht, seien zwölf „fallbearbeitende Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter neben dem Abteilungsleiter“ tätig.

Ein Sozialarbeiter betreue im Schnitt 36 Fälle, das Maximum liegt bei 45. Im Bereich Pflegekinderwesen und Adoption sind laut Hartmann zur Zeit vier Sozialarbeiterinnen im Einsatz, aktuell laufe das Besetzungsverfahren für eine fünfte Stelle.

Dieser Bereich sei in den letzten Jahren „deutlich verstärkt worden“. Deshalb sei auch vermehrt die Unterbringung in Pflegefamilien statt in stationären Einrichtungen möglich geworden.

Im Stand-by-Modus

Und das ist mit eine Hauptantriebskraft bei Hyzyks, die finden: „Kein Kind gehört ins Heim.“ Darum investieren sie viel Arbeit, Zeit, Kraft und besonders Liebe in die temporären Elternschaften.

Und das seit acht Jahren, in denen Gerdina Hyzyk zu Hause auch, sagen wir, immer im Stand-by-Modus ist. Das Baby, das Ende 2018 zu ihnen kam, ist das zehnte Kind. Das erste, auch ein Junge, blieb neun Monate. Hyzyks haben viel erfahren, auch etliches, was gewiss nur schwer erträglich ist, wenn es um die Probleme in den Herkunftsfamilien der Pflegekinder geht.

Über die hat die elfjährige leibliche Tochter einmal geschrieben: „Wir haben diese Kinder lieb, so lieb als wären es wirklich Kinder unserer Familie.“ Anders kann man so eine Aufgabe wohl auch kaum bewältigen.

(mz)