Schwarzes Gold aus dem Harz Schwarzes Gold aus dem Harz: Zwischen Mythos und Knochenjob - ein Köhler erzählt

Hasselfelde - Mitten im Harzwald, unweit der Rappbodetalsperre, steigen an diesem Sommertag weiße Rauchschwaden aus einem Erdhaufen auf. Der Rauch erfüllt die Luft, schon aus vielen Metern Entfernung kann man ihn riechen, ihn schmecken. Mit wachsamem, kritischem Blick beobachtet ein Mann das Geschehen. Buschige Augenbrauen, die Wangen von der Sonne gebräunt, die kurze Arbeitshose aus Leder ist gut gebraucht, gezeichnet von schwerer Arbeit.
Der Mann ist Peter Feldmer. Der 75-Jährige studierte Forstwirtschaftler hatte 1990 eine Vision: Die Tradition des Harzer Köhlerhandwerks in Zeiten von Holzkohleimporten und Massenproduktion aufrechtzuerhalten.
Peter Feldmer übernahm nach der Wende die Köhlerhütte Stemberghaus
Er übernahm 1990 die Köhlerhütte Stemberghaus in der Nähe von Hasselfelde von der Treuhand. Hier wurden zu DDR-Zeiten rund 1.000 Tonnen Holzkohle im Jahr produziert, 20 Menschen waren damit beschäftigt. Heute gibt es hier eine Schauköhlerei, die jedes Jahr zwischen 30.000 und 40.000 Besucher anlockt.
„Zu DDR-Zeiten war die Holzkohle nicht für den privaten Gebrauch bestimmt“, erinnert sich Feldmer. Etwa die Hälfte wurde in der Industrie verbraucht - zur Verhüttung von Stahl und in Filteranlagen zum Beispiel. Die andere Hälfte ging als Exportware in die BRD. „Nur so konnte die Forstwirtschaft Devisen bekommen“, sagt Feldmer.
Im Stemberghaus wurden auf diesem Weg zwei gute Kettensägen beschafft. Jeder der damaligen fünf Forstbetriebe im Harz hatte eine eigene Köhlerei. Trotzdem sei Holzkohle in der DDR so rar gewesen, dass man sie für guten Spargel oder sogar für einen Zeltplatz an der Ostsee eingetauscht hat, sagt der Seniorchef.
Peter Feldmer ist Vorsitzender des Harzer Köhlervereins
„Kurz nach der Eröffnung der Schauköhlerei war die Neugierde sehr groß“, erinnert sich Feldmer. „Die Grenzen waren offen und jeder, der über die B 81, die genau vor der Tür entlang führt, in den Harz fuhr, bog hier ein. Manchmal war das ganze Umfeld mit Nebel- und Rauchschwaden gefüllt.“
Nach und nach kamen Schautafeln, Schaumeiler und eine kleine Ausstellung mit typischen Werkzeugen und Instrumenten hinzu - und damit auch immer mehr Gäste. Feldmer, der 1997 das erste Köhlereimuseum Deutschlands eröffnete, ist heute Vorsitzender des Harzer Köhlervereins und Vizepräsident des Europäischen Köhlerverbandes. Dieser hat mittlerweile mehr als 2.500 Mitglieder.
Vor sechs Jahren dann wich der kleine Kiosk am Stemberghaus einer überdimensionalen Köhlerhütte. „Darauf sind wir besonders stolz, denn es ist eine Stätte der Kultur, des Brauchtums und der Geselligkeit.“ So finden Lesungen, Tanz- und Folkloreveranstaltungen, Whiskyverkostungen und eine Biersommernacht hier einen Platz.
Holzkohle eng mit Geschichte des Harzes verbunden
Holzkohle gehört zur Geschichte des Harzes wie die Hexen oder die Schmalspurbahn zum Brocken. Vor über 5.000 Jahren wurde sie laut Feldmer eher zufällig entdeckt. Man geht davon aus, dass Blitzschläge Waldbrände verursacht haben und die Menschen hinterher nicht vollständig verbranntes Holz fanden. „Sie stellten fest, dass die Kohle ohne Flammen und Ruß brennt und dachten sich, dass das eine gute Möglichkeit wäre, ihre Höhlen zu beheizen“, erzählt Feldmer. Weil Holzkohle auch noch mit wesentlich höheren Temperaturen brennt als Holz, seien Metalle aus Steinen herausgeschmolzen - die Idee des Hüttenwesens war geboren.
Die Köhlerei in Deutschland erlebte ihre Hochzeit zwischen dem 12. und dem 18. Jahrhundert. In dieser Zeit war der Harz mit seinen Buchenwäldern und den Köhlereien industrielles Zentrum. In Thale, Mansfeld und Salzgitter gab es große Hütten, in denen Metalle aus Erzen gewonnen wurden. Mit der Entdeckung der Steinkohle wurden sie in das Ruhrgebiet, näher an die Steinkohlevorkommen, verlegt, weil die Verhüttung so günstiger war. „Das war das Glück unserer Wälder“, sagt Feldmer. Alle Buchen wären wohl sonst der Köhlerei zum Opfer gefallen, die Wälder des Harzes irgendwann kahl.
Köhlerei - Mythos und Knochenjob
Um die Köhler rankten sich im Mittelalter viele Mythen und Legenden. Den größten Teil des Jahres lebten diese Männer abgeschieden im Wald, weit weg von ihren Heimatdörfern. Tag und Nacht mussten die Meiler kontrolliert werden. „Es war Knochenarbeit“, sagt Feldmer. Köhler kannten sich aus im Wald, sie wussten zum Beispiel, wo Hirsche oder Rehe zu finden waren und auch, wer unerlaubt jagte oder Holz stahl.
Wenn die Köhler dann in ihre Dörfer zurückkamen, Kleidung und Gesicht schwarz vom Kohlestaub, fürchteten sich viele Menschen vor ihrer Erscheinung und dem Wissen, das die Köhler „verpetzen“ könnten. „Daher kommt der Begriff ,anschwärzen’“, sagt Feldmer. Die Köhlerliesel war die Frau oder die Tochter des Köhlers. „Sie musste alle paar Wochen Lebensmittel und frische Wäsche bringen“, berichtet Feldmer. Ihre Aufgabe war es aber auch, die fertige Holzkohle in Kiepen zum Transportkarren oder bis ins Dorf zu schleppen.
So funktioniert die Köhlerei
In der Harzköhlerei entsteht Kohle wie schon vor mehreren tausend Jahren. Dazu werden Holzscheite zu Meilern gestapelt und verschwelt. Für einen Meiler werden rund 30 Raummeter trockenes Buchenholz aus dem Harz aufgeschichtet. „Es ist das wertloseste Holz, das bei der Forstung von Buchen übrig bleibt“, erklärt Peter Feldmer. In der Mitte bleibt ein Schacht frei, ähnlich eines Kamins. Die „Pyramide“ wird im Anschluss mit einer dicken Schicht feuchter Erde abgedeckt. In den Schacht werden zunächst heiße Kohlen, später säckeweise kleine Holzstücke geschüttet, die Glutsäule wird immer wieder festgestampft.
Wenn nach etwa zwei Tagen die richtige Glimmtemperatur erreicht ist, wird der Kamin verschlossen. „Wir fangen dann von der Spitze her an, Löcher in die Erde zu stechen, um die Sauerstoffzufuhr zu regulieren. Brennen darf es im Meiler nicht, sonst wird aus dem Holz Asche und keine Kohle“, erklärt Feldmer. Das wurde auch den Köhlern der Vergangenheit zum Verhängnis. „Dann war die Arbeit mehrerer Wochen umsonst, sie konnten kein Geld verdienen.“
Nach zwei Wochen darf der Meiler noch mehrere Tage auskühlen, danach wird er „geerntet“, wie der Köhler sagt. Dabei wird die Erde abgetragen und die Kohle in Säcke gefüllt. Fünf Kilo Harzer Buchenholzkohle kosten im Verkauf 12,90 Euro. „Die großen Zehn-Kilo-Säcke können wir im Moment nicht anbieten, weil wir mit der Produktion nicht hinterherkommen“, sagt Peter Feldmer. Aus einem Meiler entstehen rund zwei Tonnen Holzkohle - ausreichend für 400 Säcke.
So wird Holzkohle heutzutage gewonnen
Heute ist die Holzkohle, wie es sie in Baumärkten zu kaufen gibt, entweder importiert oder ein Nebenprodukt aus Chemiekonzernen. „Die Unternehmen gewinnen zum Beispiel Holzrauch, der zum Transport zuerst verflüssigt und später wieder verraucht wird“, erklärt Peter Feldmer. Große Fleischereien bringen so ihr Raucharoma in die Wurst. In der Industrie entstehen auch Holzgas, -teer oder -essig, und ganz nebenbei die Holzkohle.
Etwa 200.000 Tonnen im Jahr werden in Deutschland verbraucht, 150.000 Tonnen davon sind importiert. Rund die Hälfte der Holzkohle kommt aus tropischen Wäldern, die andere aus Russland, der Ukraine oder Kasachstan. „Der Markt hatte erkannt, dass Importkohle günstiger ist als die heimische Buchenholzkohle“, sagt Peter Feldmer.
Holzkohle hat heilende Wirkung
Sie landet aber nicht nur in Industriefiltern oder auf dem heimischen Grill, sie hat auch heilende Wirkung, wie Feldmer in einer kleinen Broschüre zusammengefasst hat. „Ein Stück Buchenholzkohle gehört in jede Hausapotheke“, sagt er. Neben Kohletabletten aus der Apotheke kann man bei Verdauungsproblemen auch einfach ein Stück Kohle kauen. Mit Holzkohlebrei die Zähne zu putzen, helfe gegen Mundgeruch. Auch bei Entzündungen, Infektionen oder Insektenstichen könne sie angewendet werden.
„Ich bin stolz, die Köhlertradition aufrecht erhalten zu können“, sagt Peter Feldmer. „Holzkohle war eine wichtige Voraussetzung für den Fortschritt der Menschheit. Kein Messer, keinen Pflug, aber auch keinen Krieg hätte es jemals ohne Holzkohle gegeben.“ Das sei für Feldmer der Ansporn, sich für „seine“ Köhlerei auch weiterhin einzusetzen. Trotz aller Tradition geht das Unternehmen mit der Zeit. Feldmers Zwillingssöhne, ein Betriebswirt und ein Umweltschutztechniker, haben die Geschäftsführung mittlerweile übernommen. (mz)
