Stillstand wird teuer Agrargenossenschaft Hedersleben Landkreis Harz: An guten Sommertagen werden 2.500 Tonnen Weizen geerntet

Hedersleben - Der Geruch, den viele mit Hustensaft verbinden, schlägt einem entgegen, wenn man sich der Destillationsanlage der Agrargenossenschaft Hedersleben nähert: Die Thymianextraktion ist in vollem Gange. Die Thymianfelder sind bereits abgemäht, die Ernte wird nun Tag und Nacht zu Rohöl verarbeitet.
Dazu wird sie für die Wasserdampfextraktion in der Destillationsanlage erhitzt. Das destillierte ätherische Öl schwimmt oben auf dem Wasser und läuft dadurch in einen Glaskolben ab. Von hier wird es in Kanister abgefüllt und europaweit verkauft.
Auf die selbsterrichtete Anlage, die zum Großteil mit Biogas erhitzt wird, ist Vorstandsvorsitzender Lutz Trautmann besonders stolz, er spricht von „viel Herzblut und Innovation“.
Instandhaltung der Mähdrescher hat Vorrang, denn die sind teuer und rollen nur 30 Tage im Jahr
Ende Juni begann dieses Jahr die Erntezeit für die Agrargenossenschaft. Zuerst wurde die Gerste gemäht, nun rollen die Mähdrescher über das Weizenfeld. Von 8 Uhr morgens bis spät in die Nacht herrscht geschäftiges Treiben auf den Feldern.
Ein Mähdrescher kostet etwa so viel wie ein gutes Einfamilienhaus, wird aber nur etwa 30 Tage im Jahr genutzt. In dieser Zeit verbraucht er um die tausend Liter Diesel täglich. Die Instandhaltung der teuren Maschinen hat für Lutz Trautmann Priorität:
Geht ein Mähdrescher während der Arbeit kaputt, wird er sofort repariert, wenn nötig, noch auf dem Feld. Neben dem Fahrer ist stets ein Techniker an Bord eines Mähdreschers. Oft müssen Ersatzteile besorgt werden, selbst für neue Maschinen.
An guten Tagen werden bis zu 2.500 Tonnen Getreide geerntet
Immer zwei bis drei Mähdrescher fahren im Komplex über ein Feld. Sie mähen den Weizen, lassen dabei das Stroh auf dem Feldboden zurück und sammeln die Früchte, die sie regelmäßig in einen von einem Traktor gezogenen Hänger abbunkern.
An einem guten Tag werden so 2.000 bis 2.500 Tonnen Getreide geerntet. Das Stroh wird später auf Strohschwaden geladen, gepresst und zum Einstreuen der Viehställe genutzt. 25000 Tonnen Getreide können die Lager der Agrargenossenschaft aufnehmen. Dabei wird jede Fuhre, die eintrifft, quantitativ und qualitativ erfasst.
Trockener Bodden, Hitze und Landmaschinen - die Bauern der Agrargenossenschaft sind Brandschutz-Profis
„Wir sind besser für Flächenbrandbekämpfung ausgerüstet als die Feuerwehr“, versichert Lutz Trautmann. In allen Feldern werden Brennschneisen angelegt: Das sind Streifen umgegrabener Ackerfläche, die dem Feuer keinen Nährboden geben und so die Ausbreitung des Brandes eindämmen würden. An den Feldern und auf dem Haupthof stehen acht Tanks mit jeweils 8.000 Litern Wasser für den Notfall bereit.
Die Mitarbeiter der Agrargenossenschaft sind in Sachen Brandschutz inzwischen routiniert, denn Sommerhitze und Trockenheit, das gut brennbare Pflanzenmaterial und die heißen Motoren der Mähdrescher schaffen optimale Bedingungen für Funkenflug.
Gerade am Nachmittag, wenn es oft windig wird, steigt die Brandgefahr enorm. „Letztes Jahr hat es jeden Tag irgendwo gebrannt“, sagt Lutz Trautmann. Auch bei Reparaturen an einem kaputten Mähdrescher darf ein Wasservorrat nicht fehlen. Erst kürzlich habe es bei der Thymianernte gebrannt.
Vor sieben Jahren wurde in Hedersleben begonnen, nacheinander alle Ställe umzubauen und tiergerecht zu gestalten
Massentierhaltung oder Biohof? Für Lutz Trautmann beantwortet sich diese Frage nicht nach der Anzahl der gehaltenen Tiere, sondern der Art und Weise der Haltung. Es kommt seiner Meinung nach darauf an, wie viel Platz, Licht und Luft jedes Einzeltier hat.
Vor sieben Jahren wurde in Hedersleben damit begonnen, nacheinander alle Ställe umzubauen und tiergerecht zu gestalten. Es würden zwar sehr viele Tiere gehalten, doch die Agrargenossenschaft richte sich bei den Haltungsbedingungen nach dem Tier- und Umweltschutz.
„Tiere in Massen sind nicht immer gleich Massentierhaltung“, sagt Trautmann. Und er weist darauf hin, dass das Konsumverhalten der Deutschen hierbei eine entscheidende Rolle spiele: Jeder wolle jederzeit bequem an alle Lebensmittel gelangen, oft ohne darüber nachzudenken, was das in einer globalisierten Welt für den Produzenten bedeute. Wenn weniger Fleisch oder Getreide in Deutschland produziert werde, sagt Trautmann, werde es einfach aus dem Ausland importiert.
Da die Arbeiten am neuen Hofladen noch nicht abgeschlossen sind, bleibt es vorerst beim Verkauf aus dem Provisorium heraus. Wann der Hofladen seine Türen öffnet, steht noch nicht fest.
Neue Reinigungsanlage für Erbsen, Fenchel und Hanf geht demnächst in Betrieb
Ein neues Projekt der Agrargenossenschaft ist die Reinigungsanlage für Erbsen, Fenchel und Hanf, der gerade noch mit Pinsel und Farbe der letzte Schliff versetzt wird.
Lutz Trautmann erzählt beim Anblick des Kartoffellagers, dass hier einmal sieben menschliche Skelette gefunden wurden: Sie stammen aus der Jungsteinzeit und sind somit etwa 7.000 Jahre alt. Die steinzeitlichen Knochen werden beim Landesamt für Archäologie in Halle aufbewahrt.
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Einmal im Monat berichtet die MZ über jahreszeittypische Arbeiten in dem Betrieb, der 1991 aus der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) Hedersleben entstanden ist. Auf rund 4.000 Hektar Fläche werden Getreide, Futtermittel, Saatgut und Gewürze angebaut. Außerdem stehen in den Hederslebener Ställen 280 Milchkühe, die rund 2,2 Millionen Liter Rohmilch im Jahr liefern. Daneben werden jährlich 750 Bullen verkauft. (mz)