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Landhandel in Schinne Landhandel in Schinne: 40 Semmeln für die Kicker

Von Ralf Böhme 28.03.2013, 19:58
Der Eine-Frau-Betrieb: Manuela Schell kümmert sich darum, dass Wünsche in Erfüllung gehen.
Der Eine-Frau-Betrieb: Manuela Schell kümmert sich darum, dass Wünsche in Erfüllung gehen. Ralf Böhme Lizenz

Schinne/MZ - Backfrische Brötchen am Feiertag! Ausgerechnet in Schinne - ein Dorf, das fast keiner kennt. Und das Ganze dann auch noch am 1. April. Aber es ist kein Scherz, wenn auch höchst ungewöhnlich für ein abgelegenes Örtchen mitten in der Altmark.

Kein Bäcker würde hier wegen nicht einmal 400 Essern den Backofen anheizen, kein großer Supermarkt im weiten Umfeld am Ostermontag deshalb auch nur die Tür aufschließen. Manuela Schell vom kleinen Laden der Dorfgemeinschaft hingegen macht es, von 8 bis 10 Uhr. „Ich bin einfach gern unter Leuten.“ Wenn Umsatz und Gewinn auch bescheiden seien, der Aufwand halte sich in Grenzen. Schließlich wohne sie kaum 50 Meter von der Verkaufsstelle an der Dorfstraße entfernt.

„Backen tue ich ohnehin“, sagt die 45-Jährige. Der Grund mag Auswärtigen gering erscheinen, in Schinne ist er bedeutend. Die Kicker des Ortes spielen nicht nur gut Fußball. Sie wollen zu Ostern auch gemeinsam frühstücken, mit frischen Brötchen, bitte schön. 40 Semmeln, so die Bestellung an ihre Manuela. Und die überlegt: „Da mache ich doch einige Brötchen mehr - für den Rest vom Dorf.“

Angst, auf der Ware sitzen zu bleiben, habe sie nicht. Das wäre gegen alle Erfahrung. Kein Wunder, bis zum nächsten Laden sind es fast 20 Kilometer. „Meine treuesten Stammkunden sind die Alten im Dorf, die oft allein wohnen und kein Auto mehr fahren.“ Für sie organisiert sie auch Termine für den Frisör, beim Arzt im Nachbardorf oder bei der Sparkasse, nebenbei und kostenlos.

Die Rentner waren es auch, erinnert sich Schell, die nach der Schließung des alten Dorfkonsums dem Gemeinderat ihre Not klagten. Immer wieder. Es fehle die Einkaufsstätte, aber vor allem ein Treffpunkt, wo man reden könne. Die Andacht in der Kirche reiche dafür nicht. 2006 hatte eine Kette das Geschäft aufgegeben - zu wenig Umsatz, Reparaturstau... Was einmal weg ist, so damals die Skeptiker aus der Nachbarschaft, kommt nicht wieder. Wer würde sich so eine Bürde aufladen, einen Laden, der kaum Gewinn abwirft? Erst die Frau, die nicht aus der Altmark stammt, geht das Wagnis ein. Nicht von ungefähr, Manuela Schell ist der Liebe wegen hierher gezogen. Ihr Mann ist ein „Eingeborener“, sagt sie. Und die gelernte Korbmacherin weiß, wie man aus nicht viel eine ganze Menge machen kann. „Wir Sachsen sind flinke Leute.“ Und das nicht nur „mit der großen Gusche“, wie man in ihrer alten Heimat Limbach-Oberfrohna sage. Dennoch, ohne Anschub und Hilfe wäre das Projekt wohl im Ansatz stecken geblieben. Doch der Gemeinderat hörte auf die Alten in Schinne, setzte kurz vor der Eingemeindung in die Stadt Bismark alles auf eine Karte und eröffnete damit auch Manuela Schell eine Perspektive.

Das Gebäude wurde von Grund auf saniert, eine Herausforderung für das ganze Dorf und auch die Gemeindekasse. Eigenleistungen halfen. Die Kommune übernahm ein Viertel der Baukosten. 75 Prozent, und das sind über 100 000 Euro, rief Schinne aus einem Programm der Europäischen Union ab - zur Förderung des ländlichen Raumes. Auch die Pacht ist gering.

So gelingt es der 45-Jährigen, bis heute ohne Kredit auszukommen. Das Ergebnis dürfte selbst Euro-Kritiker überzeugen. Denn es macht Schinne im Unterschied zu vielen anderen Dörfern in der Umgebung regelrecht zu einem Einkaufs- und Dienstleistungszentrum. Und das gefällt nicht nur der 82-jährigen Lydia Wolters. Auch die Rentnerin Magdalena Holz kann sich ein Leben ohne diesen Laden nebenan gar nicht mehr vorstellen. Selbst die älteste Einwohnerin, eine 97-Jährige, schaut ab und an zum Plausch zwischen den gebraucht erworbenen Regalen und Kühltruhen herein. Etliche Handwerker lassen sich mittags von Manuela Schell bekochen - warme Küche gehört zum Service. Genau so wie Lieferung auf Kundenwunsch.

Partner ist der Konsum, aber manchmal geht Schell selbst auf die Suche nach einem Artikel. Die Spanne reicht von einer bestimmten Marmeladen-Sorte bis zur bunten Zeitschrift für das Wochenende. Und im Angebot finden sich Angebote, die es so nur in Schinne gibt - Hirschfleisch etwa, frisch vom Züchter.