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Hallescher Musiker Hannes Scheffler „Vorm Fenster hockt ein neuer Tag“

Mit Wenzel auf Tour, im eigenen Tonstudio zuhause: Hannes Scheffler lebt in Halle seinen Traum. Alles begann, als er 1996 mit Conny Ochs die Band Zombie Joe gründete.

Von Mathias Schulze 25.10.2024, 17:13
Musiker Hannes Scheffler: „Die Erfüllung, wenn sich Träume später verwirklichen“
Musiker Hannes Scheffler: „Die Erfüllung, wenn sich Träume später verwirklichen“ (Foto: Sandra Buschow)

HALLE/MZ. - „Vorm Fenster hockt ein neuer Tag / Hat sich in Reihe aufgestellt / Augen zu und mit dem Kopf zuerst / In den Arsch der Welt.“ Als die Indie-Band „Baby Universal“ noch „Zombie Joe“ hieß, als man noch „Nirvana“ bei MTV schaute, wurde der Song „Kopf zuerst“ mit einem Video versehen: Junge Männer auf dem Dach eines Hochhauses, unten läuft die Alltagsroutine – derweil man sich selbst entfernt hat, die Gitarren an den nackten Oberkörper gepresst.

Mit Stift Kassetten spulen

Mittendrin: Conny Ochs, Jahrgang 1979, und Hannes Scheffler, Jahrgang 1978. Beide in Halle geboren, beide im Musikbusiness, beide Freunde seit Kindergartentagen. Spricht man Scheffler, der ein Tonstudio im Künstlerhaus 188 in Halle betreibt, in Wenzels Band Gitarre und Bass spielt und zusammen mit Thomas Harendt seit 2016 Wenzels Platten produziert, auf seine Kindheit und Jugend an, geht es in eine Zeit, in der es noch keine Anleitungen zum Musikmachen auf YouTube gab. Eine gefühlte Steinzeit, Scheffler erinnert sich: „Ich saß lange vor dem Kassettenrekorder, mit Buntstift wurde zurückgespult. Sonst verbrauchte man ja Batterien.“ Und gespult wurde viel.

Scheffler und seine Fragen: Was ist das für ein Zauber, der aus diesem Kasten kommt? Wie funktionieren diese faszinierenden Schallwellen? Warum berühren sie intensiver als der süßlich-bunte Intershop-Geruch, den man noch aus DDR-Zeiten in der Nase hatte, als die Matchbox-Autos und Disney-Comics, die man als Jugendlicher unter Freunden hin und her tauschte?

Der Entschluss, zusammen mit Ochs eine Band zu gründen, fiel noch in der Phase der Ahnungslosigkeit. „Ich weiß noch, wie ich oft im Gitarrengeschäft stand. Nur das Geld fehlte“, erzählt Scheffler. 1999, als er mit „Zombie Joe“ in Hamburg in einem imposanten Tonstudio stand, wurde er gefragt, was im Osten anders wäre. Die Antwort weiß Scheffler noch heute: „Die Art, sich auf etwas freuen zu können. Dass man nicht alles haben konnte. Die Erfahrung des Verzichts. Die Erfüllung, wenn sich Träume später verwirklichen.“

Als die Lieblingsgitarren endlich umgeschnallt waren, ging es Schlag auf Schlag: eigene Songs quer durch alle Stilistiken, das Fieber des ersten Konzertes 1996 im Künstlerhaus 188, der Rausch des Rampenlichts. „Meine Eltern wünschten, dass ich einen richtigen Beruf erlerne. Ich stand dann ratlos im Raum, wollte nur Musik machen“, erzählt Scheffler. Als er sich für ein Studium einschreiben sollte, strömte die Ratlosigkeit aus allen Poren: Möchten Sie sich auf Lehramt oder als Magister eintragen? Scheffler fand keine Antwort, ging einfach nach Hause.

Eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme war die Folge: Zwei Jahre lang arbeitete er in einer Tischlerei, heute kann man Schefflers Holzarbeiten, die er als wichtigen Ausgleich einstuft, im Künstlerladen „Feingemacht“ in Halle erwerben. Aber vor allem war damals endlich Zeit für die Musik. 2002 kam die „Zombie Joe“-Platte „Vegas“, Touren folgten. Momente, die Scheffler nie vergisst: „Als damals der riesige Tour-Bus vor dem Proberaum stand, schlug mein Herz höher.“ 2003 fing der Ausbau des eigenen Tonstudios in Halle an.

Und dann kam Wenzel, der die musikalische Entwicklung seines Cousins zweiten Grades schon länger beobachtete. Alles begann mit einer anarchischen Aktion: Wenzel spielte mit Arlo Guthrie im Steintor-Varieté Halle, er brauchte neue Musiker, am Abend trank man. Der Vorschlag, übermorgen vor Publikum in Wenzels Band zu spielen, klang wahnsinnig, aber verlockend. Am nächsten Morgen wurde verkatert geübt, Scheffler ging mit Wenzel und Arlo Guthrie auf Tour. „Zombie Joe“ vertonte Woody Guthrie-Texte, die Band wurde zu „Baby Universal“, ab etwa 2010 hatte sich das eigene Tonstudio einen Namen gemacht. Einblicke in den Produzenten-Alltag: Ist die Tonart geeignet für die Gesangslage? Warum kommt der Teil dort und nicht später? Sollte man den Song nicht lieber als Bossa Nova spielen?

Im Schnitt stemmt Scheffler im Jahr sechs bis sieben Platten, auch die neue Wenzel-CD „Strandgut der Zeiten“, die im Oktober erschienen ist, hat er mit Thomas Harendt produziert. Berufskrankheiten: „Es gibt Momente, in denen ich keine Musik mehr hören kann, in denen ich alles analytisch zerlege, es nicht mehr in den Bauch geht.“ Meist helfen die Holzarbeit und das Tourleben: „Mit der Wenzel-Band gehe ich immer noch voller Freude auf Reisen, es macht Spaß mit den Jungs.“

Verständnis für Wenzel

Und was sagt Scheffler, der Halle als seinen Rückzugsort preist, zum Vorwurf des soziokulturellen Zentrums „Werk 2“ in Leipzig, das Wenzel einen „relativierenden Bezug zu Putin“ nachsagte? Scheffler lächelt: „Wenn sich jemand dafür ausspricht, dass alle die Waffen niederlegen, in einen Dialog treten sollen, weiß ich gar nicht, was ich daran kritikwürdig finden kann.“