Anhaltisches Theater Dessau Verwirrung der Gefühle in Dessau
„Blaue Augen, schwarzes Haar“ – im neuen Tanzabend von Stefano Giannetti am Anhaltischen Theater in Dessau ist ein junges Ensemble in starker Form zu erleben.
Dessau/MZ - Was haben Edith Piaf, Richard Wagner und Marguerite Duras gemeinsam? Auf den ersten Blick nichts. Außer, dass ihre Musik beziehungsweise ihre Texte immer irgendwas mit großen Gefühlen zu tun haben. Mit Emotionen, die nicht nur im Inneren brodeln, sondern auch nach außen durchbrechen. Wie Eruptionen eines Vulkans. Oder implodieren wie ein großer Zusammenbruch.
Der Dessauer Ballettchef Stefano Giannetti hat jedenfalls alle Drei für seine jüngste Kreation miteinander verbunden und einen knapp einstündigen Tanzabend aus der Rubrik „klein, aber fein“ daraus gemacht. Der hatte jetzt im Studio des Alten Theaters Dessau seine bejubelte Premiere. Der Titel „Blaue Augen, schwarzes Haar“ ist der eines gleichnamigen Romanerfolges von Marguerite Duras (1914–1996) aus den Achtzigern. Er liefert auch den sozusagen dramaturgischen Anstoß für die Choreografie.
Keine strenge Handlung
Diese besondere Liebesgeschichte der französischen Literatin eignet sich schon deshalb als Anregung für eine Szenenfolge, weil sie selbst nicht dem Gebot einer streng durchgezählten Handlung folgt. Sie wechselt zwischen Wunsch und Wirklichkeit, lässt assoziatives Ausschweifen zu und vieles in der Schwebe. Was als Form wiederum zu der eigentlichen Geschichte einer Verwirrung der Gefühle durchaus passt.
Der Text gehört in die Abteilung von Geschichten, in die auch Goethes „Wahlverwandtschaften“ oder „Stella“, Mozarts „Cosi fan tutte“ oder auch Zweigs „Verwirrung der Gefühle“ ganz gut passen würden. Und natürlich zu Pasolinis „Teorema“. Bei dem ist es ja auch ein Fremder, der mit seiner erotischen Faszination alle (Frauen und Männer) in ihren Gewissheiten erschüttert. So ähnlich läuft es bei Duras auch. Der Unbekannte, der für ein Paar zur Projektionsfläche jeweils eigenen Begehrens wird. Was die beiden wiederum aneinander bindet.
Ohrwürmer
Die erzählte Geschichte, die durch ihre Adaption in Musik und Tanz in eine Wirklichkeit eigenen Rechts transformiert wird, folgt der eigenen inneren Dynamik eines Tanzabends mit seinem Wechsel von Auftritten für das ganze Ensemble, die Paare und die Protagonisten.
Die bei der Premiere noch zu laut übersteuert eingespielte Musik wechselt zwar immer abrupt, dann aber doch wieder erstaunlich passfähig zwischen den Ohrwürmern, die der Spatz von Paris mit voller Kraft beisteuert, und Ausflügen in Richard Wagners akustische Rauschoper „Tristan und Isolde“. Für Wagnerianer (die ja in Dessau mit einer exquisiten Tristan-Produktion im Großen Haus bestens ausgestattet sind) ist es verblüffend, wie passfähig sich der nervöse Anfang des zweiten Aufzuges oder gar der sogenannte Liebestod Isoldes vertanzen lässt. Das hat, so einfühlsam wie sie es machen, nichts von ästhetischer Blasphemie an sich.
Vorbilder im Alltag
Der Einstieg erfolgt aus dem Alltag einer entsprechenden Geräuschkulisse und dem Eintreffen von Paaren, deren getanzte kleine Pas de deux ihre Vorbilder im Detail allesamt dem Alltagsverhalten abgelauscht haben. In fünf Paarkonstellationen erzählen sie von erotischen Anziehungskräften, Innigkeit und auch Phasen der Abwendung. Frische, intensiv aufeinander bezogene Bewegungsabläufe und die heiter sommerlichen Retrokostüme von Steffen Gerber verorten das dezent und machen es durchweg nachvollziehbar.
Wenn Marcos Vinicius dos Anjos als einzelner Mensch dazukommt, vom Rand aus erst das Treiben betrachtet und dann Victor Costa Santos ins Auge fasst und sich nicht nur dessen Partnerin, sondern auch ihm annähert, kann man ihn durchaus (abweichend vom Programmflyer) für jenen Unbekannten halten, der hier für die Irritation sorgt. Es ist halt wie immer, dass sich ein Teil der Geschichte im Auge des Betrachters abspielt. Wenn Santos mit einem atemberaubenden Solo zum Edith-Pia-Hit „Milord“ glänzt, bietet das eine Chance, das zu korrigieren. Man kann es aber auch lassen und dem Wechsel und Wogen der Gefühle folgen, die mal Andeutung sind, mal innig, mal körperliche Attacke.
Das junge Ensemble, zu dem neben den schon genannten Cristina Rauccio, Carlotta Rocchi, Martin Anderson, Marc Balló y Cateura, Simona Villa, Giulia Riccio, Sabrina Kallan und Joe Edy gehören, ist durchweg in toller Form. Im Januar 2025 dann auch mal wieder mit einem Abend auf der Großen Bühne!„Blaue Augen, schwarzes Haar“ – Uraufführung: Die nächste Vorstellung findet am 17. November um 19 Uhr im Studio des Anhaltischen Theaters in Dessau-Roßlau am Friedensplatz 1 statt.