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Musik aus Halle Tour-Dokfilm mit Timm Völker: Blicke übers Land

Der aus Halle stammende Musiker Timm Völker präsentiert in Rotta bei Kemberg den Film „Falke überm Haus“, der seine Tour durch den Osten dokumentiert.

Von Mathias Schulze Aktualisiert: 25.07.2024, 11:07
Weites Land:  Musiker Timm Völker unterwegs in Sachsen-Anhalt
Weites Land: Musiker Timm Völker unterwegs in Sachsen-Anhalt (Foto: Jakob Polke)

Halle/MZ. - „Für mich war die weite und karge Landschaft in Sachsen-Anhalt schon immer der nordamerikanische Süden. Sümpfe, lange Güterzüge, kahle flimmernde Felder und Rassismus machten es mir einfach, mich als Blues-Musiker zu imaginieren, der durch diese Gegend reist. Das machte ich so lange, bis es sich wie Wahrheit anfühlte.“ So spricht der 1987 in Halle geborene Musiker und Autor Timm Völker, der heute in Leipzig lebt, im 35-minütigen Film „Falke überm Haus“ – ein Dokumentarfilm von Stefan Nöbel-Heise, der Völkers musikalische Tour mit dem Gitarristen Patrice Lipeb durch die ländlichen Gebiete Ostdeutschlands eingefangen hat.

Kategorien verschwimmen

Wirklichkeit und Fiktion, Landschaften und kulturelle Prägungen, Heimat und Rockervisionen, Dorfnazis, Fluchten und Kurt Cobain. Betritt man das Werk Völkers, verschwimmen die Kategorien. Den Blick auf Mitteldeutschland, die Wahrnehmung von Halle und Leipzig, von Drobitz im Saalekreis, von Schloss Goseck oder Bad Schmiedeberg haftet nicht an den touristischen Aushängeschildern. Egal, ob in durchdringenden Blues-Songs, die zwischen dunklem Pop und Rock’n’Roll changieren und die auf dem Mini-Album „Dieb für ein Lied“ erschienen sind, im Buch oder im Dokumentarfilm: Völker fokussiert das, was Marketing-Experten Bauchschmerzen bereitet. Verrauchte Dorfkneipen und verlassene Industriegebäude, vom Leben Geknickte, aus der Zeit Gefallenes und verwilderte Hinterhöfe. Und improvisierende Kulturstätten fernab der Metropolen, die sich, unterstützt vom Leipziger Kulturnetzwerk „Die Liedertour“, dem Rechtsruck nicht beugen wollen.

Im Essay-Band „Die Schwerkraft provozieren“, der im Berliner „Gans Verlag“ erschienen ist und das mäandernde, tagebuchartige Texte enthält, die in einer zerrissenen Gesellschaft die eigene Individualität suchen, heißt es: „Immer diese Augenwinkelaugenblicke, die mir nachhängen.“ Und der Kopf, der sich da dreht, das Gemüt, das sich da Sachsen-Anhalt nähert, das sich über die eigene Biografie beugt, ist kein reiner Beobachter. Wie auch. Völker beschreibt die Welt durch seine „Bluesbrothers“-Sonnenbrille. Es gibt keine Erinnerungen an die Kindheit, keine kuriose Alltagsszene, die nicht schon in der Musikgeschichte besungen, nicht schon in stilbildenden Filmen gezeigt wurde. Das ist alles im Kopf, das sind entscheidende Prägungen. Also kann Völker nicht seiner Uroma gedenken, ohne sich daran zu erinnern, dass sie ihm damals den Michael-Jackson-Griff in den Schritt verbot. Also kann er Sachsen-Anhalt nicht bereisen, ohne an den nordamerikanischen Süden zu denken. So wird die Welt entfremdet – und dadurch kenntlich gemacht.

Genauer Zeitzeuge

Während die Elterngeneration mit den Folgen der Wiedervereinigung kämpfte, wollte der kleine Timm ein Rocker werden. Ein Griff zu den Sternen, Coolness gab es in der Musik, bei „Rage Against the Machine“ oder bei „The Sisters of Mercy“. Nur logisch, dass die Seele eingenommen wurde, logisch, dass sie die Welt heute gar nicht mehr ohne ihre rettende Imprägnierung betrachten kann. Wahrheit ist das Ineinander von Beobachtungsposten und Wirklichkeit. Völker als präziser Zeitzeuge jener ersten Generation, die auf dem Boden der früheren DDR mit allen westlichen Kultureinflüssen bestückt wurde – derweil die Prägungen des Osten weitergingen.

Aber warum wohnt er heute in Leipzig? Völker nüchtern: „Mit Anfang 20 wurde mir während einer nächtlichen Fahrt in der S-Bahn ein Job als Musiker am damaligen Centraltheater angeboten. Dann bin ich in Leipzig geblieben. Einfach so.“ Und wie schaut er heute auf Halle? „Dreck und Romantik haben mich geprägt: Die ehemalige Industrie und das Romantische, Verwunschene, Verwucherte am Galgenberg, der Rabeninsel oder der Katzenbuckelbrücke in Trotha. Dazwischen der Fluss, der Schaumkronen trug, als ich klein war“, erzählt Völker.

Fragt man den ehemaligen Sänger des Postpunk-Trios „206“, was seinen Blick auf den Reisen durch die ländlichen Gebiete Ostdeutschlands geprägt hat, antwortet er so: „Wir haben durchweg positive Erfahrungen mit den Menschen gemacht. Aber ich bin mir bewusst, dass die Gemeinschaften – egal, ob auf dem Dorf oder in der Stadt – abgegrenzt voneinander leben, so dass wir gar nicht in Kontakt mit der ‚bösen Seite von Dunkeldeutschland‘ gekommen sind.“ Völker nennt die Gegenwart einen „gesellschaftlichen Kipppunkt“: „Wenn die Mehrheit die Demokratie abschaffen will, wird es dunkel. Und dann will es wieder keiner gewesen sein. Wollen wir so etwas? Ich nicht!“„Falke überm Haus“: am 26. Juli 22 Uhr in der Gassmühle Rotta, Hauptstraße 30, bereits um 19 Uhr spielt Danny Dziuk, www.gassmuehle.de. Timm Völker und Band Hotel Rimini: am 29. August um 20 Uhr im Objekt 5 Halle, Seebener Straße 5