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Moritzburg Halle Kunst von Sandra del Pilar: Klarheit durch Unschärfe

Nachdenken über Macht und Gewalt: Im Kunstmuseum Moritzburg in Halle ist eine Werkschau der deutsch-mexikanischen Malerin Sandra del Pilar zu sehen.

Von Kai Agthe Aktualisiert: 21.07.2024, 16:57
Sandra del Pilar vor ihrem Gemälde „Treat me like a fool. Treat me like I’m evil“ (2017)
Sandra del Pilar vor ihrem Gemälde „Treat me like a fool. Treat me like I’m evil“ (2017) (Foto: Carlo Sintermann)

Halle/MZ. - „Wenn ich Bilder nicht aus dem Kopf bekomme, dann male ich“, sagt Sandra del Pilar über sich. Das sind auch und vor allem medial vermittelte Bilder physischer und psychischer Gewalt, die sie in ihrer Kunst reflektiert, um sie verarbeiten zu können. So etwa in „Diskurs über die Gewalt“ (2007), einer Folge von mehreren großformatigen Gemälden, auf denen Szenen aus den Folter-Gefängnissen der USA in Abu Ghraib (Irak) und Guantánamo (Kuba) zu sehen sind. Bilder, die sich nicht nur in die Netzhaut der Künstlerin eingebrannt haben, sondern Teil des kollektiven Gedächtnisses sind.

Vom Bild zum Hologramm

Der Zyklus „Diskurs über die Gewalt“ kann in einer ebenso anspruchsvollen wie faszinierenden Werkschau betrachtet werden, die das Kunstmuseum Moritzburg in Halle jetzt der deutsch-mexikanischen Künstlerin widmet. „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten“ ist – den Anfangsvers aus Bertolt Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“ (1939) zitierend – ist die Ausstellung überschrieben, von der Thomas Bauer-Friedrich sagt, dass sie ihm besonders wichtig sei. „Denn die Schau will zum Nachdenken über Strukturen von Macht und Gewalt anregen“, so der Moritzburg-Direktor.

„Ich habe das Gefühl, in einer Welt zu leben, in der Unschärfen nicht mehr aus zu wenig Informationen, sondern aus zu viel Informationen entstehen“, sagt del Pilar in Halle. Unschärfen, die auch charakteristisch für jene ihrer Bilder sind, die seit einigen Jahren in einer speziellen Maltechnik entstehen. Die sorgt dafür, dass sich die Bildmotive zu bewegen scheinen, wenn sich der Betrachter bewegt. Möglich wird das durch den Kunstgriff, über die Leinwand noch ein oder zwei Lagen bemalter Synthetik-Gaze zu spannen, die del Pilars Gemälde zu einer Art Hologramm machen. Die Klarheit der Aussage wird also durch Unschärfe des Motivs erreicht.

Diese Wirkung kann man etwa auf dem Bild „Treat me like a fool. Treat me like I’m evil“ (2017) gut nachvollziehen, auf dem eine Gruppe kniender Menschen zu sehen ist. Steht man unmittelbar am Seitenrand des Bildes, dann halten die sechs Figuren die Köpfe gesenkt und die Augen geschlossen, bewegt man sich frontal vor das Bild, dann erheben sie ihre Köpfe und öffnen die Augen, was Selbstbewusstsein suggeriert. Diese scheinbare Bewegung ist die Folge mehrerer Mal-Ebenen.

Auch dieses Gemälde hat seine Geschichte, sagt del Pilar. Als Donald Trump 2017 seine Präsidentschaft antrat, war es eines seiner erklärten Ziele, einen Zaun zwischen Mexiko und den USA zu errichten, um, wie del Pilar Trump zitiert, „Verbrecher, Vergewaltiger und wilde Tiere“ fernzuhalten. Also habe die Künstlerin das „Treat me“-Bild geschaffen, auf dem sie sich selbst, ihre Tochter und einige mexikanische Freunde kniend, als seien sie gerade verhaftet worden, festgehalten hat. „Wir Mexikaner als Trumps wilde Tiere“, wie del Pilar kurz und bündig bemerkt.

Die Beschäftigung mit Macht- und Gewaltstrukturen reicht aber noch weiter. Wie bei der Installation „Armee der kleinen Mädchen“, wo Kinder auf schwarze Gaze gemalt sind, die als Vorhänge in einem dunklen Raum hängen. Bewegt man sich durch das Labyrinth auf die Gegenseite, sind die Kleinen auf dem transparenten Stoff scheinbar spurlos verschwunden. Dies ist del Pilars künstlerische Form, auf eine bedrohte Kindheit und kindliche Verletzlichkeit hinzuweisen.

„Die Welt ist schon schrecklich genug, muss man diese Schrecken auch noch in der Kunst darstellen?“ Diese Frage nahm del Pilar am Freitag bei einem Rundgang den Medienvertretern vorweg, um sie selbst zu beantworten.

In zwei Heimatländern

„Das muss jeder natürlich für sich entscheiden. Ich aber habe das Bedürfnis, den Dingen ins Auge zu sehen“, so die Künstlerin, die 1973 als Tochter eines mexikanischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren wurde und heute in beiden Ländern lebt – und in beiden auch promoviert wurde: 2005 in Düsseldorf in Kunstgeschichte, 2019 in Mexiko-Stadt in Kunst.

„Die Ausstellung wird niemanden unberührt lassen und mit Sicherheit polarisieren“, so Bauer-Friedrich. Aber das gelingt, wie man weiß, nur bedeutender Kunst.

Sandra del Pilar: „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten: Malerei“, bis zum 13. Oktober im Kunstmuseum Moritzburg Halle, Friedemann-Bach-Platz 5, täglich außer mittwochs 10-18 Uhr. Der Katalog kostet 38 Euro.