Matthias Brenner inszeniert „Die Leichenoper“ Ein Bürgermeister-Alptraum
Mit der „Leichenoper“ gelingt dem halleschen Puppentheater erneut ein Wurf mit Kultpotenzial: Matthias Brenner hat inszeniert und spielt mit. Das Ensemble zeigt sich in Bestform.
Halle/MZ. - Wenn man nur den Titel der neuesten Puppentheaterproduktion „Die Leichenoper“ nimmt, könnte einem Angst und Bange werden. Aber die populäre „Dreigroschenoper“ ist ja auch nicht nur die drei Groschen im Titel wert, sondern deutlich mehr.
An die muss man eh öfter mal denken. Der Berliner Christoph Schambach (der auch für die musikalische Leitung des Abends steht) hat das sicher getan, als er seine Song-Oper Ende der 80er Jahre komponiert hat. Zumindest hat er sich vom eingängigen Moritatenrhythmus von Kurt Weills Wurf inspirieren lassen. Es hilft ja meistens, wenn einem Neues auch irgendwie bekannt vorkommt.
Orchester im Koffer
In einem höheren Sinne geht es im Libretto von Daniel Morgenroth vor allem um die sprichwörtliche Leiche, die wohl jeder im Keller hat. Rein szenisch geht es auf der Bühne des Puschkinhauses in Halle um die Leiche des Bürgermeisters. Es ist ein ganz allgemeiner Bürgermeister in Irgendwo – also auch da kein Grund zur Sorge. Der ist hier eine lebensgroße Puppe und vielleicht auch nur Teil des Aufstiegsalptraums eines Mittelschichtbeamten und seiner ehrgeizigen Gattin, in deren Schlafzimmer sich das Ganze zuträgt. Nicolaus-Johannes Heyse hat ein Ehebett in Draufsicht auf die Bühne gestellt, so dass Hans (Matthias Brenner) und seine Mausi (Lena Zipp) halb stehen, wenn sie liegen. Links die sitcom-reichlich frequentierte Tür durch die es direkt von draußen ins Schlafzimmer geht. Das passt ohne überflüssigen Firlefanz wie maßgeschneidert. Über dem Bett ein angedeutetes Fenster, das beim Song „Mein Chef der Arsch“ zum Rahmen für genau den nämlichen wird.
Das Stammpublikum der halleschen „Puppe“ dürfte sich an den „Schauspieldirektor“ erinnert haben, um schon bei der Premiere die Kasse zu stürmen. Dieser spartenübergreifende Wurf hatte schnell Kultstatus. Diesmal ist die Staatskapelle zwar nur im Miniformat im Koffer mit Sternchenlogo auf der Bühne anwesend. Was die Musiker unter Leitung von Yonatan Cohen und der Opernchor unter der Leitung von Frank Flade eingespielt haben, ist aus der Konserve zu hören, wenn Simon Buchegger den Taktstock hebt und nicht gerade als Puppenspieler oder Hund unterwegs ist.
Den Gesang übernehmen die Schau- und Puppenspieler selbst. Live und in Farbe. Der Clou: Matthias Brenner, der nt-Intendant a. D., Schauspieler in vollem Saft und Regisseur mit Lust an der finsteren Komödie, vertritt gleich zweifach das Schauspiel und führt das Ensemble aus lebendigen und nachgebauten Akteuren an.
Wobei auch die Puppen an diesem Abend allesamt (wieder) ihren ganz eigenen Charme haben. Mal abgesehen vom Bürgermeister, der nur leblos im ehelichen Schlafzimmer gestrandet ist und am Ende im Wortsinn aufgelöst wird, haben alle ihr Eigenleben. Während das Ehepaar noch überlegt, wie denn der Bürgermeister in ihr Schlafzimmer gekommen sein mag, klingelt es.
Sprechender Anzug
Ein angeblich bestelltes Fass Salzsäure, dessen sprechender Teil wie ein Alien aussieht, liefert sich selbst ab. Dann taucht ein kunterbunter, nagelneuer Anzug auf, der sprechen kann. Er ist für den vermeintlichen Karriereschritt nach oben bestens geeignet. Nach dem nächsten Klingeln kommt zwar nicht der reitende Bote des Königs, aber einer mit wehendem Gewand und einer Einladung ins Rathaus mit einem Termin in Sachen Personalfragen.
Was natürlich den Karriereehrgeiz beflügelt. Und zum roten Faden der Geschichte gehört, der schon zu Beginn einen separaten kollektiven Auftritt hatte. Diese wie immer vielseitig agile Puppenspielertruppe (Sebastian Fortak, Simon Buchegger, Lars Frank, Louise Nowitzki und Luise Friederike Hennig) steht überhaupt im Verein mit ihren Puppen für das rumorende Unterbewusste, um das es hier letztlich geht.
Wunderbar der Auftritt der Presse – die ist natürlich inzwischen zur zickigen Influencerin mutiert, redet in ihrem Neusprech und braucht Walgesänge zur Beruhigung, weil sie ihren Einsatz verpasst hatte. Schließlich taucht die Polizei auf der Suche nach dem abhandengekommenen Bürgermeister auf. Zerknittert wie weiland Colombo mit einem Blaulicht als Kopfschmuck.
Keine Falten gibt es dann in der Nummer „Mein Chef der Arsch und ich“, die das geflügelte Wort von der Arschkriecherei deftig ins Bild setzt und dem „Lockruf des Geldes“ folgt. Bei den Möchtegernaufsteigern führt „Der süße Duft, der nicht von Rosen“ sondern von der Leiche kommt dazu, sich an die Salzsäure zu erinnern.
Wenn sich nur alle Alpträume auf so charmante und unterhaltsame Art auflösen würden! Das Publikum ging mit, amüsierte sich köstlich und die „Puppe“ hat ein neues Stück mit Kultpotenzial.
Nächste Aufführungen im Puschkinhaus in Halle, Kardinal-Albrecht-Straße 6: am 17. und 31. Oktober und am 1. November jeweils 20 Uh