„Wallenstein“ zum Festspiel der deutschen Sprache Deutschland in der Nacht
Kunst in Zeiten des Krieges: Das Festspiel der deutschen Sprache in Bad Lauchstädt bringt Schillers Wallenstein-Trilogie auf die Bühne.

BAD LAUCHSTÄDT/MZ - Mit Schiller ist Bad Lauchstädt ganz bei sich selbst. Auch deshalb, weil der Dichter hier selbst einmal zu Gast war. Über fast zwei Wochen hielt sich der 43-Jährige im Sommer 1803 in dem Kurort bei Halle auf – auch um die Wirkung seiner Dramen in dem Theater zu prüfen, das er täglich besuchte. Das Volk feierte den Autor, wo es ihn sah.
An dieser Zuneigung hat sich wenig geändert. Im schönsten goethezeitlichen Publikumstheater Deutschlands bleibt Schiller ein Gegenwartsautor – und seine „Wallenstein“-Trilogie (1799) ein Gegenwartsdrama, das als Höhepunkt des Festspiels der deutschen Sprache am Freitag und Sonnabend in der Regie von Albert Lang zur Premiere gelangte.
Ernstes Leben, heitere Kunst
Dabei ist der „Wallenstein“ kein politisches Statement für oder gegen den Krieg, sondern ein Kunststück, das den Streit von zwei menschlichen Haltungen vorführt: einem moralisch völlig herabgestimmten Pragmatismus auf der Seite des bekanntesten Feldherrn des Dreißigjährigen Krieges auf der einen und einem moralisch hochgestimmten Idealismus auf der anderen Seite, hier gezeigt an der Figur des Wallenstein-Verehrers Max Piccolomini.
Zwei Haltungen, die heute wieder im Streit liegen. Insofern war es richtig, dass Reiner Haseloff am Freitagabend in seinem Grußwort von der Bühne herab von einem „aktuellen Thema“ sprach, das man mit dem „Wallenstein“ gefunden habe. Auch der Hinweis des Ministerpräsidenten darauf, dass sich das Festival im 500-Jahr-Gedenken an Luthers Schöpfung der deutschen Hochsprache ereignet, war richtig platziert. Ausdrücklich diente Schiller die Sprache als Medium einer Kunst, die dem Menschen ästhetische Freiheitserfahrungen ermöglichen soll, die die politische Wirklichkeit nicht gestattet. Eine Lesart, die der Festspielchefin Edda Moser entgegenkommt, die ihre kurze Ansprache mit dem Heine-Zitat eröffnete: „Denk ich an Deutschland in der Nacht“.
Sprache als das Behaupten der persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit. Um die ging es Friedrich Schiller auch in seiner Trilogie: „Wallensteins Lager“, „Die Piccolomini“ – beide am Freitag hintereinander geboten – und „Wallensteins Tod“ am Tag darauf. Geschildert werden die Wochen vor dem gewaltsamen Ende des Generalissimus im September 1634, der sich – vom Kaiser, dem er dient, als Konkurrent geächtet – selbstsüchtig in einen Hochverrat hinein verzettelt.
Unmut im Saal: „Höre nichts! Ist sinnlos!“
Nicht auf, sondern neben der Bühne beginnt das Spiel. Von der Mitte der rechten Empore herab spricht Thomas Thieme, der den Wallenstein geben wird, den Prolog, darin die Zeilen: „Zerfallen sehen wir in diesen Tagen / Die alte feste Form“, die „ein willkommner Friede / Europens Reichen“ über Jahrzehnte gab. Damit ist es vorbei. Thieme, weißes Hemd, schwarze Weste, spricht leise, beiläufig, fast flüstert er, so dass sich am äußersten Rand des Saales Unmut regt. „Höre nichts!“, ist zu hören. Und: „Ist sinnlos!“ Aber Thieme spricht fort, leise, eigensinnig, am Ende die bekannte Zeile, die er klanglich meißelt: „Ernst“ – starke Pause – „ist das Leben, heiter ist“ – starke Pause – „die Kunst.“
Der Bühnenhintergrund ist ein wie hingehauchtes Landschaftsbild, auf dem sich ab und an der Himmel rot färbt. Davor zehn Stühle und zehn kleine Tische, auf denen die Textmappen liegen.
Das Festspiel- ist Vorlesetheater, eine Herausforderung für die Akteure und das Publikum gleichermaßen. Bühnentext ohne Bühnenspiel erfordert Disziplin. Mit etwas Gestik, mit leichter Stimmfärbung ist hier wenig, mit genauer Artikulation ist hingegen alles zu machen. Ein Schauspieler, der das gut beherrscht, ist Udo Schenk, im ersten Teil als Wallensteins kaiserlicher Gegenspieler Questenberg. Fest, klar und stets gut hörbar geht seine Stimme.
Wallenstein: Eher abgewrackt als aufgemotzt
Statt von Schauspielern wäre also von Schaurednern zu sprechen. Peter Lohmeyer gibt – bis hin zu seinen roten Socken – als Octavio Piccolomini einen elanvollen Taktiker, Max Simonischek dessen naiv unverstellten Sohn Max, Nora Quest spricht dessen Geliebte, die Wallenstein-Tochter Thekla, Christian Grashof eher unauffällig den General Isolani, Ruth Reinecke die Gräfin Terzky.
Wallenstein tritt nach der Pause auf die Bühne. Thieme spricht und zeigt ihn erratisch, lakonisch, eher abgewrackt als aufgemotzt. Das passt zu Schillers Entwurf: Wallenstein, schrieb er, „kann sich nicht, wie der Idealist, in sich selbst einhüllen, und sich über die Materie erheben, sondern er will die Materie sich unterwerfen, und erreicht es nicht.“
Der Theaterboden bebt
Die Lesung zeigt: Soldaten, die sich im Krieg wie in einer Parallelwelt einrichten. Politiker, die allein um ihre persönliche Herrschaft ringen. Aber niederer Pragmatismus ganz ohne höheren Idealismus führt in die Unfreiheit, das ist die Pointe von Schillers Spiel. Das lässt nach drei Stunden den hölzernen Hausboden beben. Das Publikum trampelt. Rhythmisches Klatschen. Laute Rufe. Und Thieme lacht zum ersten Mal.