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„Untertan. Eine deutsche Revue“ am Neuen Theater Der ewige Duckmäuser

Mareike Mikat hat am neuen theater Halle „Untertan. Eine deutsche Revue“ nach dem berühmten Roman von Heinrich Mann inszeniert: Ein furioser Ritt vom Kaiserreich ins Jetzt.

Von Andreas Montag 07.03.2025, 17:10
Im Mittelpunkt: der Untertan. Von links: Jennifer Krannich, Franz Blumstock, Nils Thorben Bartling, Tristan Becker, Alexander Pensel , Matthias Walter
Im Mittelpunkt: der Untertan. Von links: Jennifer Krannich, Franz Blumstock, Nils Thorben Bartling, Tristan Becker, Alexander Pensel , Matthias Walter (Foto: Falk Wenzel)

HALLE/MZ. - Das Spiel endet, wie es begonnen hat: mit einem Lied und einer Ansage. Eingangs steht ein schönes, fast beschauliches Bild, eine Sängerin tänzelt verführerisch auf dem Steg, die kleine Band spielt flott dazu. Bis die Idylle, der man freilich nicht trauen mag, jäh zerstört wird von einer Männerhorde. Mit Plastikpritschen, die auch Baseballschläger sein könnten, knüppeln sie auf alles ein, das ihnen missfällt. Auch auf jene, die eben noch Kunst produzierten.

Nach diesem Ausflug in die Denkwelt rabiater Populisten, denen das Theater gefälligst ihr Bild vom heilen Deutschsein spiegeln soll, vollzieht das Spiel einen Zeitsprung in die Vergangenheit, die einfach nicht vergehen will.

Starker Applaus

So lässt sich die Leitidee von Mareike Mikats Inszenierung „Untertan. Eine deutsche Revue“ kurz fassen, die jetzt im Großen Saal des neuen theaters Halle ihre stark applaudierte Premiere gefeiert hat. Gemeinsam mit der erfahrenen Dramaturgin Bernhild Bense, der guten Seele des halleschen Schauspiels, hat Mikat den Roman „Der Untertan“ von Heinrich Mann ebenso schlüssig wie gegenwärtig für die Bühne adaptiert. Geschrieben und vollendet vor Beginn des Ersten Weltkrieges, konnte der ältere Bruder von Thomas Mann sein entlarvendes Buch über den Untertanen-Ungeist erst 1918, nach dem Ende des Krieges und dem Sturz des Kaiserreichs, veröffentlichen. Das Buch sei „das Herbarium des deutschen Mannes“ hat der Publizist und Schriftsteller Kurt Tucholsky über „Der Untertan“ geschrieben.

Heinrich Mann, 1871 in Lübeck geboren, war Kind seiner Zeit, die von autoritären Machtstrukturen und Gewalt geprägt war. Vor den Nazis, deren Machtantritt die kurzlebige, fragile Demokratie der Weimarer Republik beendete, floh der nun verfemte Autor ins Exil. Dort, in Santa Monica, Kalifornien, ist er 1950 auch gestorben.

Sein „Untertan“ ist ein exemplarisches Werk über den menschenverachtenden Zwang, Abhängige zu unterwerfen – ein Mechanismus, der neue Monster produziert. So erzählt es nun auch Mareike Mikat am neuen theater. Die Regisseurin bleibt dem Roman nah und findet fantasievolle Bilder für den Werdegang Diederich Heßlings. Es ist das Gegenteil des bürgerlichen Bildungsromans, das hier in gnadenloser Satire ausgebreitet wird.

Heßling ist der ewige Duckmäuser, der freilich daran glaubt, dass seine Stunde kommen wird. Vom Vater, einem Fabrikanten, regelmäßig verdroschen, nimmt er die Prügel geradezu lustvoll entgegen. Während seines Studiums wird er bei einer Schlagenden Verbindung eine Heimat finden, er wird sich vor dem Militärdienst drücken und ein Mädchen, das ihm bequem war, weil es ihn aus Liebe bei sich schlafen ließ, verlassen. Den jungen Herrn Doktor zieht es nun heimwärts, zu großen Erfolgen als kaisertreuer Bürgersmann.

So geht es voran mit der Karriere. Nach seines Vaters Tod wird Heßling zum Chef der Fabrik und zum Oberhaupt seiner Familie. Zuvor aber, in einer komödiantischen Entlarvung sondergleichen, ist der machtlüsterne Aufsteiger im Berliner Tiergarten noch unverhofft seinem Idol, Kaiser Wilhelm II., begegnet. Auge in Auge. Der Herrscher hoch zu Ross, Jung-Diederich bekommt angesichts des großen Moments einen Orgasmus der besonderen Art: Er fällt rücklings in den Dreck und macht sich auch noch die Hosen voll dabei. Das Besondere an dieser Inszenierung ist jedoch, dass das hoch motivierte Ensemble in wechselnden Rollen agiert. Fast alle sind mal Heßling, auch Jennifer Krannich, die einzige Frau im Männertableau. Sie macht ihre Sache ebenso hervorragend wie ihre Kollegen und der junge Mars Mikat – in allen Rollen.

Prototypische Person

Mit der rotierenden Besetzung des Diederich Heßling hat es aber nicht nur eine spielerische, sondern zugleich eine inhaltliche Bewandtnis: Hier geht es um eine prototypische Person, die unsterblich zu sein scheint. Am Ende flimmern noch Donald Trump und sein bester Kumpel Elon Musk über den Videoschirm. Die Schauspieltruppe aber sitzt am Bühnenrand und schließt den furiosen, dreistündigen Reigen mit einer Ansage: Jennifer Krannich, Nils Thorben Bartling, Tristan Becker, Franz Blumstock, Andrej Kaminski, Alexander Pensel, Matthias Walter und Mars Mikat verabschieden sich mit einem Lied. Mut, nur Mut kann die Angst besiegen.

Das ist Stadttheater auf Höhe der Zeit. Alle, auch Simone Manthey (Bühne), Kirsten Heppekausen (Kostüme) und Hannes Hesse (Video) tragen dazu bei. Chapeau!

Nächste Aufführungen am 12. März um 18 Uhr, am 13. März 19.30 Uhr