Kreuzworträtsel-Mord Kreuzworträtsel-Mord: Treffer bei Probe 551 198

Halle (Saale)/MZ. - Es ist der 15. Januar 1981. Ein kalter, leicht verschneiter Tag geht zu Ende. Gegen 20.30 Uhr erscheint eine aufgeregte Frau auf dem Polizeirevier in Halle-Neustadt. Ihr Sohn sei nicht vom Kinobesuch zurückgekehrt, sagt sie. All seine Freunde seien bereits daheim, nur ihr Lars nicht. Zu spät nach Hause gekommen sei der Siebenjährige noch nie. Die Polizisten fackeln nicht lange, leiten nach einer Viertelstunde die Fahndung nach dem Jungen ein. Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen können: Der Fall entwickelt sich zum spektakulärsten Tötungsverbrechen der DDR, wird später sogar als "Polizeiruf" verfilmt. Jetzt sorgt die geplante Lesung der damaligen Freundin des Täters in Halle-Neustadt für Empörung.
Streckenläufer findet Koffer
Tagelang bleibt der sieben Jahre alte Lars wie vom Erdboden verschwunden. Die Polizei sucht nach dem Kind. Auch öffentlich mit Lautsprecherdurchsagen und einem Foto in Zeitungen - ein für die DDR nicht alltäglicher Vorgang. Zehn weitere Tage gehen ins Land. Dann die bittere Erkenntnisse für die Sonderkommission "Lars": Der Junge ist tot. Ein Streckenläufer der Reichsbahn entdeckt einen herrenlosen Koffer an der Bahnstrecke Halle-Leipzig zwischen Schkeuditz und Lützschena. Als er den Pappkoffer öffnet, findet er darin den toten Körper des vermissten Lars aus Halle-Neustadt.
Die Kriminalpolizei hat zu Beginn der Ermittlungen kaum gesicherte Erkenntnisse. Fest steht lediglich, dass Lars Opfer eines Sexualverbrechens geworden ist, und als Täter nur ein Mann infrage kommt. Der Mörder besitzt offenbar kein Auto, er hat den Koffer aus einem fahrenden Zug geworfen. Die Ermittlungen drehen sich im Kreis, als die Polizei auf einen ungewöhnlichen Einfall kommt. Ansatzpunkt sind alte Zeitungen, darunter eine "Freiheit", Ausgabe Halle-Neustadt. Unter anderem mit ihr hat der Täter den Koffer ausgelegt: "Damit kein Blut nach außen dringt", wie der Täter Matthias S. später aussagt.
Das Interesse der Ermittler wird auf gelöste Kreuzworträtsel gelenkt. Sie hoffen, dass die Schrift zum Mörder von Lars führt. Die Polizisten gehen in Halle-Neustadt von Tür zu Tür, sammeln 21 000 Schriftproben. Außerdem nehmen sie 3 000 Wohnungsanträge, 40 000 Pkw-Anmeldungen, 250 000 Personalausweisanträge und 90 000 Telegrammformulare der Post unter die Lupe.
Die Kripo durchwühlt auch Kaderakten von Betrieben nach der charakteristischen Schrift. Sachverständige kommen unterdessen zu einem erstaunlichen Ergebnis. Weiblich und mittleren Alters - zu einer solchen Person gehört die Schrift in den Kreuzworträtseln. Das widerspricht der These von einem pädophilen Straftäter.
In den Räumen der Bezirkspolizei stapeln sich die Schriftproben. Tag und Nacht wird verglichen. Dann der Treffer bei Probe 551 198. Sie gehört zu Ingeborg G. Schnell steht zwar fest: Die 40 Jahre alte Kellnerin ist unschuldig. Die Spur aber führt über ihre 18-jährige Tochter, der heutigen Buchautorin Kerstin Apel, zu deren gleichaltrigem Freund Matthias S.
Nach anfänglichem Leugnen gesteht er schließlich detailliert, wie er sein Opfer kennengelernt, missbraucht und schließlich brutal umgebracht hat. 1982 wird er zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch bereits 1991 wird er aus der Haft entlassen, danach bis 1996 im Maßregelvollzug untergebracht. Im Jahr 1999 wird er endgültig entlassen und lebt seitdem anonym in Thüringen.
Gefühle kochen hoch
Das Buch von Kerstin Apel und die geplante Lesung daraus in Halle-Neustadt am 6. März lassen bei Einwohnern 32 Jahre nach dem Mord die Gefühle hochkochen. Zu tief haben sich die Geschehnisse von 1981 in ihr Bewusstsein eingebrannt. "Ich bin empört über die geplante Lesung ", beschreibt Anwohner Bernd Müller das, was viele bewegt. Die Frau sei Mitwisserin, habe womöglich geholfen, die Leiche zu beseitigen. "Die Tat war bis ins Tiefste verabscheuungswürdig." Auf die Empörung reagiert auch die Buchhandlung Thalia in Neustadt. Deren Beteiligung an der Lesung ist abgesagt.
In Gotha (Thüringen) prüft Oberbürgermeister Knut Kreuch (SPD) ebenfalls, eine geplante Lesung von Kerstin Apel in der dortigen Myconiusschule zu unterbinden.