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Klettern in der Kirche Klettern in der Kirche: Drahtseilakt im Zerbster Gotteshaus

Von Ralf Böhme 28.06.2014, 20:38
Kletter-Trainer Uwe Kretschmann hatte die Idee zu dem Hochseilgarten, den es nun in einer Zerbster Kirche gibt.
Kletter-Trainer Uwe Kretschmann hatte die Idee zu dem Hochseilgarten, den es nun in einer Zerbster Kirche gibt. thomas meinicke Lizenz

Zerbst/MZ - Halt finden. Das ist hier zwischen Orgel, Taufbecken und Altar vielleicht das Wichtigste. Diana Ezerex will zeigen, wie man auf der Suche nach dem richtigen Halt erfolgreich sein kann - und das auf ungewöhnliche Weise: Die 19-jährige Jugendmitarbeiterin der Gemeinde läuft dazu eine Wand hinauf - bis unter das Dach in der Kirche St. Trinitatis in Zerbst (Anhalt-Bitterfeld). Das ist einmalig, nirgendwo in Sachsen-Anhalt gibt es bislang ein Gotteshaus mit Kletterwand und Hochseilgarten.

Natürlich, erklärt Landesjugendpfarrer Martin Bahlmann, geht es bei dem Projekt auch um Werbung in eigener Sache. Der Grund: Wie in allen anderen Landeskirchen ist die Zahl der Gläubigen auch in Anhalt gesunken, von rund 47.000 im Jahre 2008 auf nun 40.000. Vor diesem Hintergrund ist das Projekt kein Selbstläufer, sondern eine ungewöhnliche Premiere. Und die Kletterwand kommt an. Das Angebot, zunächst auf knapp einen Monat begrenzt, erhält ungeahnt großen Zuspruch. Gott suchen einmal anders, viele Termine sind bereits ausgebucht, Anfragen kommen aus dem ganzen Land.

Auf Augenhöhe mit dem Altarbild

Aufwärts! Ihre Hände greifen. An Vorsprüngen zieht sich Jugendmitarbeiterin Diana Ezerex empor. Im nächsten Moment verlagert sie das Gewicht auf die Füße. Ihre Zehen krallen sich fest auf einer schmalen Holzkante. Doch die junge Frau steht sicher. Und nun weiter, Tritt für Tritt weiter nach oben.

Hannes und Tim, zwei Konfirmanden aus dem nahen Wohngebiet, staunen - genau wie auch einige Schüler des Zerbster Gymnasiums, die neugierig zuschauen. Bald ist es für die jungen Leute, die allesamt nicht am Religionsunterricht teilnehmen, keine Frage mehr: Natürlich wollen auch sie das Wagnis eingehen, bei der Kletteraktion mitmachen. Diana Ezerex erreicht derweil ein Podest im Kreuzgewölbe. Dort hakt sie die Sicherungsseile ein - und strahlt erst einmal. Die erste Etappe ist geschafft. Nun ist die Kletterin auf Augenhöhe mit dem großen Altarbild. „Der Ausblick ist herrlich“, ruft sie herab.

„Kletterspaß in der Kirche“

Entwickler der Konzeptes „Kletterspaß in der Kirche“ sind die Erlebnispädagogen der Landeskirche Anhalt wie Uwe Kretschmann: „Die Idee kam mir, als ich vor Jahren in einer katholischen Kirche in Bayern ein kleines Klettergerüst sah.“ Sein erste Gedanke damals: Das geht noch besser. Als Kletter-Trainer weiß der 42-jährige Köthener, worauf es ankommt. Zum einen muss die Konstruktion in die Kirche passen. Zum anderen muss die Sicherheit der Teilnehmer gewährleistet werden können. Unter dieser Maßgabe, so Kretschmann, trage der anfangs skeptische Gemeindekirchenrat das Projekt mit.

Ob und wie Sie bei dem Projekt mitmachen können, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Fünf Säulen stützen die Konstruktion aus Kletterwand und Hochseilgarten. Jede von ihnen ist acht Meter hoch. Ein fester Boden, miteinander verschraubte Rohre und etliche Stahlseile sorgen für Stabilität. Der Aufbau ist harte Arbeit und dauert einen Tag. Beteiligt sind zwei Profi-Monteure und fünf freiwillige Helfer - ohne Flaschenzug und Kran.

Während Kretschmann die Ausrüstung für das Klettern bereit legt, erklärt seine Kollegin Mandy Lambrecht die Finanzierung des mehrwöchigen Vorhabens. 7500 Euro müssen aufgebracht werden. Jeder, der beim Kletterspaß mitmachen möchte, zahlt acht, Erwachsene zehn Euro. Und wie es aussieht, kann mit dieser Einnahme etwa ein Drittel der Kosten gedeckt werden. Eine bedeutende Spende sowie ein Beitrag der Kirche ermöglichen es, die Rechnung am Ende komplett zu begleichen.

Mit dabei ist auch Pfarrer Thomas Meyer. Er sieht dem Treiben in seinem Gotteshaus nicht nur zu, auch der Mittvierziger lässt sich die Sicherheitsgurte anlegen und festzurren. „Kirche intensiv erleben, das brauchen wir“, sagt er. Auf halbem Weg nach oben, etwa in Höhe der Kanzel, zeigt Pfarrer: „Jesaja, Markus..., die Heiligen.“ Später zögert er nicht, sich in die Seile zu hängen, um so zu beweisen: Man kann sich fallen lassen, es trägt.

Zu dieser Erkenntnis kommen die Jugendlichen auch an anderer Stelle - etwa am Taufstein. Um ihn herum liegt ein Tau. Jugendmitarbeiterin Mandy Lamprecht lädt die jungen Leute zu einem Experiment ein. Zwei Jungen und ein Mädchen machen mit. Alle fassen das Seil und lassen sich auf eins, zwei, drei nach hinten kippen. Niemand fällt. Das beeindruckt die Zuschauer, darunter zwei ältere Frauen, die gerne nach dem Stadtbummel in der Kirche rasten. Es sei schon sehr überraschend, meinen sie, was jetzt hier passiere. Aber die Botschaft, die vermittelt werden soll, sei auch ihnen verständlich: Gemeinschaft, wie Getaufte sie verstehen, kann immer auch Halt und Sicherheit bedeuten.

Ein biblischer Trick

Auch im Hochseilgarten sind die Seile so geführt, dass ein Absturz praktisch ausgeschlossen ist. Aber dennoch verlässt eine Schülerin der Mut, als sie sich von Knoten zu Knoten vortastet. Was auffällt: Kein anderer drängt sie, und immer ist auch ein kundiger Helfer in der Nähe. Mit der Zeit überwindet das Mädchen seine Angst, kommt mit den Hindernissen immer besser zurecht. Dazu gehört eine Hängebrücke, bei der absichtsvoll eine Planke fehlt und daher ein sehr weit ausgreifender Schritt erforderlich ist. Mancher zögert da, am Ende machen ihn jedoch alle.

Der Gipfel jedoch ist erst erklommen, wenn man den schwebenden roten Balken überwindet. Anders als das Gerät, das viele aus dem Sportunterricht kennen, schwingt das quer in Kirchenraum hängende Ding ziemlich. Nur nicht aus dem Gleichgewicht kommen, dann ist der Blick frei auf den Altar, der zum Greifen nahe ist.

Wie in der Bibel geschrieben, teilen sich die Jugendlichen in St. Trinitatis auch Brot und Wein, letzteres in Gestalt von Weintrauben. An einer Holztafel kann jeder erzählen, was ihn nach den drei Stunden bewegt. Niemand erklärt, nun regelmäßig in die Kirche zu kommen, doch Eindruck hat der Besuch gemacht. Ben, der demnächst eine Mechanikerlehre beginnt, lenkt das Gespräch auf die größte Mannschaftsleistung des Tages - das Spiel „Der Wanderer“. Immer zwei Leute halten dabei eine Bohle, über die dann einer aus der Gruppe läuft - ein biblischer Trick: So trägt tatsächlich einmal jeder des anderen Last.

Einen Tag lang dauerte der Aufbau des Hochseilgartens, der von acht Meter hohen Stützen getragen wird.
Einen Tag lang dauerte der Aufbau des Hochseilgartens, der von acht Meter hohen Stützen getragen wird.
Thomas meinicke Lizenz