Kinder Kinder: Spurlos verschwunden
Sangerhausen/MZ. - Punkt 12 Uhr wird sie am Freitag vor dem Revierkommissariat der Polizei in Sangerhausen (Mansfeld-Südharz) Luftballons aufsteigen lassen, um 12 Uhr werden Ballons auch an einem Stand auf dem Markt in die Luft schweben. Eigentlich wollte Heidi Stein Fotos ihres Sohnes an sie hängen. "Aber die Bilder auszudrucken schaffe ich nicht", sagt die 60-Jährige. Als sie es zuletzt versuchte, brach sie weinend zusammen. Seit 33 Jahren sucht Stein nach ihrem Sohn Dirk Schiller, der 1979 an der Heimkehle bei Uftrungen (Mansfeld-Südharz) verschwand.
Meist schnell gelöst
Am Freitag ist der Internationale Tag der vermissten Kinder. Rund 50 000 Kinder und Jugendliche werden laut Opferhilfeorganisation "Weißer Ring" jährlich in Deutschland vermisst gemeldet. Täglich werden laut Bundeskriminalamt etwa 250 bis 300 Fahndungen neu erfasst und auch gelöscht - die meisten Kinder tauchen schnell wieder auf. Derzeit sind 558 Kinder bis 13 Jahre und 1 388 Jugendliche verschwunden. Ein Großteil der Kinder sind Flüchtlingskinder oder Mädchen und Jungen, die von einem Elternteil einfach mitgenommen werden - etwa ins Ausland.
Stein ist es wichtig, auf die Schicksale der Verschwundenen aufmerksam zu machen. Und auf das ihres Sohnes, den sie noch immer zu finden hofft. Dirk verschwand im März 1979 an der Heimkehle, die Eltern hatten den Dreijährigen nur wenige Minuten aus den Augen gelassen. Für die Behörden ist der kleine Junge damals in einem überfrorenen Bach ertrunken. Sämtliche Suchaktionen aber blieben ohne Ergebnis, bis heute ist keine Leiche gefunden worden. Als sie das westdeutsche Rote Kreuz informierten, kamen die Eltern 1983 ins Gefängnis. Heidi Stein ist heute überzeugt, dass die Staatssicherheit schon vorher die Hände im Spiel hatte - um so mehr, als nach der Wende in ihrer Stasiakte mysteriöse Unterlagen auftauchten. Ein Schreiben, nach dem 1988 Dirks Meldedaten gelöscht werden sollten, laut dem er erst 1983 in Ungarn verschwand. Ein Papier, mit dem offenbar Ermittlungen zu einem Pkw Moskwitsch verhindert werden sollten, der damals an der Heimkehle war.
Neun Fälle unter 14
Der Fall Dirk Schiller ist laut Polizei der älteste eines vermissten Kindes, der in Sachsen-Anhalt gespeichert ist. 224 Anzeigen wurden im vergangenen Jahr landesweit aufgegeben. Derzeit gelten laut Landeskriminalamt neun Kinder unter 14 Jahren als vermisst. Bis auf eine 13-jährige Dauerausreißerin, die im April aus einem Heim verschwand, sind sie schon länger verschwunden. Zu den bekanntesten Fällen zählt der von Mandy Schmidt aus Halle. Ostersamstag 1998 wurde die damals 13-Jährige das letzte Mal gesehen. Ihr Schwager wurde später wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt, ein Zusammenhang mit ihrem Verschwinden konnte ihm nie nachgewiesen werden. Endgültig zu den Akten gelegt ist der Fall bis heute nicht, sagt Staatsanwaltschaftssprecher Klaus Wiechmann. Regelmäßig schauen sich neue Ermittler die Unterlagen an. Auch mögliche Verbindungen zu anderen Fällen werden stets geprüft. "Neue Anhaltspunkte gibt es im Moment aber nicht", so Wiechmann.
Anders als die Fälle Mandy und Dirk klären sich viele aber auch in Sachsen-Anhalt innerhalb weniger Tage. Von den Kindern unter 14 war im vergangenen Jahr fast die Hälfte innerhalb der ersten drei Tage wieder da, weitere 37 Prozent bis zum Ablauf einer Woche. Bis auf einen Fall, in dem ein Elternteil mit einem Kind verschwunden ist, haben sich 2011 alle innerhalb eines halben Jahres geklärt.
Auf Klärung hofft auch Heidi Stein. Eigene Recherchen, auch DNA-Vergleiche nach Hinweisen, die sie erhalten hat, blieben bisher ergebnislos. Der Polizei wird sie am Freitag ein Schreiben übergeben, in dem sie neue Ermittlungen fordert. Inzwischen engagiert sie sich in einem Projekt "Missing Scout", das eine internationale Vermisstendatei aufbauen will. Am Freitag soll in Deutschland dazu ein Verein gegründet werden.