Interview mit Bundeswehr-Oberst Interview mit Bundeswehr-Oberst: "Die Flut stellt alles in den Schatten"

Halle/MZ - Während der Flut standen bis zu 7 000 Soldaten unter dem Kommando von Oberst Claus Körbi. Mit dem Leiter des Landeskommandos Sachsen-Anhalt der Bundeswehr sprach unser Redakteur Alexander Schierholz über den Hochwasser-Einsatz.
Herr Oberst, wie oft haben Sie in den vergangenen Wochen auf einem Deich gestanden?
Körbi: Das habe ich nicht gezählt, aber es war schon sehr oft. Ich bin jeden Tag draußen gewesen.
Sachsen-Anhalt hat drei Wochen Ausnahmezustand hinter sich und eine Flutwelle, die sich durch das Land gewälzt hat. Haben Sie so etwas in Ihrer Laufbahn schon erlebt?
Körbi: Nein. Das ist mein drittes großes Hochwasser. 1997 war ich als Verbandsführer mit 700 Mann an der Oder im Einsatz, 2002 dann im Leitungsstab in Niedersachsen. Aber die Flut 2013 stellt alles in den Schatten, schon vom Umfang her. Es war ja nicht nur die Elbe betroffen, sondern auch die Saale, die Mulde, die Weiße und die Schwarze Elster. Und die Scheitel von Saale und Elbe sind fast gleichzeitig an der Saalemündung angekommen, das war das große Problem.
Was war das Außergewöhnlichste, das Sie bei Ihrem Einsatz in Sachsen-Anhalt erlebt haben?
Körbi: Das war sicherlich das Versenken von Lastkähnen am gebrochenen Elbedeich bei Fischbeck. Das hat in Deutschland, ich würde sogar behaupten europaweit, noch niemand vorher versucht. Das war eine echte Herausforderung.
Gab es, ob in Fischbeck oder anderswo, Situationen, in denen Sie dachten, da geht etwas schief, das schaffen wir nicht?
Körbi: Der schließlich gebrochene Saaledeich bei Groß Rosenburg, das war so eine Situation. Da mussten wir die eingesetzten Soldaten mitten in der Nacht sehr schnell vom Einsatzort abziehen, da der Deich trotz Verstärkung durch Sandsäcke abrutschte und der Durchbruch drohte, der dann leider auch kam. Und auch in Fischbeck stand es Spitz auf Knopf. Wir haben lange überlegt: Könnte es noch schlimmer werden, wenn wir die Schuten versenken? Im schlimmsten Fall wären sie einfach abgetrieben worden, und dann hätte der Kreis Stendal irgendwo auf einem Acker zwei Lastkähne liegen. Da war die Anspannung schon sehr groß. Zumal wir von unserem Standort in Jerichow zunächst gar nicht sehen konnten, ob die Aktion funktioniert. Irgendwann hat der Innenminister gesagt: Lasst uns das mal aus dem Hubschrauber anschauen. Dann haben wir gesehen: Es hat geklappt, zu 70 Prozent jedenfalls. Der Stein, der mir da vom Herzen gefallen ist, stand einem Big Bag in nichts nach. Und der wiegt rund 1,5 Tonnen.
Wie bewahrt man in einer solchen Situation professionelle Distanz?
Körbi: Man muss sich auf die Aufgabe konzentrieren. Das heißt aber nicht, dass ich mit den betroffenen Menschen nicht mitfühle, ganz im Gegenteil. Ich stamme aus Hannover, direkt neben meinem Haus fließt die Leine. Die stand diesmal 30 Zentimeter unter der Deichkrone, zum Glück. Ich weiß, dass die Katastrophe für die Leute jetzt erst anfängt, wenn sie in ihre Dörfer zurückkehren können.
Wie fällt Ihre Bilanz des Bundeswehr-Einsatzes aus?
Körbi: Wir haben versucht, die Schäden so weit wie möglich zu verhindern oder zu minimieren. In vielen Fällen ist das gelungen, leider nicht in allen. Zum Beispiel in Groß Rosenburg. Auch dort standen Soldaten als letzte auf dem Deich, noch kurz bevor er brach. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem Gefahr für Leib und Leben besteht. Dann müssen auch wir uns zurückziehen.
Wie ist die Bundeswehr in Sachsen-Anhalt aufgenommen worden?
Körbi: Als Antwort nenne ich Ihnen ein Zitat, das kürzlich in einer Kommandeursrunde gefallen ist, in der wir den Einsatz ausgewertet haben: Um die Verpflegung hätten wir uns nicht kümmern müssen, das hat die Bevölkerung übernommen. Tatsächlich haben uns die Leute überall hervorragend empfangen und versorgt, mit Stullen, Getränken, Kaffee und Kuchen bis spät in die Nacht. Dafür gebührt den Freiwilligen ein dickes Lob, wie auch denjenigen, die Sandsäcke gefüllt und geschleppt oder anderweitig mitgeholfen haben. Zu vielleicht 70 Prozent waren das junge Leute unter 30, die sich für ihre Heimat eingesetzt haben! Nehmen Sie den Gimritzer Damm in Halle: Da haben tausende Helfer über mehrere hundert Meter Sandsäcke herangeschleppt, weil man mit Lastwagen gar nicht mehr an den Deich kam. So haben wir gemeinsam zur Rettung von Halle-Neustadt beigetragen. Ohne das Zusammenspiel freiwilliger Helfer, der Einsatzkräfte von Feuerwehr, THW, DLRG, Bundespolizei und der Bundeswehr wäre all das gar nicht möglich gewesen.
Während des Hochwassers waren in Sachsen-Anhalt in Spitzenzeiten fast 7 000 Bundeswehr-Soldaten im Einsatz. Erhalten die jetzt alle Sonderurlaub?
Körbi: Ich will den einzelnen Kommandeuren da nicht vorgreifen. Ich habe für meine Soldaten etwas Sonderurlaub gegeben. In der Regel werden alle Überstunden in Freizeit ausgeglichen. Sie können sicher sein, dass der Hochwasser-Einsatz angemessen gewürdigt wird. Aber unsere normale Arbeit muss ja auch weitergehen.
