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Hochwasser in Halle Hochwasser in Halle: Stille nach der Flut

Von ANTONIE STÄDTER UND MICHAEL DEUTSCH 23.01.2011, 18:59

Halle (Saale)/MZ. - Vereinzelt liegen Sandsäcke vor den Häusern, einige Schläuche ragen aus Kellern heraus - manche Pumpe arbeitet noch.

Von den 6 000 Sandsäcken, die sich rund um das Haus von Familie Därr erheben, ist von der Straße aus nichts zu sehen. Es liegt direkt am Ufer. Etwa 20 Meter trennen das Haus jetzt noch vom Wasser. "Zu Spitzenzeiten stand es 42 Zentimeter hoch an den Sandsäcken", sagt Matthias Därr. Die Hälfte davon besaß die Familie noch von der Flut 2003. Weitere 3 000 kaufte sie bei einer Leipziger Firma. Freunde und Nachbarn packten mit an. Bis zum März wollen die Därrs die Säcke liegen lassen. "Wer weiß, was der Winter noch bringt."

Jetzt steht aber erst einmal der Termin mit dem Bausachverständigen an. Obwohl die Sandsäcke hielten, sind die Hauswände nass: Das Grundwasser drückte von unten. "Zum Glück haben wir eine Hochwasserversicherung", sagt Därr, der seit 20 Jahren hier lebt. "Es wird mindestens ein Jahr dauern, bis die Schäden behoben sind", schätzt der 51-Jährige.

Und dann spricht er ein Thema an, das viele hier aufregt: Als das Wasser ein nahes Trafohäuschen bedrohte, das auch die Talstraße mit Strom versorgt, habe die Stadt angekündigt, es eventuell abzustellen. Dann hätten auch die Pumpen nicht mehr arbeiten können. "Wir hatten schon eine Woche gekämpft und wären alle innerhalb von einer Stunde abgesoffen", sagt Därr, der nicht verstehen kann, wieso man nicht versucht habe, das Trafohäuschen zu schützen - auch, wenn es letztlich nicht abgestellt wurde. "Wir hatten den Eindruck, dass sich die Stadt nicht für die Lage hier interessiert", spricht zudem Christina Böttcher aus, was viele Anwohner denken. Unterdessen hat die Stadt Halle reagiert und will ihr Hochwasserschutzkonzept überarbeiten, wie Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados (SPD) am Wochenende ankündigte.

Einige Häuser weiter, an einer der tiefsten Stellen der Talstraße, steht Lars Pappe wortlos, in Gedanken versunken, am Panorama-Fenster und blickt auf seine noch immer überschwemmte Terrasse. Der gastronomische Leiter des Ausflugslokals "Krug zum Grünen Kranze" wirkt gefasst. "Es gab einen Moment", erzählt der sonst so gesellige Gastronom, "wo wir uns gefragt haben, ob es sich wirklich lohnt, weiterzumachen." Alle Versuche, das Lokal mit Sandsäcken zu schützen, waren gescheitert.

Sechs Tage stand das Wasser dort knietief. In wenigen Stunden hatte die Saale die Kaimauer überwunden und die Wirtschaft heimgesucht. Eine Spur der Verwüstung hat sie hinterlassen, nur die Küche blieb verschont. Aus Saal und Gasträumen dringt ein übler Tümpelgeruch. Dielen, Teppiche, Holzbauten, Wandbänke, Bar und Theke sind durchnässt. Aufgequollene Furniere an Möbeln reißen. Die Einrichtung, in die 2007 zur Neueröffnung investiert wurde, ist in großen Teilen unbrauchbar. Nach ersten vorsichtigen Schätzungen, so Pappe, liege der Schaden im sechsstelligen Bereich. Doch täglich gibt es neue böse Überraschungen.

"Es ist unglaublich, welche Solidarität wir aus der Nachbarschaft erfahren haben", sagt der 28-Jährige und dankt auch seinen Mitarbeitern, die jetzt mit den Aufräumarbeiten beginnen. Nun müsse die Politik ihre Hausaufgaben machen. Um den immensen Schaden finanzieren zu können, hoffe man auf zinsgünstige Kredite von der Investitionsbank Sachsen-Anhalt. "Wir wollen, dass der Krug zur Saison wieder flott ist", sagt Lars Pappe.

"Ein Hochwasser in diesem Ausmaß haben wir noch nicht erlebt", erzählt Matthias Rataiczyk, der Vorsitzender des Kunstvereins Talstraße ist. Doch: "Wir hatten Glück im Unglück." Das Wasser stand im Keller, Schlimmeres wurde mit einer Sandsackaktion verhindert. Selbst in den turbulenten Tagen konnte die Galerie geöffnet werden, die nur durch einen Umweg über die Dölauer Straße erreichbar war. Auf der anderen Straßenseite hat Friederike Fuchs im Alten Fischerhaus nicht nur ihre Wohnung, sondern auch ihr Keramikatelier. "Der Gedanke an das Wasser unter dem Haus ist gruselig", sagt sie. Eine Stufe voller Wasser deutet an, was sich hinter der Tür zum Kellergewölbe verbirgt, in dem sie im Sommer Ausstellungen veranstaltet. Die Figuren konnte sie retten. Nun heißt es warten, geduldig sein. Und aufräumen. Vor Tagen war von der Treppe vor lauter Wasser gar nichts mehr zu sehen. Drei große Hochwasser hat sie hier erlebt, erzählt die Keramikerin: 1994, 2003 und jetzt. "Ich habe gelernt, mit Pumpen umzugehen."