1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. «Hitlerjunge Salomon»: «Hitlerjunge Salomon»: Mit Tränen impfen gegen den Hass

«Hitlerjunge Salomon» «Hitlerjunge Salomon»: Mit Tränen impfen gegen den Hass

Von Kirsten Begert 23.01.2003, 17:08

Wittenberg/MZ. - Mit dem Leid und den Tränen 1,5 Millionen ermordeter jüdischer Kinder will Sally Perel die Jugend impfen. Gegen den Hass. Auch Schulklassen in Wittenberg. Der Stoff dazu ist sein Schicksal: Er, ein Jude, hat als Hitlerjunge die Nazidiktatur überlebt, während um ihn der Tod regierte.

Betretenes Schweigen herrscht im Saal der Evangelischen Akademie, neben Köthen eine Station in Sachsen-Anhalt auf seiner Vortragsreise. "Schalom", begrüßt der 78-Jährige sein Publikum. "Ich habe das Grauen unter der Haut des Feindes überlebt." Er beschreibt Zufälle, dank denen er sich den Tod vor Augen als "Volksdeutscher" ausgab, und liest aus seiner Autobiografie "Ich war Hitlerjunge Salomon" - das Trauma schwarz auf weiß.

"Mit 16 Jahren wurde aus mir Josef Perjell in NS-Uniform. Entdeckung hätte den Tod bedeutet", sagt er leise. Die wachen Augen verlieren kurz den Ausdruck. "Weil ich Jude war. Konntet einer von Euch wählen, bei welchen Eltern er geboren ist?" Doch, er spricht energischer: "Sally, du sollst leben!" habe ihm die Mutter zum Abschied gesagt, als er und sein Bruder aus Lodz geflohen sind. Diese Worte ließen ihn vier Jahre "zwei Seelen aushalten", ohne sich als Verräter zu fühlen. Er lernte den Hitlergruß und auswendig, warum Juden laut Naziideologie "der zu vernichtende Satan auf Erden" sind. Perels Eltern kamen im Ghetto ums Leben, die Schwester wurde im KZ erschossen.

Kaum ein Zuhörer rührt sich. Dann erste Fragen. Sebastian Kluge (19) will wissen, wie das Erzählen zu ertragen sei. "Botschafter sein, darin sehe ich den Sinn meines Überlebens", so Perel. Seit Erscheinen des Buches 1992 reist er regelmäßig aus seiner jetzigen Heimat Israel zu Vorträgen nach Deutschland. Sein Publikum stelle ernste und intelligente Fragen. Das motiviere.

Was ihn mit Anne Frank verbinde, meldet sich Bianca Rogge (17). Perel hält inne und zitiert einen Anne Franks Tagebucheinträge: "Trotzdem glaube ich an das Gute im Menschen." Da bekäme er eine Gänsehaut. "Die heutige Jugend trifft keine Schuld. Aber manchmal bittet mich ein Schüler: ,Herr Perel, verzeihen Sie.' Das bewegt mich so tief, dass ich mit weinen muss."