Harz Harz: Der Förster vom Silberwald
ILSENBURG/MZ. - Andreas Pusch ist nass und lächelt dennoch zufrieden: "Das ist genau das Wetter, das wir brauchen." Wenn es gießt im Nationalpark Harz, muss sich dessen Chef weniger Sorgen um den Borkenkäfer machen. Das etwa fünf Millimeter große Insekt mag nicht fliegen, wenn es schüttet. Noch lieber wäre Pusch natürlich, wenn es auch noch kühl wäre. "Ein, zwei nasskalte Sommer würden uns wirklich helfen." Ein Graus für Wanderer und andere Touristen, doch dem Borkenkäfer würde es die Lust am Fressen und Fortpflanzen nehmen. Aber es ist warm - und auch wenn sich die Situation im Vergleich zum vergangenen Jahr etwas entspannt hat: Unter der Borke der Fichten sitzen die Larven der nächsten Käfergeneration.
Als der Orkan Kyrill im Jahr 2007 auch den Harz verwüstete, bereitete er gleichzeitig die Kinderstube für Milliarden von Borkenkäfern. Die Waldarbeiter konnten die geköpften Fichten gar nicht so schnell aus dem Forst holen, wie sich der Käfer in ihnen festsetzte. Hinzu kamen heiße, trockene Sommer - ideal für jene Plage. Die knochentrockenen Fichten hatten keine Kraft mehr, dem Aggressor mit Harz die Bohrlöcher zu verkleben.
Das Ergebnis ist verheerend: Das Ilsetal, das sich südlich von Ilsenburg Richtung Brockenmassiv schlängelt und schon von Heinrich Heine liebevoll in dessen "Harzreise" beschrieben wurde, ist umstanden von kahlen Hängen. Eine Fläche so groß wie mehr als 400 Fußballfelder ist dem Käfer in den vergangenen drei Jahren zum Opfer gefallen. Aus der Ferne wirken jene Bäume, die nach Käferfraß und Sturm noch trotzen, wie Zahnstocher. Aus der Nähe muten sie an, wie mit Silberbronze bepinselt. Die Stämme sind kahl und schimmern eigenartig in der Sonne. Förster Pusch spricht vom Silberwald. So mancher in Ilsenburg spricht von einer Katastrophe.
Die Angst war und ist groß, dass die kahlen Kuppen die Gäste abschrecken. Bislang ist das nicht passiert, so Frank Glitsch, Geschäftsführer der Touristinformation. "Trotz Käfer und Wirtschaftskrise haben wir einen Zuwachs bei den Übernachtungszahlen von etwa acht Prozent", sagt Glitsch. Es sei allerdings nicht so, dass die Gäste nicht merken würden, was rund um ihren Ferienort vor sich geht. "Bislang scheint das nur noch nicht negativ aufzufallen."
Eine Erfahrung, die auch Nationalpark-Chef Pusch gemacht hat. Mit seinen Rangern ist er bemüht, dem radikalen Bilderwechsel noch etwas Positives abzugewinnen. Gleich hinter dem Info-Haus des Nationalparks schlängelt sich jetzt der Borkenkäfer-Pfad den Hang hinauf. "Gucken Sie mal", sagt Pusch, "Birke, Buche, Eiche. Und Eberesche und Weide. Und jede Menge Fingerhut. Hier ist nichts tot." In der Tat grünt und blüht es zwischen toten Stämmen und Stubben, sind überall die Schösslinge neuer Bäume zu entdecken. Klein freilich noch, sehr klein. "Im Prinzip passiert jetzt das, was wir sowieso wollten, wenn auch nicht in diesem Tempo." Der Waldumbau in der Entwicklungszone des Parks.
Hier stehen sie noch, die Fichten-Monokulturen, die Auslöser allen Übels sind. Der Baum passt klimatisch nicht her, war aber als Produzent schnell wachsenden, billigen Holzes beliebt. Schritt für Schritt sollten unter den Fichten Buchen und andere Laubgehölze nachwachsen, die in dieser Region heimisch sind. Jetzt muss der Nationalpark Hand anlegen, damit nicht wieder junge Fichten die Oberhand gewinnen. 100 000 Pflanzen wurden bislang im gesamten Nationalpark auf einer Fläche von 50 Hektar gesetzt - ein Sechstel dessen, was dem Käfer zum Opfer fiel. "Er diktiert uns, wo wir pflanzen müssen", sagt Pusch seufzend, der den Waldumbau viel lieber langfristig geplant hätte.
Während in der Entwicklungszone des Parks auch in diesem Jahr dutzende Forstleute unterwegs sind, um in den Fichtenwäldern nach befallenen Bäumen zu suchen und diese sofort abholzen zu lassen, bleibt die Kernzone des Parks um die Brockenkuppe unangetastet. Und dies, obwohl der Käfer, wohl getragen von der Klimaerwärmung, dort in Regionen vorstieß, die ihm eigentlich völlig unbehaglich sind. Inzwischen aber schlägt das gefräßige Insekt auch dort zu - trifft allerdings auf einen vitalen Gegner. Die Fichten, die rund um den Brocken stehen, sind sprichwörtlich aus anderem Holz als ihre Flachland-Verwandten. "Die Brockenfichten werden mit dem Käfer fertig, wenngleich wir auch in der Kernzone befürchten müssen, dass mehr alte Bäume als gewöhnlich sterben", so Pusch. Doch der natürliche Verjüngungsprozess sei dadurch nicht in Gefahr.
Anders in den tieferen Lagen: "Die Situation hat sich zwar etwas entspannt", sagt Pusch, "ist aber immer noch kritisch." Mit weiteren Verlusten sei zu rechnen, zumal der Park vor allem an seinen Grenzen rigoros jeden befallenen Baum entfernt, um das Ausschwärmen der Borkenkäfer in benachbarte Nutzwälder zu verhindern. Etwa 100 Hektar, schätzt Pusch, werde man wohl noch einbüßen.
In der Ilsenburger Touristinfo hört Frank Glitsch solche Nachrichten gar nicht gern. "Wenn ich mir vorstelle, dass das noch drei bis vier Jahre weitergeht, und dann alle Hänge nackig sind - da habe ich wirklich Angst, dass die Gäste wegbleiben." Pusch hingegen verbreitet Optimismus: In knapp zehn Jahren seien zumindest die Birken wieder so groß, dass man getrost von einem Wald sprechen könne.