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Halle Halle: Alles im Fluss in der Talstraße

Von KATRIN LÖWE 17.01.2011, 18:52

Halle (Saale)/MZ. - Angler zu sein, hat unbestrittenVorteile. Nicht etwa den, dass Hartwig Utmanndie sorgfältig an der Garagenwand aufgehängtenAngeln derzeit quasi vor der Haustür benutzenkönnte. Zu seiner Ausrüstung gehört vielmehreine Wathose - und genau die ist heiß begehrtin der halleschen Talstraße, direkt am Saaleufer.Einige haben sie sich schon geliehen, sagtder Mann, der gerade in Gummistiefeln vorseiner Haustür steht. Im Kanu fahren Anwohneran ihm vorbei, die noch weiter unten wohnen.Dort, wo man mit Gummistiefeln auf verlorenemPosten ist.

Kampf um die Heizung

Hartwig Utmann blickt zu einer Laterneauf dem überfluteten Fußweg vor ihm. EinenZollstock hat er an den Mast geklebt. "Bei30,5 Zentimetern stand das Wasser am Sonntagabend", erzählt der 59-Jährige. Mittlerweile sind es 23. Und etwa zehn im Hausflur undden Kellern. Drei Schläuche führen von dortnach draußen, es wird gepumpt, gepumpt, gepumpt.Am Sonntag, als die Saale 6,92 Metern hochstand, hatte das Wasser die Unterkante derHeizungsanlage erreicht. Noch funktioniertsie. Im Eingang nebenan ist sie schon ausgefallen.

Utmanns Alltag, den bestimmt im Moment dieSaale. 32 Jahre wohnt er am Fluss. "Glücklicherweisebin ich jetzt in Altersteilzeit und ohnehinzu Hause", sagt er. Da ist Zeit, das Wasserimmer im Blick zu behalten, wenn nötig zureagieren. Die Kartoffeln aus dem Keller hater gesichert. Und auch die restliche Verpflegung:Am Donnerstag, zwischen erstem und zweitemHochwasserscheitel, war der 59-Jährige nocheinmal einkaufen, als das Haus per Auto erreichbarwar. Das Fahrzeug hat er inzwischen woandersabgestellt. Bewegen will er es nicht. Parkplätzesind knapp weiter oben, dort, wo das Wassernoch nicht steht.

Es läuft einiges anders als gewohnt dieserTage. Die Besuche der knapp zweijährigen Enkelin,die er sonst früher aus dem Kindergarten holt,fallen aus. Wäsche waschen? "Sollte man geradebesser nicht." Toilettengänge? "Möglichstnicht nach jedem Mal spülen." Unten, am Kanalisationsschachtim Keller, steht das Wasser. Ein paar Eingängeweiter sind Dixi-Toiletten vor den Haustürenaufgebaut. Dort aber sind zumindest Fußwegund Straße schon wieder erkennbar.

Familie Ritter, gegenüber von Hartwig Utmanndirekt an der Saale, kann das beim Blick vordie eigene Haustür nicht sagen. Ihren Eingangerreicht selbst in Gummistiefeln nur, wergroß ist und einen unsichtbaren kleinen Stegunter Wasser trifft. Lorena Colomo-Ritter(46) und die 19-jährige Elisa behelfen sichmit Müllsäcken, die sie zusätzlich über dieBeine streifen. Großeinkäufe? Fehlanzeige."Man lebt im Moment von dem, was da ist, Wasserkästenkönnen Sie hier nicht durchschleppen", sagensie. Rings um das Haus steht die Saale. "Aberwenigstens noch nicht drin", betont Carl-FriedrichRitter (64). Ein aus heutiger Sicht glücklicherUmstand: 1994 hat das Hochwasser die Baugrubedes gerade entstehenden Hauses überflutet."Der Kran musste abgebaut werden - und wirhaben schnell umgeplant, 25 Zentimeter höher."Auf einen Keller wurde verzichtet.

Dennoch: Geschlafen haben die Ritters in denletzten Nächten kaum. Stündlich haben siedie Pegelstände von Halle-Trotha abgerufen.Bei der Stadt, kritisiert Colomo-Ritter, habeniemand sagen können, wann der Scheitel kommt.Zur Arbeit in ihr Geschäft für Babybedarfin Leipzig zu fahren - kein Gedanke am Montagfrüh. Nicht, solange unklar war, wie weitdas Wasser steigt, ob es die untere Etagemit den Folien an den Türen erreicht. Vorder Garage sind Sandsäcke gestapelt, die vomletzten Hochwasser. "Damals hat die das THWgebracht." Diesmal hätten Ritters sie bezahlenund selbst transportieren müssen - im Zweifeldurchs Wasser. "Schlimm", findet die 46-Jährigedas. Aber bisher ging alles gut. Knapp zehnZentimeter waren am Ende noch Luft. Die Heizungläuft. "Sonst wäre es unangenehm geworden."Zwar gibt es einen Kamin, aber kein trockenesHolz mehr.

Knietief im Krug

Zwei Häuser weiter ist die Lage angespannter.Das ahnt, wer Lars Pappe in Wathosen zum "Krugzum Grünen Kranze" laufen sieht, einer dertiefsten Stellen der Straße. Im Saal des Traditionslokalssteht das Wasser knietief. Der Strom in derunteren Etage ist sicherheitshalber abgestellt,sagt der gastronomische Leiter. Ein Kollegeund er teilen sich Tag und Nacht die Kontrollgänge.Und schauen, wenn es eng wird, auch bei denNachbarn vorbei. Die kämpfen um ihre Heizung.