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Halberstadt Halberstadt: Die Werkstatt im Kapitelsaal

Von Alexander Schierholz 21.03.2008, 14:49

Halberstadt/MZ. - In jeder anderen Umgebung wäre das ein irritierendes Bild, aber hier passt es: Hartmut Meier betritt mit einem Holzkreuz über der Schulter den Kapitelsaal im Halberstädter Dom und stellt es dort ab. Das Kreuz ist bestimmt für einen jahrhundertealten romanischen Christus aus Lindenholz. "Eines unserer ältesten Stücke." Meier legt die gut einen Meter lange Jesus-Skulptur in Bauchlage vorsichtig auf eine Kunststoff-Unterlage und entfernt ein paar Nägel. "Das Kreuz hab' ich extra angefertigt", erklärt der Restaurator. "Das Original war irgendwann verloren gegangen, der Christus hing direkt an der Wand."

Demnächst wird die gut erhaltene Figur in der neuen Ausstellung des Halberstädter Domschatzes zu sehen sein. Die Präsentation der Sammlung, die mit mehr als 650 Stücken als einer der umfangreichsten mittelalterlichen Kirchenschätze in Europa gilt, öffnet am 13. April. Bis dahin haben Leute wie Meier das Sagen. Bis zu 20 Restauratoren hat die Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt, Eigentümerin des Schatzes, unter Vertrag. Für Tafelbilder und Altäre, mittelalterliche liturgische Gewänder, Europas älteste romanische Bildteppiche, Handschriften, Skulpturen oder Sakristeimobiliar.

Mit der Neueröffnung des Domschatzes geht ein langer Prozess zu Ende. 1998 übernahm die Stiftung die Sammlung, deren Nutzungs- und Präsentationsrecht weiterhin beim zuständigen Kirchspiel liegt. "Die Ausstellungsbedingungen und der Zustand einiger Stücke waren alles andere als optimal", erinnert sich die Historikerin Katrin Tille, die für die Stiftung die restauratorischen Arbeiten betreut. Kein Wunder: Die alte Präsentation stammte von 1959. Die Vitrinen in der eigentlichen Schatzkammer etwa, die unter anderem kostbare Reliquiare, reich verzierte im Gottesdienst genutzte Schalen und Kelche zeigt, waren verschlissen.

Die Schau zeigt auf mehr Fläche als vorher rund 300 Objekte - der Rest bleibt in den Depots. Auch bislang nicht zugängliche Bereiche wie die alte Bischofskapelle des Doms, werden geöffnet. "Die Exponate gewinnen mehr Raum", so Tille.

Eines der Prunkstücke zieht gleich im Eingangsbereich zur Ausstellung die Blicke auf sich. Ein mächtiger mit Eisen beplankter Eichenholzschrank, der so genannte Heiltumsschrank. "Von solchen Schränken sind nur noch wenige Exemplare erhalten. Dieser stand bis ins 19. Jahrhundert auf dem Hochaltar im Dom und beherbergte den Reliquienschatz", erklärt die Historikerin, "jetzt kommt er hier wieder zum Tragen." Wer genau hinsieht, entdeckt Risse und Fehlstellen an der Beplankung. "Wir haben uns gegen allzu umfangreiche Restaurierungen entschieden", sagt Tille dazu, "man soll den Dingen ihr Alter ansehen können."

Trotzdem müssen die Ausstellungsstücke konserviert werden. Im Kapitelsaal nimmt Anne Kühn eine dünne Spritze zur Hand und injiziert eine durchsichtige Flüssigkeit in das von Wurmlöchern übersäte Holz einer Chortür. "Das macht das Holz härter", erklärt sie. Eve Sautner klopft derweil vorsichtig mit dem rechten Zeigefinger verschiedene Abschnitte eines Tafelbildes vom Anfang des 16. Jahrhunderts ab. Fehlersuche mit dem Ohr: "Man kann hören, wo sich die Farbschicht vom Holz gelöst hat", sagt die Restauratorin. Dort hilft etwas Hausenblasenleim - eine aus der Schwimmblase von Fischen hergestellte natürliche Substanz, welche die Malschicht wieder festigt. Ein langwieriger Prozess: Heike Glaß erledigt die gleiche Arbeit an einem dreiflügligen farbenprächtigen Altar, der laut den Inventarlisten um 1500 entstanden ist. "Gestern haben wir hier zu zweit schon sechs Stunden drangesessen."

In einem anderen Raum drapieren Textilrestauratorinnen derweil kunstvoll mittelalterliche Gewänder in Vitrinen, die - wie alle Schränke - eigens für die Ausstellung angefertigt wurden. Mehr als zwei Dutzend Chormäntel und andere liturgische Bekleidungen werden zu sehen sein. "In Hinblick auf die Vielfalt und den Erhaltungszustand der Stücke ist das die zweitwichtigste Sammlung in Europa", sagt Katrin Tille stolz. Nur der Vatikan hat mehr zu bieten.