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Kinder am Handy TikTok-Experte: Eine Kindheit ohne Smartphone gibt es nicht mehr

Niko Kappe, Lehrer, Influencer und Content-Creator, klärt in seinem Buch über die Generation TikTok auf. Von einem Smartphone-Verbot an Schulen hält er nichts.

Von Josefine Kreutzer 07.04.2025, 15:53
Niko Kappe ist Lehrer und seit mehr als fünf Jahren als Video-Creator auf TikTok aktiv.
Niko Kappe ist Lehrer und seit mehr als fünf Jahren als Video-Creator auf TikTok aktiv. Foto: Lewis Jones

"Mama, Papa, kann ich TikTok haben?“ – Eine Frage, die Eltern heute regelmäßig hören. Social Media sind fester Bestandteil der Jugendkultur – und sorgen in vielen Familien für Unsicherheit. Niko Kappe ist Grundschullehrer, TikToker, Autor – und vor allem Vater.

Sein Buch „Generation TikTok“ ist kein Ratgeber, vielmehr bietet es Orientierung in der digitalen Welt. Der 39-Jährige hat Josefine Kreutzer erklärt, warum Eltern keine Angst vor TikTok haben sollten, und wie er seine Kinder im Umgang mit Social Media begleitet.

Sie sind eigentlich Lehrer. Woher kommt Ihr Interesse für TikTok?Ich habe Grundschulpädagogik studiert und gleichzeitig in der Medienbranche gearbeitet. Während meiner Zeit als Redakteur für verschiedene Bildungsformate stieß ich auf TikTok – damals noch eine ganz neue Plattform.

Mein erstes Video erzielte über 250.000 Aufrufe, und mir wurde schnell klar: Hier steckt enormes Potenzial für Bildungsinhalte.

Was steckt hinter dem Titel Ihres Buches „Generation TikTok“?
Der Titel meines Buches sollte natürlich auch catchy sein. Denn die „Generation TikTok“ – das sind im Grunde wir alle. Oft haftet dem Begriff „Generation“ ein Stigma an, sei es bei der Gen Z oder den Boomern.

Doch mein Buch zeigt: Solche Labels sind nicht wissenschaftlich fundiert. Stattdessen ist TikTok ein Kulturphänomen, das uns alle beeinflusst – unabhängig vom Alter. Wir sind längst Teil dieser Bewegung. Die Digitalisierung hat unsere Gesellschaft tiefgreifend verändert – und TikTok ist ein Sinnbild dafür.

Auch interessant: Digitaltrainer im Interview: Was Eltern tun können, um ihre Kinder am Handy zu begleiten und vor Gefahren zu schützen

Auch das Familienleben hat sich durch soziale Medien gewandelt, oder?
Ja. Auch Familien organisieren sich immer mehr digital – sei es über WhatsApp-Gruppen oder Schul-Apps. Doch genauso wie analoge Erlebnisse sollten auch digitale Themen ganz selbstverständlich Teil der Gespräche sein.

Etwa mit der Frage: „Was hast du heute auf Social Media gesehen?“ Das bedeutet nicht, dass der klassische Brettspielabend ausgedient hat – vielmehr geht es darum, beides gleichwertig zu betrachten und bewusst in den Familienalltag zu integrieren.

In immer mehr Schulen wird ein Smartphone-Verbot ausgesprochen. Was halten Sie davon?
99 Prozent der Erwachsenen nutzen ein Smartphone – es ist längst fester Bestandteil unseres Alltags. Kinder wachsen in dieser Welt auf und erleben den ständigen Gebrauch, selbst wenn sie selbst noch keines besitzen.

Eine Kindheit ohne Smartphone gibt es heute nicht mehr. Wenn wir Jugendlichen den Umgang damit verbieten, nehmen wir ihnen die Chance, es verantwortungsvoll zu lernen. Und wenn sie dann mit 18 plötzlich eines besitzen, fehlt ihnen die nötige Medienkompetenz.

Statt auf Verbote zu setzen, sollten wir sie frühzeitig begleiten und ihnen zeigen, wie sie sich sicher und souverän in der digitalen Welt bewegen.

Gerade bezüglich Social Media haben Eltern dennoch Ängste. Wie nehmen Sie das wahr?
Ich beobachte zwei Extreme: Manche sind zu sorglos, andere zu ängstlich – beides kann problematisch sein. Eltern tragen Verantwortung und sollten Social Media nicht unterschätzen. Die Plattformen wirken wie eine offene Tür ins Kinderzimmer, durch die Extremisten oder fragwürdige Inhalte ungefiltert eintreten können.

Doch anstatt Social Media zu verbieten, geht es darum, Kinder aktiv zu begleiten. Eltern sollten die Apps selbst ausprobieren, gemeinsam mit ihren Kindern erkunden und im Austausch bleiben. Social Media werden bleiben – entscheidend ist, wie wir damit umgehen.

In Ihrem Buch sprechen Sie von der doppelten Verantwortung der Eltern, was ist damit gemeint?
Mit doppelter Verantwortung meine ich die für das Kind von heute und die für den Erwachsenen von morgen. Kinder übernehmen unser Verhalten, oft unbewusst. Wer im Streit mit „Hier, nimm das Smartphone und schau ein Video“ Ruhe haben will, schafft eine Gewohnheit, die bleibt.

Mindestens genauso wichtig ist es, ein gutes Vorbild zu sein: Wie oft wir selbst aufs Handy schauen, prägt unsere Kinder mehr, als uns bewusst ist. Natürlich müssen wir sie vor Risiken wie Cybermobbing schützen, aber Verbote sind keine Lösung. Medienkompetenz allein reicht nicht – Eltern brauchen Medienerziehungskompetenz.

Wenn wir Jugendlichen den Umgang mit dem Handy verbieten, nehmen wir ihnen die Chance, es verantwortungsvoll zu lernen.

Niko Kappe

Was raten Sie Eltern, die sich Sorgen machen?
Die wichtigste Grundlage ist ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Kindern. Eltern sollten sich aktiv mit den Plattformen auseinandersetzen, im Gespräch bleiben und ihren Kindern die Möglichkeit geben, digitale Kompetenzen früh zu entwickeln.

Entscheidend ist, dass Kinder keine Angst vor Konsequenzen haben – sie müssen wissen, dass sie sich bei Problemen jederzeit an ihre Eltern wenden können. Nur so können sie sicher und selbstbewusst in der digitalen Welt navigieren.

Brauchen wir also ein Schulfach Medienkompetenz?
Nein, Medienkompetenz sollte fächerübergreifend vermittelt werden. Es geht nicht nur darum, digitale Geräte zu bedienen, sondern auch zu verstehen, dass Social-Media-Plattformen vor allem unser Geld und unsere Zeit wollen.

Ich bin dafür, traditionelle Schulfächer zu überdenken und stattdessen Demokratie- und Medienbildung in den Unterricht zu integrieren.

Welche Fähigkeiten brauchen Kinder, um sicher im Internet unterwegs zu sein?
Die wichtigste Fähigkeit ist und bleibt die Lesekompetenz – ohne sie geht nichts. Ich sehe immer wieder Erst- und Zweitklässler mit Smartphones, und das halte ich für bedenklich. Kinder in diesem Alter können digitale Inhalte noch nicht sicher einordnen. Ein einfaches Telefon wäre hier die bessere Wahl.

Grundsätzlich brauchen Kinder vier zentrale Zukunftskompetenzen: Kreativität, Kollaboration, kritisches Denken und Kommunikation. Dabei geht es vor allem um die Fähigkeit, Probleme zu lösen, sich auszutauschen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

Was ist die wichtigste Kompetenz?
Kritisches Denken. Durch künstliche Intelligenz wird es immer schwieriger, echte von gefälschten Inhalten zu unterscheiden. Kinder müssen lernen, Informationen zu hinterfragen – denn nur wer gut informiert ist, kann Fake News erkennen und sich sicher im digitalen Raum bewegen.

Was können Eltern tun, wenn ihre Kinder zu viel Zeit am Handy verbringen?
Das Thema Bildschirmzeit wird oft sehr kritisch gesehen, aber die Forschung zeigt keine eindeutig negativen Effekte. Entscheidend ist nicht die Zeit an sich, sondern die Art der Nutzung. In Schulen arbeiten Kinder täglich mehrere Stunden mit digitalen Tafeln – zählt das auch zur Bildschirmzeit?

Passiver Konsum, also stundenlanges Scrollen oder reines Gaming, kann problematisch sein, wenn andere Aktivitäten vernachlässigt werden. Kreatives Arbeiten, wie das Erstellen von Videos oder die Nutzung von Lern-Apps, ist dagegen förderlich. Die Frage ist also weniger, wie lange sie vor dem Bildschirm sitzen, sondern was sie dabei verpassen.

Die offiziellen Bildschirmzeit-Empfehlungen sind nur Schätzwerte. Es gibt keine allgemeingültige Regel. Deshalb gilt: auf eine gesunde Balance achten.

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Welche Vorteile sehen Sie in sozialen Medien für Jugendliche?
Vor allem fördern sie Kreativität, indem sie Möglichkeiten für das Kreieren von Inhalten bieten. Außerdem haben marginalisierte Gruppen durch Social Media mehr Sichtbarkeit.

Das ermöglicht Jugendlichen, die sich anders fühlen, Communitys zu finden und sich zu empowern, also Unterstützung und Bestärkung zu erleben. Allerdings braucht es eine stärkere Regulierung, um Missbrauch zu verhindern.

Wie ist das eigentlich mit Ihren Kindern?
Meine Kinder haben mit zwölf Jahren ein Smartphone bekommen. Wir sprechen regelmäßig über unsere Mediennutzung. Wichtig ist ein gesunder Umgang, bei dem nicht nur konsumiert, sondern auch reflektiert wird.

Was sollen Familien aus Ihrem Buch mitnehmen?
Mein Buch ist kein klassischer Erziehungsratgeber, sondern soll Denkanstöße bieten. Digitalisierung betrifft nicht nur die Technik, sondern prägt auch unser gesellschaftliches Miteinander.

Social Media lassen sich nicht zurückdrehen und werden auch in der Arbeitswelt immer wichtiger. Eltern sollten daher offen bleiben, gemeinsam mit ihren Kindern lernen und so ihren eigenen digitalen Horizont erweitern.

Niko Kappe „Generation TikTok“, Goldegg Verlag, 224 Seiten, erschienen am 25. Februar, 20 Euro.
Niko Kappe „Generation TikTok“, Goldegg Verlag, 224 Seiten, erschienen am 25. Februar, 20 Euro.
Foto: Verlag

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