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Gesundheit Gesundheit: Leben mit halbem Herzen

Von KATRIN LÖWE 28.06.2009, 16:50

GERNRODE/MZ. - Momente, von denen die 39-Jährige nicht genug haben kann. Ihre Tochter kam mit einem der schwersten Herzfehler zur Welt, dem Hypoplastischen Linksherzsyndrom (HLHS). Lara lebt mit einem halben Herzen. Das Pumpen übernimmt die nicht dafür vorgesehene kleinere rechte Herzkammer.

Rund 100 Kinder werden jährlich in Deutschland mit HLHS geboren, sagt Professor Angelika Lindinger von der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie. Bis vor zehn, 15 Jahren hatten sie keine Überlebenschance, starben kurz nach der Geburt. Heute gibt es ein Operationsverfahren, das risikoreich ist und die Kinder auch nicht heilen kann. Ihre Lebenserwartung wird derzeit auf rund 20 Jahre geschätzt, so Lindinger, "wenn es gut geht, etwas mehr".

Laras Eltern erhielten die Diagnose drei Tage nach der Geburt. Mit Herzfehler und 1980 Gramm Gewicht "hatte Lara kaum eine Überlebenschance. Komplikationen wie Blutvergiftung raubten uns fast den Verstand vor Angst", erinnert sich die Mutter. Mit zwei Jahren erlitt die Kleine zudem einen Schlaganfall, ist seitdem halbseitig gelähmt, musste neu laufen lernen. Heute ist Lara zwar ein aufgewecktes Kind, von einem normalen Leben aber weit entfernt. "Geistig ist sie völlig normal entwickelt. Die körperliche Belastbarkeit aber ist viel geringer, sie kann sich nicht allein anziehen oder zur Toilette gehen", sagt Hahnl. Jeder Infekt ist gefährlich, wegen starker Blutverdünner auch jede Verletzung.

Das Leben der Familie wurde völlig umgekrempelt. Steffi Hahnl hat ihren Beruf vorübergehend aufgegeben. Und wie Lara kämpft sie - für ihr Kind, aber auch gegen Probleme, vor denen sie und andere Eltern stehen. Gerade hat Hahnl dem Behindertenbeauftragten des Landes Sachsen-Anhalt eine Petition übergeben, die zu gerechteren Hilfen für Schwerbehinderte führen soll. Sie war entsetzt, als der Bund ihre Petition nicht annahm, weil Behindertenrecht Ländersache ist, und das Familienministerium an das für Soziales verwies. "Es ist traurig, dass es mehr Kinder in der Gesellschaft geben soll, aber das Familienministerium nicht für Familien mit kranken Kindern zuständig ist."

Viele Familien würden sich im Stich gelassen fühlen. Auch, weil die Einstufung der Behinderung bei den Versorgungsämtern der Länder sehr unterschiedlich sei. "In einem Ort werden 100 Prozent Behinderung anerkannt, anderswo erhält ein Kind mit HLSH und zusätzlichen Komplikationen 30 Prozent und damit praktisch so gut wie keine Hilfe."

Vom Grad der Behinderung hängt das Maß an Steuererleichterungen und weiteren Hilfen für die Betroffenen ab, auf die während der Behandlung viele Zusatzkosten zukommen. Die Gesellschaft der Kinderkardiologen empfiehlt in ihren Richtlinien bei HLHS-Kindern einen Schwerbehindertengrad von 80 bis 100. Die sind aber nicht maßgebend, argumentiert das Versorgungsamt Halle. Entscheidend sei die "Versorgungsmedizin-Verordnung", die eine Grundtabelle enthält. Die aber, so Kardiologin Lindinger, sei wenig spezifisch. Probleme gebe es zusätzlich, wenn mit dem Antrag auf den Schwerbehindertenausweis ein Arztbericht eingereicht wird, in dem unter Umständen ein "erfreulicher Zustand" des Kindes vermerkt ist - im Vergleich zur letzten OP, aber nicht zum gesunden Kind.

"Oft wird unterschätzt, welche Probleme die Kinder im Alltag haben", sagt Ulrike Peter vom Bundesverband Herzkranke Kinder. Eltern wird geraten, Rechtsmittel auszuschöpfen, "sie haben in der Situation aber weder Kraft noch Zeit, um zu klagen", so Hahnl. Sie selbst musste kämpfen, um 90 statt 50 Prozent und eine Park-Erleichterung zu bekommen. Unverständlich ist für sie, dass laut Gesetz nur die aktuelle Beeinträchtigung des Betroffenen eine Rolle spielt, nicht die Schwere der Krankheit an sich. "Dass einer mit Schnupfen gut leben kann und der andere nicht, kann ich nicht mehr hören."

Mit ihrer Petition setzt sich Hahnl nun dafür ein, dass fachärztliche Richtlinien verbindlich werden - "der Sachbearbeiter ist doch kein Kardiologe" - und Bearbeitungszeiten verkürzt. Unterstützung hat sie vom Landes-Behindertenbeauftragten Armin Maerevoet. "Die Bandbreite von 30 bis 100 Prozent hat mich überrascht", sagt er. Er werde die Petition an seine Länderkollegen weiterleiten. "Es muss ein Weg gefunden werden, einheitliches Handeln der Verwaltung sicherzustellen. Darauf haben die Betroffenen ein Recht."

Steffi Hahnl hat unterdessen begonnen Kinderbücher zu schreiben. Die Geschichten um "Karline Schlenkerbein" handeln nicht von Krankheit, sollen aber kranke Kinder erfreuen. Ein Teil der Erlöse fließt in die Forschung. Es ist Hahnls Weg, der Ohnmacht zu entfliehen, der sie sich angesichts Laras Krankheit ausgesetzt fühlt. Und auch wenn der Familie ein Stück Unbeschwertheit fehlt. "Seit der Geburt unserer Tochter ist unser Leben wertvoller geworden", sagt Hahnl. Es gibt sie: Momente zum Strahlen. Wenn Lara tanzt. Oder den Luftballon mit beiden Händen fängt.