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Geiseltalsee Geiseltalsee: Auf dem Trockenen

Von Alexander Schierholz 29.01.2012, 18:33

Mücheln/Braunsbedra/MZ. - Im Sommer brummt das Geschäft. 500 bis 600 Essen am Tag geben sie aus am Imbiss auf der Halbinsel im Geiseltalsee, wenn das Wetter schön ist. Die Radfahrer, die Spaziergänger, die Neugierigen - Deutschlands größter künstlicher See lockt sie alle an. So wird es auch in diesem Sommer wieder sein. Und doch sagt Thomas Patzer: "Die Saison ist gelaufen." Und das, obwohl sie noch gar nicht angefangen hat. Patzer wird zwar Würstchen und Bier verkaufen können auf der Halbinsel, aber seinen Campingplatz, den er dort seit Jahren geplant hat, wird er auch in diesem Sommer nicht eröffnen können. Der Geiseltalsee ist noch immer nicht freigegeben für Wassersport und Badebetrieb. Und wer will schon am Wasser campen, wenn er nicht aufs Wasser darf?

Der Grund: Nachterstedt. Seit bei einem verheerenden Erdrutsch im Juli 2009 am Concordiasee drei Menschen starben, lässt das Land die Böschungen aller Bergbauseen nochmals auf Standfestigkeit überprüfen. Es ist ein gutes Jahr her, dass der damalige Wirtschaftsminister und heutige Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) mit dieser Aussage nicht nur im Geiseltal für lange Gesichter sorgte. Seitdem warten sie: Die Städte Mücheln und Braunsbedra, die Häfen bauen wollen. Die Investoren wie Patzer, die einen Campingplatz oder eine Sommerrodelbahn errichten, ein Café oder ein Restaurant eröffnen wollen. Sie warten auf konkrete Antworten aus Magdeburg. Doch sie erhalten nur unverbindliche.

Grummeln über Haseloff

Merseburg, vor wenigen Tagen. Im altehrwürdigen Ständehaus bittet Saalekreis-Landrat Frank Bannert (CDU) zum Neujahrsempfang. Sein ranghöchster Gast: Reiner Haseloff. Am Ende seiner Rede geht der Regierungschef auch auf das Geiseltal ein - weil der Landrat ihn darum gebeten habe, berichten Teilnehmer. Haseloff erinnert an Nachterstedt, er spricht von hundertprozentiger Sicherheit, daher seien die Gutachter noch nicht fertig. Im Saal kommt das nicht gut an. "So ein Drumherumreden hätte er sich sparen können", meint ein Gast. "Das sind die Phrasen, die wir seit Jahren hören", ein anderer.

Auch Andreas Marggraf fühlt sich hingehalten. Der parteilose Bürgermeister von Mücheln sitzt im Hafenkontor an einem Besprechungstisch, dort, wo die Skipper später ihren Papierkram erledigen können. Wenn sie endlich auf den See dürfen. Schon 2008 hat die 9 000-Einwohner-Stadt ihre Marina eröffnet - 70 Liegeplätze für Segelboote, alle schon reserviert. Später soll der Hafen auf 200 Plätze erweitert werden. Die ersten Ferienhäuser stehen schon, das Kontor, ein Piergebäude. Die Neubauten wirken wie Fremdkörper in der geschundenen Landschaft am ehemaligen Braunkohletagebau.

Marggraf zeigt auf große Pläne an der Wand. Hier ein Eiscafé. Der Investor hat das Grundstück vor zwei Jahren gekauft, bauen will er erst, wenn der See nicht mehr gesperrt ist. Dort Platz für ein Restaurant. Es gibt mehrere Interessenten, doch wegen der Ungewissheit hat noch niemand unterschrieben. Dabei, so der Bürgermeister, habe das Land für Ende 2011 eine Entscheidung über eine Teilfreigabe des Sees im Abschnitt Braunsbedra-Mücheln-Halbinsel in Aussicht gestellt. Mittlerweile ist von April die Rede. Dann will das Land aber nicht verkünden, wann man aufs Wasser darf, sondern ob überhaupt. Die "Wirkung von möglichen Ereignissen an umliegenden Uferbereichen", heißt es kryptisch in einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine MZ-Anfrage, müsse "in die Betrachtung" der Gutachter einbezogen werden.

Im Klartext: Die Untersuchungen der Böschungen sind noch immer nicht abgeschlossen. Das Unglück von Nachterstedt hat das Land vorsichtig werden lassen. Zu vorsichtig, wie manche im Geiseltal meinen. Allenthalben ist zu hören, hier herrschten doch ganz andere geologische Verhältnisse als am Concordiasee. Und: Das sei seit Jahren bekannt. Ein Gutachten des Bergbausanierers LMBV habe die Seefreigabe längst für möglich erklärt, sagt Andreas Förtsch von der Marina Mücheln. Bürgermeister Marggraf hat zwar Verständnis für die Vorsicht des Landes: "An der Sicherheit darf nicht gespart werden. Aber man könnte mit der erneuten Überprüfung schon fertig sein, wenn man nicht so spät angefangen hätte."

Angst vor dem Risiko

Zu spät für die kommende Saison, fürchten viele. "Sie werden uns wohl am 30. April sagen, dass wir ab dem 1. Mai baden dürfen", ätzt Campingplatz-Investor Thomas Patzer. So schnell lasse sich aber nicht alles herrichten. Bisher besteht Patzers Platz nur aus einer umzäunten Wiese. Er braucht ein Sanitärgebäude. Weil er wegen des Bergrechtes auf dem Gelände nicht massiv bauen darf, müssen dafür Container her. Patzer könnte sie jetzt bestellen, bei einer Lieferzeit von drei Monaten wären sie rechtzeitig da, falls das Land den See freigibt. Falls. Angesichts der Kosten von einer knappen halben Million Euro will der 43-Jährige dieses Risiko nicht eingehen. "Ich muss sicher sein, dass es wirklich losgehen kann." Zuviel Geld hat er schon jetzt in Planung und Herrichtung des Geländes gesteckt.

Auch für den Ausbau eines Strandes zwischen der Halbinsel und der Müchelner Marina käme eine Freigabe im April wohl zu spät. Seit Jahren hat die Stadt Fördermittel dafür beantragt, doch noch immer ist das Geld nicht bewilligt. Zugänge und eine Wasserversorgung sollen gebaut, ein bestehender Parkplatz erweitert werden. Bürgermeister Andreas Marggraf rechnet vor: Selbst wenn im April Geld fließe, müssten die Arbeiten ausgeschrieben werden. "Das dauert drei Monate, dann ist der Sommer fast vorbei." Zu Marggrafs Ärger hat das Land derweil auch die Förderrichtlinien geändert: Die Stadt muss nun einen höheren Eigenanteil aufbringen, fast 900 000 statt 200 000 Euro.

So sitzen sie auf dem Trockenen im Geiseltal. Auch Uwe Eldau und sein Boot. Jahrzehntelang fristete die "Krumpa" ihr Leben als Arbeitsschute auf der Elbe bei Tangerhütte. In einer Werft dort wurde ihr 2011 ein Fahrerhäuschen aufgesetzt, eine kleine Küche und eine Toilette wurden eingebaut - künftig soll sie auf dem Geiseltalsee als Partyboot unterwegs sein für die Geiseltaler Entwicklungs- und Tourismusgesellschaft (GET).

Oldtimer als Alternative

Bis es soweit ist, behelfen sich GET-Geschäftsführer Uwe Eldau und seine Mitarbeiter mit Angeboten an Land. Sie bieten Fahrten mit Oldtimerbussen und einer Ausflugsbahn an. Sie vermieten Fahrräder und Tretmobile für Touren auf dem Uferweg. Sie haben direkt am See in Braunsbedra ein Besucherzentrum eröffnet, das an die Geschichte des Bergbaus erinnert. Gerade weil das Wasser noch gesperrt sei, sagt Eldau, brauche man mehrere Standbeine. Die Zahlen scheinen ihm recht zu geben: Im Besucherzentrum haben sie in drei Monaten 5 000 Neugierige gezählt.

"Das Interesse an der Region ist ungebrochen", sagt auch Andreas Förtsch von der Marina Mücheln. "Aber wenn wir nicht aufpassen, flaut es ab." In Sachsen reiben sie sich schon die Hände. Auf dem Zwenkauer See bei Leipzig zieht seit Jahren ein Ausflugsschiff seine Bahn - eine Ausnahmegenehmigung macht es möglich. Dabei ist der ehemalige Braunkohletagebau noch nicht einmal fertig geflutet.