Filme Filme: Der Kommissar-Flüsterer
Halle (Saale)/MZ. - Den Pinsel samt Pulver hat er in der einen Hand, die Waffe mit Fingerabdrücken in der anderen. Hinter ihm steht der Bedampfungsschrank, in dem Sekundenkleber bei 80 Prozent Luftfeuchte selbst auf herkömmlichen Plastiktüten Fingerabdrücke als weißen Niederschlag sichtbar macht. Hier, im ebenso modern wie nüchtern eingerichteten Labor mit dem großen Fliesentisch, ist Lutz Jeskulke in seinem Element. Manchmal verbringt er den ganzen Tag in diesem Raum der halleschen Polizeidirektion. Unsichtbar für die Öffentlichkeit. Doch dann, dann gibt es die Tage, an denen Millionen dem Kriminaltechniker über die Schultern schauen. Dann ist er der "Kommissar-Flüsterer", wie der MDR ihn nennt. Und seine Kollegen witzeln mit ihrem "Filmstar". Seit zehn Jahren steht Jeskulke in den halleschen Folgen von "Polizeiruf 110" nicht nur beratend zur Verfügung, sondern auch als Darsteller. Wie es dazu kam? "Zufall", sagt er.
Pech für den Jüngsten
Angefangen hatte alles eigentlich schon früher: 1996 mit einer Anfrage der Produktionsfirma Saxonia Media. Die suchte einen Kriminaltechniker für den einen oder anderen Tipp - und ab und an eine kleine Szene. "Ich hatte Pech, dass ich der jüngste in meiner Abteilung und gerade an dem Wochenende im Bereitschaftsdienst war", sagt Jeskulke heute. Auf gut Deutsch: So richtig gerissen hat sich nach dem Job damals keiner. "Lauf oder stirb" hieß die Folge - Jeskulkes erster Polizeiruf, der für sechs Jahre auch der einzige blieb. Die nächste Anfrage kam 2002. "Seitdem habe ich in jedem Film mitgemacht. 30 sind schon gelaufen, zwei noch frisch", erzählt der 55-Jährige. Und: Heute spricht er sogar von einem "Riesengefallen", den ihm seine Vorgesetzten damals mit der Zwangsverpflichtung getan haben. Der Film-Job macht ihm längst richtig Spaß.
Eigene Dialoge sind dabei die Ausnahme. Wenn die Kommissare Schmücke (Jaecki Schwarz) und Schneider (Wolfgang Winkler) ermitteln, wuselt Jeskulke meist eher im Hintergrund. Aber auch der soll so realistisch wie möglich aussehen. "Man sieht im Film sofort, ob ein Profi oder ein Laie am Werk ist", sagt Jeskulke. Bei der Suche nach Fingerabdrücken etwa: Nie würde er den Pinsel von oben nach unten am Türrahmen entlangreiben wie ein Maler. "Ich drehe ihn leicht drüber" - nur hauchzart. Und ganz am Anfang, da hat er dem Produzenten gesteckt, dass fünf, sechs Komparsen als Kriminaltechniker an einem Tatort einfach zu viel sind. "Wir sind maximal vier - an einem richtig großen Tatort."
Seit 1987 ist Jeskulke Kriminaltechniker, nach der Wende ging er von der Transport- zur Landespolizei. Seitdem hat er bei einigen Aufsehen erregenden Verbrechen die Spuren gesichert. Nach Banküberfällen, Großbränden, Mord und Totschlag. Wenn Säuglingsleichen gefunden wurden - in Teutschenthal, Zeitz, am halleschen Steintor oder am Bahnhof. "Das geht einem persönlich richtig unter die Haut", erzählt er. Er war am Tatort, nachdem ein Familienvater in Zwintschöna (Saalekreis) seine Frau und die vier Kinder getötet hatte. "Bei der ersten Meldung war es ein Toter, als wir uns angezogen hatten zwei. Und als wir eingetroffen sind, schon fünf Leichen", erzählt er, als wäre die Tat einen Tag und nicht zwölf Jahre her. Auch wenn die Hallenser in Zwintschöna am Ende von der Tatortgruppe des Landeskriminalamtes abgelöst wurden: "Das sind Sachen, die vergisst man nicht", sagt er. Wenn Tatortspuren viele kleine Einbrüche zu einer Serie verbinden, findet Jeskulke das spannend. Die größte, die interessanteste Herausforderung für einen Kriminaltechniker, sagt er, sind aber die Tötungsdelikte.
Fast 25 Jahre Erfahrung mit realen Verbrechen und ihren Spuren - damit ist Jeskulke auch für die Filmemacher längst der ideale Partner. Gerade wenn Jaecki Schwarz beim Drehbuch stutzig wird, dann heißt es oft: Hey Lutz, wie ist das denn in der Realität? Der Umgang mit den Stars der Serie sei sehr locker, erzählt der 55-Jährige, der eine oder andere private Kontakt inzwischen normal. Und die Macher? Die freuen sich über die Hilfe der Polizei, "das ist inzwischen schöne Tradition", sagt Produzent Pawel Reinhardt. Für eine der letzten Folgen hat selbst das Landeskriminalamt seine Technik zur Verfügung gestellt - angenehme Zusammenarbeit nennen die Filmemacher das.
Leidenschaftlicher Krimi-Fan
Und Jeskulke, der macht sich selbst einen entspannten Abend, wenn die neueste Folge läuft. Zumal er - im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen - leidenschaftlicher Krimiseher ist. Was seiner Frau indes mitunter auch die Nerven raubt. "Sie sagt mir öfter: Das war der letzte Krimi, den ich mit dir geguckt habe." Als Profi, da mosert er bei den kleinen und größeren Fauxpas in Szenen eben doch mal. Kriminaltechniker ohne Handschuhe - um Himmels Willen!
Dass bei den CSI-Serien derjenige, der die Tatortspuren sichert, anschließend auch die Gutachten schreibt - das gibt es in Deutschland nicht. Und eigentlich sei, anders als im Fernsehen oft gesehen, gar kein UV-Licht nötig, um per Luminol sichtbar gemachte Blutspuren fluoreszieren zu lassen.
Der hallesche Polizeiruf, der komme der Realität schon sehr nahe, sagt er. Manches lasse sich filmisch einfach nicht darstellen. Als Kriminaltechniker aber sehe er eben "vieles mit anderen Augen als der Laie". Das freilich gilt genauso umgekehrt: Keiner, der dem Metier fremd ist, könne sich vorstellen, wie aufwendig so ein Film ist. Ein bis anderthalb Stunden für eine Szene, fünf bis sechs Minuten Film an einem ganzen Tag. "Das wenigste, was ich hatte, waren mal zwei Drehtage. Es gab aber auch schon Folgen mit sechs oder sieben", so Jeskulke. Drei, vier Wochen vorher bekommt er das Drehbuch. "Alles, was polizeispezifisch ist, sehe ich mir dann schon genauer an."
Und? Hat Lutz Jeskulke Lieblingsfolgen? "Fehlschuss", die 300. Polizeiruf-Folge, die fand er richtig gut. Und auch eine der letzten, in der er selbst geschossen hat. Aber pssssst! "Die ist noch nicht gelaufen, mehr verrate ich also nicht."