Feinschmecker Feinschmecker: Gemälde aus Geschmack

Halle/MZ. - Die Bilder aus der Kindheit, die am schnellsten vergessen sind, kommen irgendwann am deutlichsten zurück. Bei Alexander Sager zeigt eins davon seine beiden Omas: Lilli und Akulina sitzen in der Küche, irgendwo in Weimar oder Erfurt muss das sein, irgendwann Mitte der 70er Jahre. Die beiden Frauen trinken Kaffee, „richtig Kaffee“, sagt Alexander Sager mit Betonung auf richtig. Der 44-Jährige mit dem sanftweichen Thüringer Akzent meint damit: Lilli und Akulina genießen ein Päckchen Westkaffee ganz in Ruhe. „Sorgfältig wurde aufgegossen und jeder Schluck mit großer Andacht geschmeckt.“
Kurz vor dem Zusammenbruch der DDR ist Alexander Sager weg von den Omas, fort aus Erfurt, aus Thüringen. „Wir haben damals gehört, dass die Tschechen die Leute einfach rüber nach Bayern gelassen haben“, erinnert er sich. Also kurzentschlossen mit dem Taxi an die Grenze und von dort ab in den Westen. „Drei Tage später fiel die Mauer, und ich konnte nach Berlin, wo ich eigentlich schon immer hingehen wollte.“ Der gelernte Schauwerbegestalter findet schnell einen Job in einer Agentur, er arbeitet als Grafiker, Zeichner, Siebdrucker. „Immer kreativ, immer mit dem Kopf“, sagt er, „aber nach den Jahren hat sich eben Vieles doch immer wieder wiederholt“.
Das Gefühl, noch einmal etwas anderes machen zu müssen, kam schleichend. Aber als sie da war, diese Sehnsucht nach einem richtigen Handwerk, war auch das Bild von Oma Lilli und Oma Akulina sofort präsent. „Ich habe Kaffee immer geliebt“, sagt Alexander Sager, „und dann habe ich gedacht, warum nicht Kaffee?“ Ihn auswählen, rösten, mischen, das stellt er sich erfüllend vor. „Ich wollte etwas, das man anfassen und schmecken kann, das man mit Leidenschaft macht und wo man für alles Gute und Schlechte, das man vollbringt, selbst geradesteht.“
Es geht um Genuss, nicht um den schnellen Pappbecher zwischendurch. Doch Alexander Sager muss schnell einsehen, „dass die ganze Rösterei eine absolute Geheimwissenschaft ist“. Es gibt keine Fachbücher, auf 50 Anrufe bei Röstereien, bei denen er darum bittet, das Handwerk lernen zu dürfen, hagelt es Absagen. Sager aber gibt nicht auf und findet schließlich offene Ohren bei Jens Burg, dem Inhaber der Hamburger Kaffeerösterei Burg, der den 1923 gegründeten Betrieb in vierter Generation führt. „Burg hörte mich an, lud mich ein“, erzählt Sager, „und nach dem ersten Wochenende durfte ich wiederkommen“. Drei Jahre lang weiht der fast 70-jährige Kaffeegigant den Thüringer in die Feinheiten eines Geschäftes ein, in dem es wenig feststehende Wahrheiten gibt. Die eine Bohne ist so und will so behandelt werden. Die andere mag es ganz anders. Jeden Jahresurlaub verbringt Sager im Eppendorfer Weg in Hamburg, wo sie Kaffee noch rösten wie vor 80 Jahren, langsam und geduldig. „Zwischendurch bin ich so immer wieder hochgefahren, früh um vier los und dann von der Autobahn direkt in die Rösterei.“ Sager lernt den Einkauf und die Rohkaffeehändler kennen, er wird in die Speicherstadt geführt, wo Jamaica Blue Mountain, Kopi Luwak und Äthiopischer Mokka ankommen, er steht an der Trommelröstmaschine und bimst die Feinheiten der physikalischen Prozesse, die aus Hitze inneren Überdruck machen, der die Bohnen auf das Doppelte ihres ursprünglichen Volumens aufbläht. Nach drei Jahren nimmt ihn Jens Burg dann eines Tages beiseite. Junge, sagt der große alte Mann hanseatisch trocken, hau ab und mach nun langsam mal was Eigenes auf, denn hier bei uns kannst du nichts mehr lernen.
Nun hätte es losgehen können. „Aber nun gingen die Schwierigkeiten erst los“, sagt Alexander Sager, der kein Café eröffnen will, sondern eine gläserne Kaffee-Manufaktur. Die Banken tun sich schwer, die Rücklagen schmelzen, aber Sager bleibt hartnäckig und startet schließlich direkt gegenüber des traditionsreichen „Theaters des Westens“ in Berlin seine „Sagers“-Kaffeerösterei.
Eine sagenhafte Erfolgsgeschichte. Nicht nur, dass Sagers Konzept des handwerklichen Röstens kleinerer Chargen trotz des höheren Preises bei den Kunden punktet. „Manche kommen jeden Monat von weit her, um sich ihre ein, zwei Kilo Kaffee zu holen“, sagt der Chef, der sich als Produzent und Hersteller und nicht als Gastronom sieht. Nach einem Feinschmecker aus Halle zum Beispiel könne er inzwischen die Uhr stellen - „der ist wirklich immer pünktlich zur Stelle, um seine Vorräte aufzufüllen.“ Dazu gibt es mittlerweile auch einen Internetshop, in dem die ausschließlich aus Arabica-Bohnen gerösteten Spezialitäten bestellt werden können. „Und neun Edeka-Läden beliefern wir inzwischen auch“, sagt Alexander Sager, der gleichzeitig betont, dass es dabei auch bleiben soll: „Das wird nie ein Massengeschäft“, sagt er. Er will dabei sein bei jedem Kilo, das aus dem Röster kommt, er will sehen, ob die Oberfläche der Bohnen glatt und gleichmäßig ist, was dem Kenner anzeigt, dass Bitterstoffe schön rausgeröstet sind aus der Kaffeekirsche und die Aromen sich nun voll entfalten können.
Alexander Sager lebt Kaffee, er schwärmt von Espressomischungen, mit denen er experimentiert, und davon, wie er selbst spüre, dass sich mit nussigen Noten, karamelligem Abgang und einer linden Bitternis noch viel buntere, opulentere Geschmacksbilder für bereitwillige Gaumen malen lassen. Sager liebt Kaffee, so sehr sogar, dass er aus einer Schnapsidee, die ihm damals noch auf dem Hof von Jens Burg gekommen ist, bis heute ein Patent gemacht hat. Die Spelze genannten Häutchen, die die Bohne umschließen, aber beim Rösten wegplatzen, lagen dort immer auf einem Komposthaufen. „Das galt als Abfall, weil Spelze so viel Koffein enthalten, dass man das auch nicht an Tiere verfüttern kann.“ Sager füllte seiner Mutter ein Tütchen, „als Dünger für die Balkonpflanzen, als ich zu ihr fuhr, um ihr ein Päckchen mit meinem ersten eigenen Kaffee zu bringen“. Kaum war das Mitbringsel über die Blümlein verstreut, ging ein Regen nieder und als Alexander Sager auf den Balkon zurückkommt, sieht er „ein goldfarbenes Glitzern, das mich neugierig machte“.
Eine Initialzündung. Von wegen Abfall! Sager brüht und karbonisiert die Spelze im Wassermax, er aromatisiert und experimentiert. „Erst sollte es ein Eistee werden, dann wurde es eine Brause.“ Eine Art Bionade, die wirklich Bio ist. Sagers Coffeesoda enthält so viel Koffein wie Cola, aber kaum Zucker und unter den Geschmacksnoten Pfirsich und Holunderblüte bildet eine subtile Kaffeenote das Grundaroma. Viel zu schade, um nur in der kleinen Manufaktur in der Lenya-Straße verkauft zu werden. Die Dresdner Feldschlößchen-Brauerei hat inzwischen die Rechte an Sagers Coffeesoda erworben - und demnächst kommt der ungewöhnliche Kaffeedrink auch in Sachsen-Anhalt auf den Markt.