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Engagierte Jugend Engagierte Jugend: Suche in der Vergangenheit

Von Toralf Grau 19.01.2004, 18:25

Halle/MZ. - Vor dem Geschichtsbuch stand eine Idee: "Wir wollten etwas gegen den Rechtsextremismus tun, ganz praktisch", sagt Lutz Riemer. Der 22-jährige Student aus Halle und seine sechs Mitstreiter von der Initiative "Wi(e)der das Vergessen" haben einen ungewöhnlichen Weg eingeschlagen, um gegen die Verherrlichung des Nationalsozialismus anzugehen. Mit einem Blick in die Geschichte wollen sie zeigen, welche Barbarei die rechte Ideologie angerichtet hat. Nicht etwa in einem trockenen Lehrbuch - die Initiative hat sich in Halle auf die Suche nach Spuren der Vergangenheit begeben.

Wo stand vor 1938 die hallesche Synagoge, welche Rolle spielte die Universität im Nationalsozialismus? Was geschah mit den halleschen Juden, wo wurden in der Stadt Zwangsarbeiter hingerichtet? "Geschichte ist mehr als eine Abfolge von Daten. Wir wollten sie nachvollziehbarer machen, indem wir die Orte finden, an denen sie geschehen ist", sagt Lutz Riemer. Seine Idee, einen Stadtplan von Halle zu erstellen, der die Orte des Nazi-Grauens in der Stadt zeigt, fand schnell Unterstützer. Als Initiative "Wi(e)der das Vergessen" durchforsteten Riemer und sechs Mitstreiter im Alter zwischen 19 und 24 Jahren seit Sommer 2002 die Archive. Die Schüler und Studenten wälzten Akten, sprachen mit Zeitzeugen - und schnell wurde klar, dass die Fakten, die sie zusammentrugen, ausreichen würden, ein ganzes Buch zu füllen.

Gesagt, getan. "An sechs Wochenenden haben wir uns zusammengesetzt und das Buch geschrieben", sagt Lutz Riemer. "Mit dem Stadtplan auf Spurensuche durch Halle" nennt auf 98 Seiten Nazi-Opfer, -Täter und -Orte in der Saalestadt. Unterstützt von Arbeiterwohlfahrt, Stadtschülerrat, Deutschem Gewerkschaftsbund und der Stiftung "Civitas" wurden bereits 500 Exemplare gedruckt.

Natürlich nicht zum Selbstzweck: Die Leute von "Wi(e)der das Vergessen" wollen mit ihrer Arbeit Jugendliche erreichen. An Schulen und Jugendclubs in Halle sind Projekttage auf Grundlage ihres Buches geplant. Thematische Stadtrundgänge und Gespräche sollen den Jugendlichen die Nazi-Zeit in Halle anschaulich machen.

Die ersten Erfahrungen mit dieser anderen Art des Geschichtsunterrichts seien sehr positiv, sagt Lutz Riemer: "Es gab so viele interessante Diskussionen, die Schüler wollten gar nicht nach Hause gehen." Die Mitstreiter von "Wi(e)der das Vergessen" wollen unterdessen noch weiter an der Geschichte von Halle unterm Hakenkreuz forschen. "Es gibt noch sehr viele Quellen, in die wir nicht geschaut haben. Und noch viele offene Fragen. Über das Schicksal der halleschen Sinti und Roma während der Nazizeit zum Beispiel." Genug Stoff für neue Bücher und für viele Diskussionen.