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Eine Kita-Erzieherin schlägt Alarm Eine Kita-Erzieherin schlägt Alarm: "Das Land lässt uns allein"

23.04.2015, 09:48
Wie sind die Zustände in den Kitas? Kita-Erzieherin Gudrun Gerdung meint, so schlecht wie lange nicht.
Wie sind die Zustände in den Kitas? Kita-Erzieherin Gudrun Gerdung meint, so schlecht wie lange nicht. Fotolia Lizenz

Halle (Saale) - Seit 1974 bin ich Krippen-Erzieherin in Roßlau, also seit über 40 Jahren, und es ist nach wie vor mein Traumberuf. Ich habe in den Kitas des Landes zwei Systeme und viele Reformen erlebt. Ich kann vergleichen und muss sagen: Heute ist es so schlecht wie lange nicht mehr. Die Landesregierung verkündet permanent Erfolgsmeldungen, aber davon ist in den Kitas wenig zu spüren.

Die Rahmenbedingungen, unter denen wir arbeiten, haben sich in den letzten Jahren immer mehr verschlechtert. Ich habe lange vergeblich versucht, Politiker darauf aufmerksam zu machen. Nun wende ich mich an die Öffentlichkeit. Denn wir brauchen eine Debatte darüber, wie gute Bildung in den Kitas im Land funktionieren kann.

"Wir haben die meisten Kinder pro Erzieherin."

„Land ist Spitze bei Kinderbetreuung“ - Schlagzeilen wie diese regen mich auf. Mag sein, dass Sachsen-Anhalt die meisten betreuten Kinder hat, aber leider sind wir auch woanders Spitze: Wir haben die meisten Kinder pro Erzieherin. Dabei ist es doch ganz einfach: Je mehr Erzieher in den Kitas arbeiten, desto besser können sie sich den Kindern zuwenden. So gesehen ist Sachsen-Anhalt also eher Schlusslicht bei der Kita-Qualität.

Dabei war der Osten lange Zeit führend. Doch der Westen holt auf. Heute betreut eine Krippenerzieherin in Bremen drei Kinder. In Sachsen-Anhalt sind es mehr als sechs. Das neue Kifög hat die Situation noch verschärft. Jetzt können wieder alle Kinder in Vollzeit in die Kita gehen. Das finde ich gut. Aber die Arbeitsbelastung für die Erzieher ist dadurch gestiegen, und das Land lässt uns damit allein. In meiner Kita betreuen zum Beispiel vier Erzieher 23 Krippenkinder im Wechseldienst. In anderen Einrichtungen sieht es nicht anders aus, teilweise noch schlimmer.

Oft fühlen wir uns in den Kitas wie am Fließband. Neben den Routinearbeiten - Windeln wechseln, waschen, das Essen betreuen, füttern, einen Raum für den Mittagsschlaf herrichten und so weiter - müssen auch noch Bildungsangebote vor- und nachbereitet, Beobachtungen und Dokumentationen zu den Kindern angefertigt, Entwicklungsgespräche mit den Eltern durchgeführt und die Räumlichkeiten gestaltet werden. Oft muss man sich fast zerteilen. Löst man gerade das Problem des einen Kindes, verlangt schon das nächste nach Aufmerksamkeit. Der Lärmpegel ist enorm. Müssen auch Säuglinge in einer Krippengruppe betreut werden, reicht der Schlüssel 1:6 erst recht nicht aus.

Ein weiteres Manko in vielen Kitas sind die knappen Räumlichkeiten. Oft drängen sich zum Beispiel die Kinder zum Mittagsschlaf Matte an Matte. Dann ist an eine ruhige Atmosphäre nicht zu denken. Dabei brauchen die Kinder diese Zeiten zum Runterkommen. Auch separate Sporträume gibt es selten. Dabei ist Bewegung für die Entwicklung der Kinder sehr wichtig.

Erzieher häufig von Burnout betroffen

Trotz all dieser Umstände versuchen wir Erzieherinnen, aus den schlechten Bedingungen das beste zu machen. Und doch ist es ein extrem stressiger Job. Nicht umsonst gehören Erzieherinnen und Erzieher zu den am häufigsten von Burnout betroffenen Berufsgruppen. Viele arbeiten auch wegen des Stresses nur in Teilzeit.

Es gab eine Zeit, da war das anders. Ich meine nicht die DDR. Die Zustände damals werden oft verklärt. Die Betreuungsrelation lag damals ungefähr genauso hoch wie jetzt. Aber kurz nach der Wende wollte man es besser machen. Meistens arbeiteten damals zwei Erzieher in einer Gruppe. Dann kamen drastische Kürzungen.

Dabei ist der Aufwand, den wir heute betreiben müssen stark gewachsen. Die Gesellschaft hat sich verändert, leider nicht nur zum Positiven. Die Kinder und die Familiensituationen heute sind nicht vergleichbar mit denen vor zehn oder dreißig Jahren. Kinder haben immer öfter Sprachdefizite, Konzentrationsschwächen und Verhaltensauffälligkeiten - Dinge, die ihnen später in der Schule viele Probleme bereiten. Dadurch ist es notwendig, jedem Kind noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Das Landesprogramm „Bildung elementar“, auf das die Regierung immer verweist, finde ich in weiten Teilen deshalb gut. Doch es bleibt allzu oft Theorie. Vieles, was darin verlangt wird, schaffen wir nicht - auch weil uns im letzten Jahr auch noch die Vor- und Nachbereitungsstunden gestrichen wurden.

Um wirklich „Spitze“ bei der Kita-Betreuung zu werden, ist meine Forderung: an erster Stelle mehr Erzieherinnen, kleinere Gruppen und mehr Raum. Dass dafür keine Gelder zur Verfügung stünden, akzeptiere ich nicht, denn Geld ist da in diesem Land, man muss nur die Prioritäten anders setzen. Schon Martin Luther hatte erkannt: „Bei den Kindern muss angefangen werden, wenn es im Staate besser werden soll.“ 

Protokoll: Felix Knothe