Die Sorgen der Sorben Die Sorgen der Sorben: Braunkohleabbau und Diskriminierung

Bautzen - Es war ein Satz wie ein langer Seufzer, etwas, das man so nicht kennt von Stanislaw Tillich. Sachsens CDU-Ministerpräsident ist jemand, der vorsichtig und ohne Emotionen, manchmal auch etwas verdreht formuliert. Aber dieser Satz war klar und deutlich und voller Kummer und Ratlosigkeit: „Es geht wieder gegen die Sorben“, sagte er vor ein paar Tagen. Die Betonung lag auf: wieder.
Tillich ist Sorbe. Er weiß und fühlt, wovon er spricht. Seit Jahrhunderten lebt im heutigen Ostsachsen und im südlichen Brandenburg die slawische Minderheit der Sorben. Die Nachbarschaft war immer mehr oder weniger freundlich und friedlich, im Nazi-Reich aber wurde alles Sorbische konsequent unterdrückt und verfolgt.
Alarmierende Entwicklungen
Seit dem Frühjahr 2014 geht es wieder gegen die geschätzt 40.000 Sorben. „Das ist alarmierend“, sagt Tillich. Sorbische Ortsnamen werden übersprüht. Das Ortsschild Großröhrsdorf wurde mit Davidsternen, dem Wort „Juden“ und mit einem Hakenkreuz beschmiert. Und nicht nur das: Sorbische Jugendliche wurden nach einem Discobesuch von Neonazis beleidigt und bedroht. Im September gab es in Ralbitz und Ostro zwei Angriffe mit Körperverletzung.
Seit Ende Oktober ermittelt das Operative Abwehrzentrum der Polizei. Es ist spezialisiert auf rechtsextremistische Straftaten. Das ist der Stand der Dinge. „Ja“, sagt Benedikt Dyrlich. „Kenne ich alles. Alles auch schon einmal erlebt.“ 1987 auf einem Volksfest in Bautzen. „Sprich deutsch!“, habe ihn jemand angeschnauzt und ihm dann ein Glas Bier ins Gesicht geschüttet. „Knallköpfe“, sagt Dyrlich. „Gab es immer schon.“
Stimmung gegen die Sorben
Dyrlich ist 64 Jahre alt, ein lustiger, lebhafter Mann. Sorbe durch und durch, kräftige Statur, ein Lyriker, der Gedichtbände schreibt. Als junger Kerl war er eine sorbische Rennrad-Legende, vor 24 Jahren saß er für eine Wahlperiode als SPD-Abgeordneter im Landtag. Er war lange Chefredakteur der winzigen Sorben-Zeitung Serbske Nowiny. Er ist Mitglied in der Domowina, der öffentlich finanzierten kulturellen Dachorganisation aller Sorbenvereine. Vor allem ist er ein unerschütterlicher Typ.
„Herrgott ja“, sagt er, Stimmungen gegen Sorben habe es immer gegeben. Dummes Gerede, die Sorben würden bevorzugt. All dieses Zeug, er kennt das, Neid, Missgunst. „Auch zu DDR-Zeiten gab es hier anti-slawische Positionen.“ Er ist es gewohnt, er will es aber auch nicht kleinreden. Soll die Polizei die „Knallköpfe“ doch schnappen und einbuchten, fertig. Denn von denen seien die Sorben nicht wirklich bedroht.
Der Braunkohleabbau und seine Folgen
Es sei etwas anderes viel schlimmer, sagt er. Leiser und gründlicher und wohl auch unaufhaltsam. Was das Sorbische in Ostsachsen und in Brandenburg wirklich ins Mark treffe, das sei der Braunkohleabbau mit all seinen Folgen. Dörfer werden zu Löchern, Menschen werden umgesiedelt, Geschichte und Kultur verschwinden, die sorbische Sprache verflüchtigt sich. „Was bieten wir jungen Menschen“, fragt er. „Wie wollen wir die hier halten? Was sollen die dort arbeiten? Das sind doch nur noch Restgebiete, Dämme zwischen unendlichen Gruben, Mondlandschaften und dahinter nichts mehr. Ohne junge Leute keine Zukunft. “
Ist doch verrückt, sagt er. Vattenfall baggere alles ab, spende aber gleichzeitig Geld an die Domowina, um die sorbische Kultur zu fördern. „Undurchsichtige Transaktionen“, grummelt er. Ein Gedanke, der ihn wütend macht. „Erkauftes Schweigen.“ Darüber könnte sicher auch Hannes Kell etwas erzählen.
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Also Hannes Kell. Noch so ein unerschütterlicher Sorbe, Hannes Wilhelm Kell, 44 Jahre alt, geboren in Dresden, ein schlaksiger Agrar-Ingenieur, der heute als Finanzberater arbeitet. Lebt bei Cottbus in der Niederlausitz. Einer, der Sorbe wurde, weil er es wollte, der die Sprache lernte und sich in Kultur und Geschichte eingrub wie ein Maulwurf in die Erde. Seine Kinder wachsen zweisprachig auf.
Der Traum von der eigenen Partei
Der Papa ist Sprecher der „Lausitzer Allianz“ und ein Mann, der sehr schön und präzise formulieren kann. Er hat einen Traum: eine richtige Partei der Sorben. So etwas Ähnliches gibt es schon in Schleswig-Holstein, den SSW, den Südschleswigschen Wählerverband, ein Partei der Dänen-Minderheit im hohen Norden, befreit von der Fünf-Prozent-Hürde bei Landtagswahlen. In Kiel regiert der SSW mit der SPD und den Grünen.
Kell steht erst am Anfang, seine kleine Bewegung hat 193 Mitglieder, einige haben es in Gemeinderäte geschafft. Ein Regionalparlament in der Lausitz, das wäre der nächste Schritt, ein Sejmik. Eine Interessenvertretung, in der Deutsche und Sorben über Dinge reden, welche die Region und die Leute betreffen. Die Domowina, die angeblich 7.000 Sorben vertritt und aus Landes- und Bundesmitteln finanziert wird, sei das nicht, meint Kell. Die Politik und die Domowina seien „in der Kohle verfangen“.
Die schleichende Entvölkerung
Es geht um 20.000 Bergbau-Jobs in einer Gegend, in der sonst kaum Arbeit ist. Und es geht um sorbische Dörfer, die diesen Zwängen zum Opfer fallen werden. Jänschwalde-Nord, sagt Kell. Ein großes neues Abbaugebiet, drei Dörfer seien davon betroffen. Oder Proschim in der Niederlausitz: 810 Leute müssten weg.
Es geht um Dinge, die nicht zusammenpassen wollen. Vielleicht ist es auch schon zu spät. Über ein sorbisch-deutsches Regionalparlament reden sie seit Jahrzehnten. Es ist nie etwas daraus geworden. Und Kells Partei ist ein Winzling. Es gibt nur die Länder und ihre Landtage in Dresden und Potsdam und dazwischen die Dörfer und Mondlandschaften und die neuen riesigen Tagebau-Seen, welche mit ihren Ausscheidungen seit einiger Zeit die Spree hässlich braun verfärben. Und es gibt die schleichende Entvölkerung.
Ein Raubbau am sorbischen Kulturgebiet
Und die Gewalt gegen Sorben? Bislang passierte so etwas in Brandenburg nicht. „Abwertende Meinungen, das Unterschwellige“, ja das gebe es schon, habe es auch immer gegeben, erzählt Kell. „Und natürlich muss man der Gewalt in Ostsachsen deutlich entgegentreten“. Aber eigentlich, und da ist sich der Niederlausitzer mit dem Oberlausitzer Dyrlich einig, eigentlich sind andere Dinge schlimmer: „Es geht um den gigantischen Raubbau am sorbischen Kulturgebiet“, sagt Kell. „Dagegen unternimmt keiner wirklich etwas.“ (mz)

