Letztes Kapitel mit Überlänge Letztes Kapitel mit Überlänge: Prozess gegen Adrian Ursache geht in Verlängerung
Reuden/Halle (Saale) - Nach 55 Verhandlungstagen und einer Gesamtdauer von mehr als 19 Monaten geht es plötzlich ganz schnell im Verfahren wegen versuchten Mordes, den die Staatsanwaltschaft dem früheren Solarunternehmer und Mister Germany Adrian Ursache vorwirft. Am Mittag noch hatte sich die Verteidigung Chancen ausgerechnet, den Mammutprozess mit einem Antrag auf Aussetzung vor den Europäischen Gerichtshof bringen zu können.
Doch wie zuletzt alle Versuche der drei Verteidiger, zusätzliche Beweise oder Sachverständige in die Ermittlung der Tatumstände vom 25. August 2016 einzubinden, an dem ein SEK-Einsatz auf dem Grundstück der Familie Ursache in Reuden (Burgenlandkreis) zu einer Schießerei zwischen SEK-Beamten und dem von der Behörden der Reichsbürgerszene zugeordneten Gründer des Fantasiestaates “Ur” eskaliert war, endet auch dieser Versuch mit einer Ablehnung durch die 1. Große Strafkammer. “Unzulässig”, sagt der Vorsitzende Richter Jan Stengel und er folgt damit der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft.
Prozess gegen Adrian Ursache: Staatsanwaltschaft fordert acht Jahren Freiheitsstrafe
Minuten später begannen dann schon die Plädoyers, in denen die Anklage bei den bereits in einem ersten Anlauf geforderten acht Jahren Freiheitsstrafe wegen illegalen Waffenbesitzes und versuchten Mordes bleibt. Ein Strafmaß, dem Verteidiger Hartwig Meyer entschieden widerspricht.
Der erste der Ursache-Anwälte kritisiert die Verfahrensführung, die trotz der Dauer von fast zwei Jahren kaum zum Kern der Geschehnisse vorgedrungen sei. Beweise seien nicht erhoben, Beweismittel nicht untersucht, die Tatumstände nicht aufgeklärt worden. Angefangen von den Rechtsgrundlagen, die dem SEK-Einsatz damals zugrunde gelegen hätten, sei vielfach Recht gebeugt worden, auch später im Verfahren seien alle Anstrengungen der Verteidigung, für Aufklärung zu sorgen, an der Verweigerungshaltung der Kammer gescheitert.
Es habe sich, stimmte Meyers Verteidigerkollege Dirk Magerl zu, wohl wirklich um ein Verfahren gehandelt, das auch eine “politische Schiene” gehabt habe, wie es einer der ersten Zeugen, ein Polizeibeamter, ganz zu Beginn angedeutet hatte. Magerl listete in seinem Plädoyer eine ganze Latte von Versäumnissen und unverständlichen Fehlern auf, die während der Hauptverhandlung aufgetaucht seien.
Verteidiger von Ursache nannte den Prozess mehrfach ein “politisches Verfahren"
Es hätten sich keinerlei Belege für die Tatthese gefunden, die die Anklageschrift aufgemacht habe, dennoch sei diese immer weiter verfolgt worden. “Es gab keine Schmauchspuren am Helm, die Schutzkleidung des Beamten wurde nicht untersucht, von der angeblichen Tatwaffe ist immer noch nicht klar, ob man mit ihr überhaupt schießen kann.”
Magerl nannte den Prozess ausdrücklich mehrfach ein “politisches Verfahren”, an dessen Ende “überall nur Fragezeichen” stünden. Weil die Fehler in der Ermittlungsarbeit aber nicht seinem Mandanten anzulasten seien, plädiere er für eine Verurteilung wegen Waffenbesitzes. Adrian Ursache habe sich in einer Notwehrsituation geglaubt, diese Notwehr aber sei nicht verhältnismäßig gewesen.
Eine Ansicht, die auch der dritte Verteidiger Manuel Lüdke vertrat. Ihm stelle sich nach so vielen Monaten eines Verfahrens, wie er es noch nie erlebt habe, vor allem die Frage nach dem Warum. Warum habe das Gericht seine Pflicht zur Sachaufklärung ignoriert, warum seien Gutachter beschäftigt worden, die im Zeugenstand erklärten, sie hätten keine Erfahrung mit der begutachtenden Materie oder sogar, dass sie die zu begutachtenden Schusswunden Ursache nie unverbunden gesehen und auch die Klinikunterlagen nicht gelesen hätten?
Verteidiger fordern sofortige Haftentlassung nach der Urteilsverkündung
Lüdke empörte sich darüber, dass er und seine Kollegen in eine Situation gebracht worden seien, in denen sie, die sie sich stets von den politischen Ansichten ihres Mandanten distanziert hätten, das Gefühl gehabt hätten, sie müssten dessen Unschuld beweisen. “Dabei ist es an der Staatsanwaltschaft, seine Schuld zweifelsfrei zu belegen.”
Auf das Warum gibt es auch für Manuel Lüdke nur eine Antwort. “Ich rede nicht wie mein Kollege von einem politischen Prozess”, sagte er. Doch dass man damals in Reuden keine Deeskalation gewollt habe, sondern einen Präzedenzfall dafür, “wie ein gefährlicher Reichsbürger festgenommen wird, damit gezeigt werden kann, wie konsequent der Staat gegen solche Leute vorgeht, das liegt auf der Hand." Lüdke beantragte ebenfalls eine Haftstrafe für seinen Mandanten, allerdings “nicht länger als die bereits verbüßte Untersuchungshaft”. Und eine sofortige Haftentlassung nach der Urteilsverkündung.
Die war eigentlich auch noch für die tiefe Nacht geplant, doch nachdem Adrian Ursache den ersten Teil seines letzten Wortes nach zwei Stunden hatte unterbrechen müssen, weil einer der Anwälte nach mehr als zehn Stunden Verhandlung forderte, wenigstens einmal eine Pause zu machen, um Luft in den Saal zu lassen, dauerte die Fortsetzung dann nur noch ganz kurz.
Auf Befragen des Vorsitzenden Richters, wie lange er denn noch brauchen werde, kündigte Ursache an, seinen bereits gehaltenen Vortrag noch einmal von vorn beginnen zu wollen. “Es muss der Zusammenhang gewahrt bleiben.” Daraufhin vertagte sich das Gericht auf Mittwoch. (mz)