1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Burgenlandkreis
  6. >
  7. Historiker widmet sich der Unstrut: Historiker widmet sich der Unstrut: Fluss der Extreme

Historiker widmet sich der Unstrut Historiker widmet sich der Unstrut: Fluss der Extreme

Von Matthias Deutsch 08.01.2020, 14:45
Überschwemmte Unstrut-Aue bei Großjena am 5. Juni 2013.
Überschwemmte Unstrut-Aue bei Großjena am 5. Juni 2013. M. Deutsch

Freyburg - Seit 25 Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler an den Universitäten Erfurt und Göttingen mit der Geschichte der Unstrut. Ein Ziel der Untersuchungen ist es, Angaben über Hoch- und Niedrigwasserereignisse (1500-1950) zu erfassen und interdisziplinär auszuwerten. Weil an der Unstrut bereits ab etwa 1820 unter anderem an den Stationen Laucha und Freyburg regelmäßige Pegelmessungen einsetzten, lassen sich zahlreiche Hochwasser, aber auch Niedrigwasserperioden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts relativ gut rekonstruieren. Im Gegensatz dazu müssen für Untersuchungen hydrologischer Extreme, die vor dem Beginn der Messungen auftraten, historische Quellen herangezogen werden. Das können beispielsweise Beschreibungen in Ortschroniken oder amtliche Protokolle zum Ausmaß der Hochwasserschäden sein.

Natürlich handelt es sich bei diesen Quellen nicht um sogenannte „harte Daten“, sondern um mehr oder weniger ausführliche schriftliche Berichte. Trotzdem lassen sich anhand der Quellen und unter Einbeziehung von alten Pegeldaten hinlänglich sichere Aussagen zum Auftreten hydrologischer Extremen-Ereignisse ab etwa 1500 treffen. In diesem Artikel wird auf ausgewählte historische Hoch- und Niedrigwasser der Unstrut eingegangen, wobei sich die Betrachtungen auf den Laufabschnitt Freyburg - Flussmündung konzentrieren.

Schnee und Regen

Folgt man gedruckten und handschriftlichen Quellen zum Hochwassergeschehen der Unstrut, traten am Unterlauf zwischen 1500 und 1950 etwa 100 Hochwasser auf, die zu bedeutenden Überschwemmungen führten. Davon können wiederum 23 Einzelereignisse als herausragend bezeichnet werden. Laut zeitgenössischen Berichten kam es unter anderem im Stadtgebiet von Freyburg zu bedeutenden Schäden und Verlusten. Das war beispielsweise bei den Katastrophenhochwassern vom Februar 1595, März 1674, Juli/August 1752, Februar/März 1784, Februar 1799, März/April 1845, Juni/Juli 1871, Februar 1909, Januar 1940, Februar 1946 und März 1947 der Fall. Zum Großteil liefen die Hochwasser im hydrologischen Winterhalbjahr (November bis April) ab und wurden in der Regel durch die Schneeschmelze und ergiebige Regenfälle ausgelöst. Ursache für herausragende Hochwasser im hydrologischen Sommerhalbjahr (Mai bis Oktober) waren zumeist lange anhaltende Niederschläge.

Schlamm und Kies überall

Alle genannten Abflussereignisse wirkten sich unter anderem in Freyburg sowie in den angrenzenden Ortschaften katastrophal aus. So wird in den Quellen immer wieder von teilweise oder ganz eingestürzten Wohnhäusern, Scheunen und Ställen berichtet. Aber auch an Brücken, Mühlen, Wehren und so weiter kam es zu Schäden. Darüber hinaus liegen insbesondere für die Sommerhochwasser Nachrichten über verschlämmte oder verkieste Wiesen, Äcker und Gärten vor.

Da es unmöglich ist, an dieser Stelle auf alle Hochwasserkatastrophen näher einzugehen, soll ein extremes Abflussereignis (1799) kurz vorgestellt werden. Es verursachte am Ober-, Mittel- und Unterlauf katastrophale Schäden. Schwer betroffen waren auch Teile der Stadt Freyburg. Hier standen am 23. und 24. Februar viele Straßen unter Wasser, und noch heute kündet eine Markierung am Wohnhaus Wasserstraße 32 vom Ausmaß der Überschwemmung

Ausgelöst wurde das Februarhochwasser 1799 durch plötzlich einsetzende Schneeschmelze sowie ergiebige Regenfälle. Vorausgegangen war ein langer, schneereicher Winter, der bereits im November 1798 mit einem ersten Kälteeinbruch begonnen hatte. Infolge starker Schneefälle, die vor allem in den Monaten Januar und Februar 1799 auftraten, hatte sich sowohl in den Mittelgebirgen als auch im Tiefland eine geschlossene Schneedecke gebildet. Die anhaltend tiefen Temperaturen führten dazu, dass die Unstrut mit Eis bedeckt war.

Gefährliches Eis

Sorgenvoll betrachteten viele Gewässeranlieger das Witterungsgeschehen und hofften, dass der Schnee nicht wie im Winter 1784 plötzlich schmilzt, sondern das Wasser zusammen mit den Eisschollen gefahrlos abgeht. Dieser Wunsch erfüllte sich nicht. Um den 15./16. Februar 1799 stiegen die Temperaturen merklich an, und es wurde stürmisch. Zusätzlich zur Schneeschmelze setzte Regen ein, wobei in Teilen des Unstrut-Einzugsgebiets sogar Gewitter auftraten. Ab dem 20. Februar uferten zunächst die Bäche aus. Sie führten außerordentlich große Wassermengen zu Tal und verursachten örtlich die ersten Überschwemmungen. Schließlich brach das Eis auf der Unstrut, wobei sich die Eisschollen unter anderem an Flusskrümmungen sowie vor Brücken und Wehren rasch aufstauten. Die sogenannten „Eis-Schütze“ verursachten stromauf einen gefährlichen Rückstau und großflächige Überflutungen.

In Freyburg ergoss sich vor allem in der Nacht zum 24. Februar ein Wasser-Eis-Gemisch in tiefer gelegene Straßen und Gassen. Ein zeitgenössischer Bericht zur Lage in der Stadt sowie zum Ausmaß der Zerstörungen findet sich in einem 1800 in Dresden veröffentlichten Buch von Christian Gottlieb Pötzsch (1732 bis 1805). Darin heißt es: „Eben dergleichen Noth (wie Laucha) empfanden auch bey der Stadt Freyburg die Einwohner in den dasigen ganzen drey Vorstädten. Diese wurden gleichfalls in der Nacht (vom 23. zum 24. Februar) von der tobenden Fluth plötzlich überfallen, nachdem solche schon die Wasser- und Mühlenbrücken, auch andere in dem Flusse befindliche Gebäude mit fortgerissen hatte, daß auch hier die unglücklichen Einwohner, nebst ihren Kindern, kaum mit äußerster Lebensgefahr, aus angedachter Menschenliebe, von andern herbey geeilten Bürgern aus der Stadt, und in den daselbst garnisonierenden Carabiners, auf Kähnen und Flößen, aus den theils schon zusammengestürzten, theils Gefahr drohenden Häusern, gerettet werden konnten. Das Wasser erhob sich auch da 1 ½ Elle höher als 1784, von welchem 58 Einwohner unter Raths- und 2 unter Amts-Jurisdiction in Angst, Schrecken und Schaden versetzt wurden, worunter 44 an ihren Gebäuden gewaltig litten; denn es stürzten 13 Wohnhäuser sogleich völlig zusammen; auch blieb der Kommun Brau- Malz- und Hirtenhaus nicht verschont. Der Verlust an Getraide, Mobilien, Kleidungsstücken, Betten ec. war ebenfalls nicht gering, da viele Einwohner nicht das mindeste retten konnten. Bey dieser Noth bestrebte sich der Stadtmagistrat bestmöglichst, den Unglücklichen Hülfe zu verschaffen. Zu welchem Ende derselbe, unter andern Vorkehrungen, ungesäumt eine Collecte bey der Stadt veranstaltete, in der 198 Rthlr. (Reichstaler) 7 gl. (Groschen) einkamen.“

Anzumerken ist, dass für die Freyburger Hochwasseropfer in zahlreichen mitteldeutschen Städten - darunter in Leipzig - ebenfalls Spenden gesammelt wurden. Laut einer Mitteilung vom 30. März 1799, die in der „Beylage zu den Leipziger Zeitungen“ erschien, hatte Autor Johann Carl Hoffmann „Die an mich gekommenen über 200 Taler hinausgehenden milden Gaben“ exakt verzeichnet und danach an die „Obrigkeit“ in Freyburg geschickt. Ferner gingen dort auch noch verschiedene Lebensmittel- und Sachspenden ein, die man an Bedürftige verteilte. Laut Auskunft von Christian Gottlieb Pötzsch waren das 16 Dresdner Scheffel Korn, 1 Scheffel gebackenes Obst, 2 Säcke Mehl sowie 24 Paar „Männer- und Weiberstrümpfe“.

Im Vergleich zur reichhaltigen Quellenüberlieferung zum Hochwassergeschehen fanden sich bei den bisherigen Materialrecherchen kaum Unterlagen und alte Bilder mit Bezügen zu historischen Niedrigwassern der Unstrut im Laufabschnitt Freyburg - Blütengrund. Ebenso fallen in zeitgenössischen Texten die Angaben über die Ursachen und den Verlauf extremer Niedrigwasser relativ knapp aus. Mit Blick auf eine 1935 vorgelegte Studie von Johannes Grunow lassen sich jedoch für die Unstrut anhand der auslösenden Faktoren grundsätzlich zwei Niedrigwasserhauptgruppen unterscheiden:

Die erste Gruppe ist gekennzeichnet durch einen strengen Winter und einen darauf folgenden sehr trockenen Sommer. Der bedeutendste Faktor dabei ist, dass über einen langen Zeitraum hinweg Bodenfrost herrschte und somit ein Auffüllen der (Grundwasser-)Speicher verhindert wurde. Das heißt für das Einzugsgebiet der Unstrut, dass das Schmelzwasser sowohl in den Höhenlagen von Harz und Thüringer Wald als auch im Flachland schnell zum Abfluss gelangte und nicht oder nur zu einem geringen Teil im Boden versickern konnte. Im darauffolgenden Sommer bestand die erhöhte Gefahr, dass eine Trockenperiode zu einer Niedrigwasserperiode wurde. Blieb der Niederschlag über längere Zeit aus, konnten die Unstrut und ihre Zuflüsse nicht oder nur für einen kurzen Zeitraum durch Grundwasser gespeist werden, und es kam zu einem Niedrigwasser.

Die zweite Gruppe bildeten sehr trockene Sommer, die auf einen milden Winter folgten. Die Niederschläge flossen ab, ohne in fester Form zwischengespeichert zu werden. Im Frühjahr zeichnete sich dann die zu geringe bis nicht vorhandene Schneeschmelze deutlich im Abflussvorgang ab.

Die Mühlen stehen still

Nach jetzigem Forschungsstand traten nach 1500 am Unterlauf der Unstrut herausragende Niedrigwasser in folgenden Jahren auf: 1540, 1616, 1746, 1893, 1904, 1911, 1934, 1947 und 1949.

Hinsichtlich der Folgewirkungen von Niedrigwassern ist festzustellen, dass in den Quellen unter anderem über Engpässe bei der Nahrungsmittelversorgung berichtet wird, weil die Wassermühlen entweder still standen oder nur noch eingeschränkt arbeiten konnten. Ferner wirkten sich insbesondere die lange anhaltenden Niedrigwasserperioden negativ auf die seit 1795 betriebene Unstrut-Schifffahrt aus. So war man beispielsweise in den Sommern der Jahre 1904 und 1911 gezwungen, aufgrund der niedrigen Wasserstände zeitweilig mit halb leeren Schiffen zu fahren. Ob der Frachtverkehr in diesen Jahren temporär eingestellt werden musste, lässt sich anhand bisher genutzter Quellen nicht sagen.

Fakt aber ist, dass die Schiffseigner bei anhaltenden Niedrigwasserperioden erhebliche finanzielle Verluste erlitten. Schließlich mussten sie für die laufenden Kosten, darunter für die Unterhaltung der Schiffe sowie für Steuern, weiterhin aufkommen.

Wirtschaftlicher Schaden

Abschließend ist zu bemerken, dass während der letzten Jahrhunderte immer wieder herausragende Hoch- und Niedrigwasser in der Unstrut auftraten. Dadurch kam es unter anderem in Freyburg sowie in den angrenzenden Gebieten zu bedeutenden Schäden beziehungsweise Verlusten. Sowohl kurz- als auch langfristig betrachtet waren von den hydrologischen Extremen nicht nur Haus- und Grundstücksbesitzer, sondern auch zahlreiche Gewerbetreibende (Müller, Schiffer, Spediteure und viele andere mehr) betroffen. Bei zukünftigen Studien zur jüngeren Geschichte der Unstrut-Region sollten sowohl herausragende Hoch- als auch Niedrigwasser des 20. und 21. Jahrhunderts mit berücksichtigt werden.

Der Verbindung zwischen Unstrut und Weinstadt widmet sich der neue, nunmehr zehnte Band der Schriftenreihe „novum castrum“, die der Verein zur Rettung und Erhaltung der Neuenburg seit Jahren veröffentlicht. Ein Vortrag des Historikers und Autors dieses Beitrags, Dr. Mathias Deutsch, in der traditionellen Veranstaltungsreihe „Remisentreff“ des Vereins bildete dafür den Anstoß. Deutsch ist Dozent an den Universitäten Erfurt und Göttingen sowie der Bauhaus-Universität Weimar. Für den Band zeichnet er bei mehreren Beiträgen als alleiniger Verfasser beziehungsweise als Co-Autor verantwortlich.

Blick über die Niedrigwasser führende Unstrut zur Freyburger Mühle im Sommer 1904. Gut erkennbar ist das fast trocken gefallene Wehr.
Blick über die Niedrigwasser führende Unstrut zur Freyburger Mühle im Sommer 1904. Gut erkennbar ist das fast trocken gefallene Wehr.
Sammlung Museum Neuenburg
Etwa 103 Zentimeter über dem heutigen Bürgersteigniveau befindet sich in Freyburg am Wohnhaus Wasserstraße 32 eine Marke, die an die Überschwemmung vom 23./24. Februar 1799 erinnert. Rund 68 Zentimeter darunter kündet ein weiteres Kennzeichen vom extremen Wasserstand im Winter 1784.
Etwa 103 Zentimeter über dem heutigen Bürgersteigniveau befindet sich in Freyburg am Wohnhaus Wasserstraße 32 eine Marke, die an die Überschwemmung vom 23./24. Februar 1799 erinnert. Rund 68 Zentimeter darunter kündet ein weiteres Kennzeichen vom extremen Wasserstand im Winter 1784.
Deutsch