1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Burgenlandkreis
  6. >
  7. Besonderes "Familientreffen": Corps Teutonia: Warum sich 500 Corpsstudenten in Bad Kösen treffen

Besonderes "Familientreffen" Corps Teutonia: Warum sich 500 Corpsstudenten in Bad Kösen treffen

07.06.2019, 08:00
Patrick Ranft (Mitte) ist Sprecher des Verbandes der Corpsstudenten. Das Bild entstand im vorigen Jahr, als bei seiner Amtsübernahme die Fahne seiner Verbindung aufgezogen wurde.
Patrick Ranft (Mitte) ist Sprecher des Verbandes der Corpsstudenten. Das Bild entstand im vorigen Jahr, als bei seiner Amtsübernahme die Fahne seiner Verbindung aufgezogen wurde. Torsten Biel

Bad Kösen - Vor seiner ersten Mensur, Patrick Ranft weiß es noch genau, hatte er gehörigen Respekt. „Fechten war ja völlig neu für mich“, sagt er. Ein paar Jahre ist das her, längst ist er ganz gelassen. Er hat damals seine Bedenken, seine Angst und sich selbst überwunden. Genau darum, sagt er heute, gehe es doch: „Man soll seinen Mann stehen. Das ist gewollt und gefordert.“

Ranft, 27, Student der Politikwissenschaften, gehört dem „Corps Teutonia“ an, einer schlagenden Studentenverbindung aus dem hessischen Gießen. Schlagend, weil die Mensur - das Fechten Mann gegen Mann - hier zum festen Programm gehört.

Am Donnerstag sitzt er in einem Biergarten eines Hotels in Bad Kösen bei Naumburg, Trachtenjanker, weißes Hemd, Krawatte. Über Brust und Bauch spannt sich ein schmales buntes Band. Um ihn herum Männer in einem ähnlichen Aufzug. Zum Band tragen manche noch ein buntes Käppi auf dem Hinterkopf oder eine voluminöse weiße Mütze, die an einen Schiffsbug erinnert.

500 Corpsstudenten treffen sich in Bad Kösen

Bis zum Sonnabend treffen sich in dem Kurort im Burgenlandkreis 500 Corpsstudenten und ihre Alten Herren, also ehemalige Studenten. Ihre Dachverbände, der „Kösener Senioren-Convents-Verband“ (KSCV) und der Alte-Herren-Verband VAC, halten ihre Jahreskongresse ab - dort, wo einst alles begann.

Es ist das Familientreffen einer Szene, die aus der Zeit gefallen wirkt: Ihre Angehörigen messen sich beim Zweikampf im Fechten. Sie tragen Farben - die bunten Bänder - als eine Art optisches Erkennungsmerkmal, wobei jedes Corps eigene Farbkombinationen hat.

Sie singen bei „Kneipen“ genannten geselligen Abenden alte Studentenlieder wie „Die Gedanken sind frei“. Und dann die Namensgebung: Senioren? Für eine Studentenverbindung? Patrick Ranft klärt auf: „Senioren heißen bei uns die Vorstandschefs der einzelnen Corps.“ So war es schon immer, seit die Corps im 18. Jahrhundert aufkamen. So ist es bis heute. Ranft grinst: „Vielleicht wirken wir wirklich etwas merkwürdig.“

Und nicht nur das: Studentenverbindungen gelten manchen als hoffnungslos rückständig, frauenfeindlich und offen nach rechts.

Corpsstudenten nehmen für sich in Anspruch, der älteste studentische Verband Deutschlands zu sein

Dabei ist Verbindung nicht gleich Verbindung. Die Corpsstudenten nehmen für sich in Anspruch, der älteste studentische Verband Deutschlands zu sein, gegründet 1848. Doch was unterscheidet sie zum Beispiel von den Burschenschaften, die gemeinhin als Synonym für Studentenverbindungen gelten?

Richard Hückel nennt das Programm in Kurzform: „Weder Nationalität noch politische Anschauung noch Hautfarbe noch Religion spielen bei uns eine Rolle. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal.“ Hückel ist Vorsitzender des Alte-Herren-Verbandes VAC, er sagt: „Toleranz ist unser oberstes Prinzip.“

Der Architekt ist ein freundlicher eloquenter Mann von 53 Jahren. Zum Gespräch erscheint er in Anzughose, schwarzem Polohemd und buntem Band in grün-weiß-schwarz, die Farben seines „Corps Guestphalia“ aus Erlangen.

„Ich bin noch leger“, sagt er entschuldigend und eilt davon, sich umziehen. Als er zurückkommt, trägt er weißes Hemd und Krawatte. Als das Gespräch auf Burschenschaften kommt, wird er einen Moment schmallippig: „Mit denen wollen wir uns nicht vergleichen.“ Burschenschaftsverbände sehen sich zum Teil dem Vorwurf ausgesetzt, nicht konsequent genug gegen rechtsextreme Strömungen in den eigenen Reihen vorzugehen.

Damit wollen die Corpsstudenten nichts zu tun haben: „Ich wüsste nicht, dass es bei uns derartige Fälle schon gegeben hätte“, sagt Patrick Ranft. Dennoch beklagen sie, immer wieder mit Burschenschaften in einen Topf geworfen zu werden. Eine Unterscheidung ist für Laien tatsächlich schwierig. Auch andere Verbindungen pflegen die Mensur und tragen Farben.

Gedenken an Kriegstote am Löwendenkmal nahe der Rudelsburg

Politikstudent Ranft fand in Gießen über Kommilitonen zu seinem Corps. „Ganz unspektakulär“, sagt er. Ihm habe die Gemeinschaft gefallen, das Tolerieren anderer Meinungen, der Umstand, dass die Corps keine bestimmte politische Ausrichtung verfolgten. „Natürlich sind wir alle politische Menschen“, sagt Ranft, „wenn wir am Küchentisch diskutieren, prallen die Meinungen aufeinander. Aber Politik ist nicht die Maxime der Corps.“

Eine Zeit lang hat er, wie es obligatorisch ist, mit anderen Corpsstudenten in einem Haus gewohnt, mittlerweile ist er mit seiner Freundin zusammengezogen. „Das war keine Zweck-WG“, sagt er. Soweit möglich, habe man sich gegenseitig beim Studium unterstützt - und auch mal auf die Füße getreten. Ranft formuliert es so: „Leistung ist schon erwünscht.“ Auch nach dem Studium setzt die Gemeinschaft sich fort - wenn Alte Herren etwa mit Tipps oder Kontakten beim Berufseinstieg helfen.

Ranft ist derzeit Sprecher des Verbandes der Corpsstudenten. Ein Amt, das jährlich wechselt, wie die Fahne des jeweiligen Corps, die aus diesem Anlass auf der Rudelsburg bei Bad Kösen aufgezogen wird. Er habe viel gelernt in seiner Verbindung, sagt er. Er spricht von „Softskills“, also Fähigkeiten jenseits der beruflichen Qualifikation, die einen im Leben weiterbringen könnten: die Übernahme von Pflichten, etwa das Sprecheramt. Oder das Leiten einer „Kneipe“, die - Geselligkeit hin oder her - strengen Strukturen unterworfen ist: Wann wird gesungen? Wann wird Bier getrunken? Alles ist geregelt. Und einer muss die Regeln durchsetzen.

Am Löwendenkmal nahe der Rudelsburg werden die Studenten und die Alten Herren an diesem Freitag wieder der Kriegstoten gedenken. Ein zu Tradition gewordenes Ritual. „Wir sind eben Traditionalisten“, sagt Patrick Ranft, „aber deswegen gehen wir doch nicht am Leben vorbei.“

Allerdings bleiben sie dabei unter Männern. Frauen sind in den Corps nach wie vor nicht erwünscht. Wird es eine Öffnung geben? „Die Frage hat sich bisher nicht gestellt“, sagt Alte-Herren-Chef Hückel. Es gebe schließlich auch reine Frauen-Verbindungen. Und Ranft antwortet mit entwaffnender Offenheit und einem Sportvergleich: „Es fragt ja auch niemand, warum Fußballvereine nicht gemischt sind.“

Keimzelle in Mitteldeutschland

Die Geschichte des „Kösener Senioren-Convents-Verbands“ (KSCV) reicht zurück bis 1848. Damals schlossen sich einzelne Studentencorps zu dem Verband zusammen, darunter Verbindungen aus Halle, Leipzig und Jena. Die Wahl auf Bad Kösen als Namensgeber und regelmäßigem Tagungsort fiel, weil der Ort im Dreieck der drei Universitätsstädte liegt.

Im Nationalsozialismus lösten sich der Verband und viele Corps zeitweilig auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Würzburg (Franken) Versammlungsort, bevor der Verband 1994 mit seinen Jahrestreffen nach Bad Kösen zurückkehrte. Das 25-jährige Jubiläum der Wiederkehr wird an diesem Freitag mit einem Festakt auf der Rudelsburg gefeiert. Die Festrede hält Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Daran schließt sich das Totengedenken an, dem mit besonderer Bekleidung Rechnung getragen wird (Foto).

Heute gehören dem Verband rund 160 Corps in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Belgien und Ungarn an. (mz)

Zu Tradition gewordenes Ritual - die Ehrung der Kriegstoten am Löwendenkmal vor der Rudelsburg
Zu Tradition gewordenes Ritual - die Ehrung der Kriegstoten am Löwendenkmal vor der Rudelsburg
Torsten Biel