Amtsgericht Naumburg Amtsgericht Naumburg: Naumburger Anwalt sitzt auf Anklagebank - Freispruch für ihn

Naumburg - Man würde denken, ein Verteidiger hängt sich im Abschlussplädoyer noch mal richtig für seinen Mandanten rein. Argumentiert, betont entlastende Fakten. Doch damit musste sich ein Dresdner Strafverteidiger am Naumburger Amtsgericht kürzlich gar nicht lange aufhalten. Kurz zuvor hatte schließlich bereits die Staatsanwaltschaft einen Freispruch gefordert. Also hatte nun der Anwalt Zeit, um zur Generalkritik auszuholen. Das Verfahren sei „völlig überflüssig“ gewesen. Er benannte „Fehler der Ermittlungsbehörde“, die zum Teil „grob fahrlässig“ gewesen seien. Starker Tobak. Doch als Beobachter konnte man durchaus Verständnis aufbringen.
Ein Abend im Mai 2017
Worum aber ging es? Angeklagt war ein Naumburger Rechtsanwalt. Dieser, spezialisiert auf Verkehrs- und Familienrecht, offeriert im Internet eine Seite, auf der Ehepartner mit einigen wenigen Klicks und der Angabe von persönlichen Daten mithilfe der Kanzlei ihre Scheidung beantragen können. Dies wollte im Mai 2017 auch eine Hamburgerin mittleren Alters tun, die in der Hansestadt nach eigenen Angaben eine Kindertagesstätte leitet. Am Abend klickte sie sich durch das Onlineformular, schickte es ab, mailte in den Folgetagen und -wochen noch ein paar Mal mit der Kanzlei wegen Details hin und her und bekam irgendwann eine Rechnung über 263,70 Euro. Diese ignorierte sie, doch nach der dann folgenden Mahnung fühlte sich die Hamburgerin plötzlich betrogen. Das Online-Angebot sei schließlich „kostenlos und unverbindlich“ gewesen, meinte sie und belegte dies - aus ihrer Sicht -, indem sie einen Screenshot präsentierte, auf dem ein Button mit genau der Aufschrift „kostenlos und unverbindlich“ zu sehen war.
Erfolg vor Hamburger Gericht
Weil der Button nicht von seiner Seite, sondern von irgendwo anders im Internet stammte, ignorierte der Anwalt den Einwand und vollstreckte seine Kosten. Doch dazu kam es nicht. Denn die Frau ging vors Amtsgericht Hamburg. Ein Termin, den der Naumburger Anwalt - im sicheren Gefühl, im Recht zu sein - wohl auf die leichte Schulter nahm. Er erschien dort nicht. Die Frau gewann, und die Vollstreckung war dahin. Ein Erfolg, der nun wohl der damals scheidungswilligen Hamburgerin Selbstbewusstsein gab. Und so flatterte dem Naumburger Anwalt nach geraumer Zeit eine Anklage wegen versuchtem Betrug ins Haus. Er habe Gebühren erhoben, die er nicht hätte erheben dürfen, so die Staatsanwaltschaft. Kurzum: Im Naumburger Amtsgericht ging es jetzt um die Frage, ob der Hamburgerin online ein kostenloses Angebot suggeriert worden war.
Eine Frage, die das Gericht zwar über zwei Stunden beschäftigte, aber eigentlich wenig spannend war. Denn die Anklage war auf zwei extrem wacklige Füße gestellt. Zum einen: die Erinnerung der Frau. Diese war sich zwar mit dem „Kostenlos und unverbindlich“ sicher, aber vor Gericht war ihre Erinnerung ansonsten dünn. Was genau sie gegoogelt hat, auf welcher Seite exakt sie war, welche Häkchen sie genau gesetzt hat? „Hundertprozentig kann ich das nicht mehr sagen“, so die angeblich Geschädigte. Es sei zwischenzeitlich so viel passiert - ihre Insolvenz, der Ehemann in der Psychiatrie.
Web Designer gibt Auskunft
Exakte Angaben konnte indes ein Web Designer aus Hannover machen, der die diversen Online-Auftritte des Naumburger Anwalts in puncto Verkehrs- und Familienrecht betreut. Er versicherte anhand von Datenbanken und Backups glaubhaft, welche Angaben die Dame gemacht und dass sie mehrfach auf Buttons geklickt habe, die auf die Kostenpflicht hinweisen. „Ohne das ist es technisch gar nicht möglich, das Formular abzuschicken“, so der IT-Spezialist. Zugleich erklärte er, dass es den von der Dame per Screenshot präsentierten Button in der Art nirgends auf von ihm programmierten Seiten gebe. Und damit war der zweite wacklige Fuß der Anklage zerdeppert - denn niemand, weder die Hamburgerin noch der Staatsanwalt, wusste zu bekunden, woher der Button wirklich stammt.
Für den Vorsitzenden Richter Dirk Stötter war es danach ein Leichtes, den Freispruch zu verkünden. Und es scheint vielmehr so, dass eine in Liebes- und finanziellen Dingen gebeutelte Hamburgerin plötzlich bereute, was sie im abendlichen Scheidungswunsch angeklickt hatte und dies nicht mehr wahrhaben wollte. Dass so etwas - in der angeblich so überlasteten Welt der deutschen Gerichte - für eine Betrugsprozess reicht, ist schon erstaunlich. Die Zeugen aus Hannover und Hamburg bekamen noch ihre Auslagen für Fahrt und Hotel erstattet. Einfaches Fazit: „Außer Spesen nichts gewesen.“