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Bienenfresser in Sachsen-Anhalt Bienenfresser in Sachsen-Anhalt: Bundesweit größte Kolonie in Merseburg

Von Sabrina Gorges 16.08.2015, 07:46

Merseburg - „Die 41 geht“, ruft Tamara Emmenegger, bevor sie den schillernd bunten Vogel aus ihrer Hand gleiten lässt. Mit schnellen Flügelschlägen nimmt er Reißaus. Er trägt einen sogenannten Logger auf dem Rücken, der wichtige Daten wie seine Zugwege aufzeichnet. „Gut neun Monate ist das kleine Ding jetzt aktiv“, sagt die 28 Jahre alte Biologin von der Vogelwarte Sempach in der Schweiz. „Die Batterie setzt uns da Grenzen.“

Emmenegger und ihre Kollegen haben sich gemeinsam mit Experten des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) dem Bienenfresser verschrieben. Nur etwa 1.000 Paare gib es aktuell in Deutschland. Mehr als die Hälfte lebt in Sachsen-Anhalt; die wohl bundesweit größte Brutkolonie fühlt sich in einer Grube bei Merseburg pudelwohl.

In diesem Jahr endet ein 2011 begonnenes deutschlandweites Arbeitsprogramm der wissenschaftlichen Vogelberingung. Es wird von den drei gegenwärtig für die zentrale Beringung zuständigen Vogelwarten in Wilhelmshaven, Radolfzell und Hiddensee koordiniert. Letztere ist für Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen zuständig.

Teil des Programms ist das „Länderübergreifende Markierungsprogramm Bienenfresser“. Zu den Initiatoren gehören die Biologen Martin Schulze aus Halle und Ingolf Todte aus Aken (Landkreis Anhalt-Bitterfeld).

Bereits in den Jahren 1995 bis 2010 wurden die Bienenfresser durch geprüfte Beringer mit kleinen Marken zur Wiedererkennung ausgestattet. Seit 2010 werden Altvögel der mitteldeutschen Brutgebiete außerdem mit Datenloggern auf die Reise geschickt, dessen größtes Teil eine kleine Knopfzelle ist. Mit ihm werden unter anderem Zugwege ermittelt. Hier arbeiten der Nabu Sachsen-Anhalt, die Schweizer Vogelwarte Sempach und die Vogelwarte Hiddensee zusammen.

An deren Rand sitzen die Experten an diesem lauen Sommertag und fangen, wiegen, messen und beringen. Martin Schulze ist Biologe und Ornithologe sowie ehrenamtlich für den Nabu Sachsen-Anhalt dabei. Er hat fünf Jungtiere aus einer Brutröhre in einem Stoffbeutel aus der tiefer gelegenen Nestanlage mitgebracht.

Schon der Anblick des ersten begeistert den 43-Jährigen. „Dem geht's richtig gut“, sagt er und setzt den properen Kleinen auf eine Briefwaage. „58,4 Gramm, das ist mehr als ein Altvogel wiegt.“ Drei Wochen ist er alt, schätzt Schulze. Sohn Tarek hilft auch und schreibt Zahlen in sein Notizbuch. „55 Paare sind da unten“, sagt der Neunjährige. „Das ist mal richtig gut.“

Die drei bis fünf Meter hohen Steilwände bestehen hauptsächlich aus Löss, einem gelb-grauem Sediment, das sich gut bearbeiten lässt. Sie sind übersät mit Löchern, in denen die Bienenfresser brüten. „Ein bis zwei Meter tief sind die“, sagt Tarek. In der Schule hat er schon Vorträge über den in Afrika überwinternden Großinsektenjäger gehalten.

„Die werden nicht so alt. Maximal sechs Jahre. Aber sie können in der Luft Insekten fangen, am liebsten Hummeln.“ Wie der Name sagt, stehen aber auch Bienen auf dem Speiseplan. Seit den 1990er Jahren sieht man den Vogel immer häufiger in Sachsen-Anhalt. Bis Ende April überwintern sie in Afrika, von Mai bis September sind sie hier.

Weitere Informationen lesen Sie auf Seite 2.

Mitte 2006 startete der Nabu sein Bienenfresser-Projekt. Erstmals wurde für eine gefährdete Vogelart in Sachsen-Anhalt ein Brutplatzkataster, ein Gefährdungsregister und ein Konzept zum Artenschutz erarbeitet. Es ging vor allem darum, für die Brut geeignete Steilwände zu erhalten, in die der Vogel Höhlen graben kann. Die befinden sich in Sand-, Kies-, Ton- oder Kohlegruben. „Wenn die schließen, werden sie oft aus Sicherheitsgründen verfüllt“, sagt Schulze - für den Bienenfresser eine Katastrophe.

Die Nabu-Stiftung ist nach Angaben von Landesgeschäftsführerin Annette Leipelt im Besitz mehrerer Flächen mit Bienenfresser-Kolonien. „So haben wir den Grundstein gelegt, um neue Brutplätze anzulegen und zu sichern“, erzählt sie. Dazu gehöre ein 470 Hektar großer Lebensraum für fast 130 Vogelarten am Salzigen See bei Eisleben. Auch dort brütet der Bienenfresser.

Der Bienenfresser gehört zu den weltweit farbenprächtigsten Vögeln. Er wird maximal 30 Zentimeter groß und neben den bunten Farben ist sein langer, leicht gebogener Schnabel sein Markenzeichen.

Damit legt er höhlenartige Gänge in weichen Erdschichten an, wofür sich Löss besonders gut eignet. Bevorzugte Standorte sind Steilhänge an Flüssen, Seen, Kiesgruben oder Tagebauen. Die bis zu zwei Meter tiefen Gänge dienen als Brutröhren.

Bienenfresser sind Koloniebrüter und Zugvögel, die in Afrika überwintern. In Sachsen-Anhalt ist mit mehr als 500 Paaren etwa die Hälfte der gesamtdeutschen Population zu finden.

Seinen Namen hat der bunte Vogel tatsächlich von seiner Lieblingsspeise. Er frisst Bienen, Wespen, Hummeln, Libellen und Käfer, die er aus großer Entfernung erspäht und im Flug aus der Luft fängt. Gestochen wird er von den Insekten nicht. Er klemmt sie zunächst im Schnabel fest und schlägt sie dann gegen einen Ast, so dass das Gift austritt.

Emmenegger entnimmt den Vögeln Blut aus der Flügelvene, um sie auf Vogelmalaria zu untersuchen und über den genetischen Code mehr über die Verwandtschaftsverhältnisse zu erfahren. Aktuell schreibt sie ihre Doktorarbeit. Das Thema: Vogelmalaria beim Bienenfresser und mögliche Zusammenhänge mit Zugverhalten und Parasiten. Ein Teil der Blutproben geht für die Forschung an die Universität Heidelberg und nach Spanien.

Auch die Logger sind der Biologin wichtig. „Etwa 80 von ihnen werden wir innerhalb von zwei Wochen an den Vogel bringen.“ Träger werden nicht nur Bienenfresser aus der Merseburger Grube sein, denn in der Region gibt es noch weitere Standorte, an denen die Vögel brüten - alle weitgehend geheim.

Bernd Skerra kennt das Problem mit „den Neugierigen“. Der 70 Jahre alte Hobby-Ornithologe und Naturfotograf passt auf, dass im „Canyon“ alles seine Ordnung hat. Und er hilft, die Steilwände zu erhalten. „Die müssen im Frühjahr mit dem Spaten abgestochen werden“, sagt er. „Und kleine Wege müssen angelegt werden, damit die Biologen an die Löcher kommen.“ Vogelschutz sei eben Teamarbeit. (dpa)