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Altmark Altmark: Das andere Leben im Ökodorf

Von STEFFEN REICHERT 05.12.2008, 18:04

POPPAU/MZ. - Es ist exakt 12.30 Uhr, und der Speisesaal füllt sich schnell. Die Bewohner hier - Singles, Pärchen und Familien - bilden erst einen Kreis, dann fassen sie sich kurz bei den Händen: Es ist ihr Symbol der Gemeinsamkeit. Danach wird gefuttert, was das Zeug hält.

Schauplatz Ökodorf. Hoch im Norden Sachsen-Anhalts, nicht weit von Klötze entfernt, gibt es seit elf Jahren ein Dorf, in dem die Welt noch in Ordnung ist. Ein halbes Dutzend Häuser aus Lehm und Strohballen findet man hier, viele Bauwagen und noch mehr Ackerland. Gegründet von Leuten, die für sich eine Alternative jenseits des Konsums suchten, ist das Dorf zu einer Oase des bewussten Lebens geworden. Das Schrittmaß ist anders hier. Handys sind wegen Strahlung auszuschalten, geraucht wird - wenn überhaupt - nur auf einem zentralen Platz. Der Strom wird mit Solaranlagen erzeugt und ins Energienetz eingespeist, die Landwirtschaft ist selbstverständlich ökologisch und der Bioladen eine Genossenschaft.

Gabi Bott ist seit acht Jahren dabei und inzwischen eine von 115 Dorfbewohnern. Einst als Geschäftsführerin für die Grünen in Freiburg im Breisgau tätig, ging sie zunächst für ein Jahr in die USA, um sich in Fragen der Ökologie weiterbilden zu lassen. Zurück aus den Staaten stand sie "vor einem totalen Neuanfang". "Ich wollte näher bei der Natur sein, ich wollte bewusst anders leben, aber auch in einer Gemeinschaft", erinnert sie sich an ihre damalige Entscheidung. Irgendjemand gab ihr den Tipp, in die Altmark zu fahren. Die heute 48-Jährige hat sich sofort entschieden und lebt noch heute in einem Bauwagen. Ihren Lebensunterhalt finanziert sie über Seminare.

Sieben Linden ist der einzige komplette Dorfneubau in Deutschland - formal ist er ein Ortsteil von Poppau. 77 Hektar soll das Gesamtareal einmal umfassen, 23 Hektar machen Ackerfläche aus, für 300 Menschen ist das Dorf geplant. Um sich finanzieren zu können, haben die Mitglieder zwei Genossenschaften gegründet. Wer kommen und dauerhaft bleiben will, muss 12 000 Euro einzahlen, Lebensunterhalt und Versicherungen sind selbst zu finanzieren.

Nicht wenig, aber manche haben Glück. Bettina Keller beispielsweise erhielt die Hälfte des Genossenschaftsbetrages von ihren Eltern. Seit viereinhalb Jahren lebt die Zimmerin aus dem Rhein-Main-Gebiet im Ökodorf, früher hat sie sich bei den Pfadfinderinnen und anderen Gruppen engagiert. Sie sei, sagt sie, auch durch ihren Vater sehr spirituell geprägt worden. Nun baut sie hier Lehmhäuser und wird von der Genossenschaft bezahlt. Nächstes Jahr will sie nach Sibirien, wo sie ebenfalls ein Lehmhaus errichten will. "Die Gemeinschaft ist wichtig für mich", findet sie. Das ist einer der Gründe, die Bettina Keller im Ökodorf hält.

65 der 115 Dorfbewohner sind inzwischen in der Genossenschaft organisiert. Einige leisten hier ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr. Jeder hat - wenn er nicht im Bauwagen lebt - ein separates Zimmer. Dass es in einer solcher Gruppe auch Konflikte gibt, ist klar. Der aktuelle ist der Mausefallen-Konflikt. Wie geht man mit dem Leben um, steht hinter der Frage, ob man Mäuse fangen darf. Und wenn man sie fängt, dann schließt sich die nächste Frage an, ob man Lebend-Fallen benutzt und wann Tierquälerei beginnt. "Man muss sich damit auseinandersetzen", so der 36-jährige Michael Würfel, der als Dokfilmer im Dorf lebt.

Um bei den Diskussionen über Bauen und Wirtschaften einen Konsens zu finden, haben sich die Bewohner ein klares Regelwerk gegeben. Entscheidungen zu schwierigen Fragen bedürfen der Zwei-Drittel-Mehrheit. Neuankömmlinge müssen vor einer Probezeit einen Abend gestalten. Ein "Visionsrat" wacht mit Adlerblick darüber, dass die Ziele des Projekts nicht aus den Augen verloren werden.

Einen Blick auf das Dorf hat vor einiger Zeit auch ein Fernsehteam geworfen. Als die Bewohner in der benachbarten kleinen Dorfkneipe neulich die Fernsehreportage über Sieben Linden anschauen wollten, merkten sie plötzlich, dass die Antenne verstellt worden war. Es gab kein TV-Bild. Sie begannen also eilig sich umzuschauen, wer eigentlich einen privaten Fernsehapparat in seinem Zimmer oder seinem Bauwagen hat. Fünf kamen letztlich zusammen. Gerade genug, um allen Interessenten einen Fernsehplatz anbieten zu können.