Streetart Streetart: Festival der Graffiti-Kunst in Wittenberg

wittenberg/MZ - Der Nachbar hält kurz beim Harken inne, der Staub vor der Haustür senkt sich. „Wunderschön!“, sagt er dann und blinzelt durch Brillengläser in die Sonne. Auf der anderen Straßenseite steht ein Elefant. Der ist neu. Noch vor wenigen Tagen war das eine blöde graue Mauer. „Sehr freundlich“ wirke das jetzt, setzt der ältere Herr noch ein Lob drauf. Und wünscht sich: „Mehr davon“ in der Stadt. Mehr Kunst aus der Dose.
Kreatives Duo
Der rosa Elefant, pink elephant, in der Wichernstraße ist ein Bild, das bleibt von einem Event, das am Wochenende auf dem Arsenalplatz über die Bühne ging. Graffiti-Künstler aus Deutschland und Portugal zeigten dort an einem halben Dutzend riesiger Stellwände ihr Können. Mal fotorealistisch wie „Case“, der als eine Koryphäe seines Fachs gilt und von dem auch der pink elephant gegenüber dem Phönix-Theater ist. Mal grell verspielt, mal karikaturistisch, mal fantastisch wie „Captain Borderline“ aus Köln. Die Handschriften sind vielfältig und hin und wieder liegt der Reiz des Kontrastes auch in einem einzigen Bild wie beim portugiesischen Duo „Mrdheo“ und Pariz, das - in Arbeitsteilung - fotorealistische und expressive Elemente in knallbunten Farben kombiniert.
Laute Beats hämmern über den Arsenalplatz, der nach dem Inliner- und Skatertreffen vor einigen Wochen an diesem Wochenende seine zweite Verwendung als Veranstaltungsort für ein eher junges Publikum erlebt. Wind treibt Farbgeruch über den Platz, hier und da schauen - Maiblumenfest! - Stiefmütterchen aus dem Boden, stilgerecht eingepflanzt in ausrangierte und knallbunt angemalte Autoreifen. Vereinzelt sitzen junge Leute auf Matratzen, die gegen den Regen mit Folie geschützt sind.
Ältere Herrschaften sind herübergekommen vom Maiblumenfest oder auf dem Weg dorthin und fotografieren ausführlich die Arbeiten der Graffiti-Künstler. Wenn auf diese Weise die „Schmierereien“ verschwinden, sagt ein Besucher hoffnungsfroh...
Werben um die Öffentlichkeit
„Kultur reicht Akzeptanz die Hand“ lautet das etwas unhandliche Motto des Streetart-Festivals „Kura_Dh“ - man wolle der Öffentlichkeit zeigen, das auch Graffiti bildende Kunst ist, übersetzt Tina Kraatz vom Verein „wbmotion“, der das bilaterale, sprich deutsch-portugiesische Projekt auf den Arsenalplatz gebracht hat. Weg vom Schmuddel- und halbkriminellen Image jenes Sprayertums, das im Polizeibericht vielfach als „Sachbeschädigung“ fremden Eigentums auftaucht.
Verständnis säen und wachsen lassen wollen Kraatz und Filipe Pinheiro, der künstlerische Leiter des Projekts: Kinder und Jugendliche der Sekundarschule Friedrichstadt dürfen auf eine eigene Stellwand ihre Vorstellungen von den Pflanzen sprühen, die sie am Vortag als Samen in die fette Erde kleiner Plastikbecher gesetzt haben; als erstes entsteht an der Wand - ein Regenbogen.
Auf dem Arsenalplatz bleiben die mobilen Kunstwerke von „Case“ und Co. nicht; vorgesehen sei, sie später in Wittenberg auszustellen und zum Verkauf anzubieten, so Pinheiro. Allgemein hätten Anfragen von Firmen nach Graffiti-Kunst bereits zugenommen, sagt er. Für die Stadt auf Dauer erhalten bleiben unterdessen der rosa Elefant in der Wichernstraße, ein Bild am KTC und eine großformatige Wand-Uhr von „Captain Borderline“ am Döner-Imbiss Bachstraße.
„Hochachtung vor den Jungs“, die das geschaffen haben, äußert die Frau am heißen Drehspieß denn doch . Obwohl sie Graffiti vorher ja eigentlich ganz und gar nicht mochte.
