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Serie Schlosskirche Wittenberg Serie Schlosskirche Wittenberg: "Logopäde" der Orgelpfeifen

Von Erhard Hellwig-Kühn 28.06.2016, 15:03
Hannes Kunath (links) und Fabian Zocher  bringen in der Schlosskirche der Ladegast-Orgel sozusagen die Flötentöne bei.
Hannes Kunath (links) und Fabian Zocher  bringen in der Schlosskirche der Ladegast-Orgel sozusagen die Flötentöne bei. Klitzsch

Wittenberg - Was haben ein Orchestermusiker und ein Verkehrsingenieur, beide 30 Jahre, gemeinsam? In ihrem Zweitberuf sind beide als Orgelbauer derzeit in der Schlosskirche tätig. Sie gehören zur Orgelbaufirma Eule in Bautzen. In diesen Tagen bekommt die schöne Ladegast-Orgel ihren letzten Schliff in Sachen Technik, Intonation und Stimmung.

Seit dem vergangenen Pfingstfest ist die Firma Eule mit der Intonation und Stimmung dieses Instruments im Rahmen der Komplettsanierung der Schlosskirche Wittenberg beschäftigt. Umfangreiche Reinigungs- und Sanierungsarbeiten an diesem Instrument waren vorausgegangen, der Schimmelbefall, womöglich durch die verlängerte Einhausung verursacht, ist mittlerweile beseitigt. Die obligate Orgel-Abnahme durch einen Orgelsachverständigen steht unmittelbar bevor.

Der Chefintonateur Gregor Hieke konnte krankheitsbedingt seine künstlerische Arbeit leider nicht beenden. Dies haben nun Fabian Zocher, der Orchestermusiker, und Hannes Kunath, der Verkehrsingenieur, vollendet. Es sind zwei sympathische und äußerst engagierte Orgelbauer.

Es soll den ganzen Sommer hindurch Orgelmusiken geben, hinzu kommen die Evensongs, musikalische Abendgebete mit Gesang. Auch das Handglockenensemble der Schlosskirche ist zu erleben. Festlich wird es am 2. Oktober, wenn die Wiedereinweihung der sanierten Schlosskirche gefeiert und eine Orgelfestwoche eröffnet wird.

Am 3. Oktober erklingt 17 Uhr auch ein Orgelkonzert für vier Hände und vier Füße. Vom 4. bis 7. Oktober gestalten Organisten aus den USA, Japan und Italien 30-minütige Orgelkonzerte, jeweils 12 Uhr. Höhepunkt der Festwoche ist eine Orgelnacht am 8. Oktober unter dem Motto „reFormation“ ab 20.17 Uhr. Mit einem Gottesdienst am 9. Oktober endet die Woche.  (mz/cni)

Fabian Zocher hat vor seiner Orgelbauerlehre ein Musikstudium im Fach Trompete absolviert. Er ist nebenberuflich in verschiedenen Orchestern zu hören, etwa im Gewandhaus oder in der Staatskapelle Dresden. Verständlich, wenn er über seine Klangvorstellung von einer Trompete im Vergleich zu einem Trompetenregister der Orgel philosophiert. Aber das macht ja den Reiz des Intonierhandwerks aus, so nahe wie möglich vom Originalklang in die Orgel zu transponieren, ohne dabei das Individuelle aus dem Blick zu verlieren.

Das bestätigt Hannes Kunath. Der Ingenieur stellt lächelnd fest: „Ich wollte schon immer was mit Musik machen.“ Über die Verkehrswissenschaft zum Orgelbau, warum nicht, ist sie doch ebenso komplex und hat sie doch viel mit den Naturwissenschaften zu tun wie der Orgelbau.

Was macht eigentlich ein Intonateur? Verkürzt gesagt ist er der Logopäde der Orgelpfeifen. Er bringt ihnen das Sprechen, „die Flötentöne“, bei. Die Orgel besteht aus verschiedenen Registern oder Pfeifenreihen. Jede Pfeifenreihe hat klangspezifische Abmessungen (sog. Mensuren), die einer individuellen Klangfarbe entsprechen sollen.

Die Intonierkunst besteht nun darin, dass jede Pfeife innerhalb einer Reihe auch so laut, so farbig gleich klingt und anspricht. Die Länge der Pfeife (Tonhöhe) spielt dabei eine wichtige Rolle. Der Pfeife wird also das (An-) Sprechen beigebracht. Die Manipulationen finden hierzu am Aufschnitt, dem Pfeifenmund statt. Hierfür verwendet er Hilfswerkzeuge, z. B. so genannte Lanzetten. Auf Tastendruck fließt Luft durch den Pfeifenfuß, der durch die Kernspalte hindurch zwischen Unterlippe und Kern blattförmig weiterfließt und an der Oberlippe gebrochen wird.

Dadurch entstehen Schwingungen im Pfeifenkörper, die der Tonhöhe entsprechen. Durch einen optimalen Luftstrom im Pfeifenmund (Labium) entsteht also das Klangwunder. Und diese Prozedur musste mit jeder der etwa 3500 Pfeifen geschehen. Die Klangfarben sind durch die Mensuren determiniert. Sie sind das Geschäftsgeheimnis, das Signum eines Orgelbauers und durch Erfahrungen geprägt. Früher ging man als Orgelbauer durchaus auf Wanderschaft, lernte bei den Kollegen, so auch Friedrich Ladegast.

Er freundete sich mit dem großen Orgelbaumeister und Mathematiker Aristide Cavaillé-Coll an, der unter anderem die Orgel in der Kathedrale Notre Dame de Paris erbaute und ihn sicher beeinflusste. Seine Solidität hinsichtlich Technik und Klang waren berühmt und erfahren heute wieder eine Renaissance. Das kann man auch an der Schlosskirchenorgel sehen: Die Firma Eule hat viele Veränderungen aus der Zeit nach dem Erbauungsjahr 1867 wieder zurückgebaut (neben natürlich sinnvollen Erweiterungen im Stile Ladegast).

Nachdem nun die Pfeifen wieder „zu uns sprechen“ (intoniert sind), müssen sie anschließend „in Stimmung“ gebracht werden, also gestimmt werden. Das ist ähnlich wie im Orchester, nur komplizierter: Es muss zunächst temperiert werden, das heißt ein Leitregister, der Prinzipal, das Rückgrat der Orgel, wird so gestimmt, dass alle Tonarten gleichrangig „wohlig“ klingen.

Da ist eine gleichschwebende Temperierung erreicht. Dabei kommt es auf den Cent an (ein Hertz unterteilt sich in 100 Cent). Die Schwebungen in den Intervallen muss der Orgelbauer hören und entsprechend nach Gehör klangvoll regulieren. Das macht er durch Veränderungen am Pfeifenkörper mit Hilfe von Stimmhörnern. Bach hat übrigens dieser Temperierung mit seiner Komposition des „Wohltemperierten Klaviers“ ein Denk-mal gesetzt, indem er Präludien und Fugen in allen Tonarten von C-Dur bis h-moll komponierte.

Der Prinzipal übernimmt nun nach der Temperierung die Funktion des Konzertmeisters: alle Stimmen (Register) werden diesem Leitregister angeglichen, rein gestimmt. Damit ist das Werk vollendet. Beim Orchester geschieht dies vor jedem Konzert und wirkt für den Zuhörer chaotisch. An der Orgel ist das einmalig, zum Teil nervenaufreibend und dauert durchaus viele Tage. Am Ende steht der Ladegast’sche Wohlklang. (mz)

Blick auf die registerweisen Pfeifenreihen im Orgelinneren.
Blick auf die registerweisen Pfeifenreihen im Orgelinneren.
Klitzsch